Rezension über:

Christian Möller: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 234), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, 396 S., 4 s/w-Abb., 5 Tbl., ISBN 978-3-525-31096-0, EUR 70,00
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Rezension von:
Sophie Lange
Berliner Kolleg Kalter Krieg
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Sophie Lange: Rezension von: Christian Möller: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 9 [15.09.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/09/33628.html


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Christian Möller: Umwelt und Herrschaft in der DDR

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Das Eingabewesen der DDR war bisher als "Meckerecke der Nation" [1] bekannt. In Christian Möllers Dissertation steht die Eingabe an Medien und staatliche Stellen nun erstmals im Zentrum einer umweltgeschichtlichen DDR-Analyse. Das Kernanliegen der Studie widmet sich somit der Mitwirkung und Teilhabe der Bevölkerung an der staatlichen Umweltpolitik. Mit der Eingabe war es möglich, auf politische Entscheidungsprozesse Einfluss zu nehmen und Themen "von unten" anzustoßen (12). Dabei beschäftigt Möller vor allem die Diskrepanz zwischen dem umweltpolitischen Aufbruch der 1970er und der ökologischen Krise der 1980er Jahre. Diese Forschungslücke möchte er mittels einer Untersuchung des staatlichen und gesellschaftlichen Handelns schließen (15). Methodisch stützt er sich auf Konzepte wie der "partizipatorischen Diktatur" [2] oder auch der "Konsensdiktatur" [3]. Hauptsächlich chronologisch angelegt, gliedert sich das Buch in drei große Kapitel, dem ein detaillierter und differenzierter Forschungsstand zur DDR-Umweltgeschichte vorausgeht.

Das erste Kapitel behandelt die frühen Reformdebatten von Naturschützern, Ärzten und Ökonomen in der Luftreinhaltung, dem Gewässer- und Naturschutz in den 1950er und 1960er Jahren. Mittels erster institutioneller Einrichtungen wie dem Amt für Wasserwirtschaft und den Hygieneinspektionen, ökonomischer Reformen, wissenschaftlicher Expertise und politischer Planung nahm der Umweltschutz in der DDR Ende der 1960er Jahre konkretere Formen an. Für ihre Mitsprache bei diesem Thema gingen die Naturschützer einen Kompromiss mit dem Staat ein und akzeptierten die auf Wachstum zielende Wirtschaftspolitik. Ihre Annahme des Partizipationsangebots der SED wertet Möller deshalb als ein Indiz dafür, dass es sich bei der DDR nicht um eine "totalitäre" Diktatur handelte, die leicht kritische Stimmen hätte eliminieren können (109). Gleichzeitig nutzte die Partei diese vermeintlich unpolitische Agenda-Setzung, um ihre Führungsrolle bis ins kleinste Hinterzimmer geltend zu machen. Dieser Widerspruch lässt die Frage aufkommen, ob "Konsens-" und "totalitäre Diktatur" denn wirklich unvereinbare Konzepte sind, wie Möller argumentiert.

Die Zunahme der Eingaben, insbesondere zur Luftverschmutzung, verstand die Führung im Laufe der 1960er Jahre "als ein ernstes politisches Problem" (153). Im zweiten Kapitel geht der Autor deshalb auf die Aushandlung des Landeskulturgesetzes ein. Analytisch stark und quellenfundiert breitet Möller hier das auf einen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie abzielende, viel gelobte Umweltschutz-Gesetz aus. Damit erhielt die Bevölkerung einen legitimen Handlungsrahmen für ihr Umweltengagement. Das Thema war somit prädestiniert für den Aufbau einer "sozialistischen Menschengemeinschaft" (211, 214) sowie für die Darstellung planerischer Überlegenheit des Sozialismus in der Ost-West-Auseinandersetzung.

Der ideologische Wettstreit zwischen Sozialismus und Kapitalismus verblasst allerdings in Möllers Arbeit. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass er der sogenannten Alibi-These begegnen möchte. Diese besagt, dass sich die DDR nur aus außenpolitischen Prestigegründen mit der Umweltpolitik beschäftigt habe. Möller kann durchaus belegen, dass die Gründung des Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft (1972) "keine bloße Politpropaganda" (201) gewesen sei. Doch Aussagen wie, das Umweltthema sei "erst durch Anstöße aus der Gesellschaft von der SED" entdeckt worden (211), erscheinen zu kurz gegriffen. Die Thematik ist nur in größeren internationalen Zusammenhängen (Bundesrepublik, Vereinte Nationen) zu verstehen. Möllers Ablehnung der "Alibi-These" ignoriert das außenpolitische Streben der DDR nach Anerkennung und Überwindung der Isolationspolitik durch die Bundesrepublik mit ihrer Hallstein-Doktrin. So überzeugend seine Ausbreitung und Entfaltung innenpolitischer Zusammenhänge für die Entwicklung des Landeskulturgesetzes und Ministeriums auch sind, diese Fokussierung spiegelt die Komplexität des Gegenstandes nur teilweise wider.

Das dritte Kapitel, eher deskriptiv gehalten, beschäftigt sich mit der Aufkündigung des umweltpolitischen Konsenses zwischen der SED und einer jüngeren Generation in den 1980er Jahren. Sowohl die fehlgeschlagene ökologische Modernisierung als auch die Geheimhaltung von Umweltdaten trugen letztlich zur eingangs festgestellten Diskrepanz bei. Überraschend ist dies zwar nicht, doch möchte Möller hier sowohl kritisches als auch konformes Umweltengagement würdigen - etwa Whistle-Blower-Tätigkeiten von Mitarbeitern staatlicher Institutionen (255). Dass die Gesellschaft für Natur und Umwelt, eine Massenorganisation des Kulturbunds, ebenfalls dazuzählte, ist jedoch bereits seit der Studie von Anne-Kathrin Steinmetz bekannt [4]. Die umweltpolitische Kommunikation mittels der Eingabe stellt für Möller die Grundlage dafür dar, dass sich kritische, unabhängige Gruppen in den Kirchen gründeten (257). Anhand zahlreicher Beispiele zeichnet Möller die Diversität des Umweltprotests in einer Diktatur nach. Wer sich aber eine analytische Bündelung der Eingaben beispielsweise nach Umweltproblemen erhofft, wird enttäuscht.

Dennoch ist es Möllers Verdienst, die Eingaben an das Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft (1973 bis 1988) quantitativ zusammengefasst zu haben. Dabei argumentiert er nachvollziehbar, dass eine genaue Auflistung von Umwelteingaben nicht mehr zu rekonstruieren ist. Zu unterschiedlich waren die Ansprechpartner abseits des Umweltministeriums. Insgesamt müssen die Leserinnen und Leser nicht mit Möllers angeführten Kritikpunkten übereinstimmen. Doch genau das ist es, was das Buch anregend und interessant macht. Seine intensive Auseinandersetzung mit den Quellen ist für weitere Studien gewinnbringend. Und mit dem Fokus auf das Eingabewesen bereichert die Dissertation Christian Möllers die DDR-Umweltgeschichte um eine eindrucksvolle Facette.


Anmerkungen:

[1] Ina Merkel (Hg.): "Wir sind doch nicht die Meckerecke der Nation": Briefe an das DDR-Fernsehen. Mit einer Einführung von Ina Merkel und Felix Mühlberg, Berlin 1998.

[2] Mary Fulbrook: Ein ganz normales Leben. Alltag und Gesellschaft in der DDR, Darmstadt 2008.

[3] Martin Sabrow: Der künstliche Konsens. Überlegungen zum Legitimationscharakter sozialistischer Herrschaftssysteme, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 1999, 191-224.

[4] Anne-Kathrin Steinmetz: Landeskultur, Stadtökologie und Umweltschutz. Die Bedeutung von Natur und Umwelt 1970 bis 1989. Eine deutsch-deutsche Betrachtung, Berlin 2017.

Sophie Lange