Keita Saito: Das Kriegskommissariat der bayerisch-ligistischen Armee während des Dreißigjährigen Krieges (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 24), Göttingen: V&R unipress 2020, 346 S., 4 s/w-Abb., ISBN 978-3-8471-0538-1, EUR 50,00
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Der Titel dieses aus einer Promotionsschrift hervorgehenden Buches mag auf den ersten Blick Assoziationen zur brandenburgisch-preußischen Verfassungs- und Militärgeschichte wecken, hatten doch gerade solche Historiker wie Friedrich Wolters, Kurt Breysig und Otto Hintze einschlägige Studien zur Rolle der Kriegskommissare vorgelegt, denen gerade für die Erklärung der Genese "absoluter Monarchien" eine große Bedeutung attestiert wurde. Doch handelt es sich bei diesem Eindruck wohl eher um eine ferne Nachwirkung der einst meinungsführenden borussischen Historiographie innerhalb der historischen Zunft. Dass es sich beim Institut des Kriegskommissariats um eine territorienübergreifende Erscheinung handelte, wird durch die Studie von Keita Saito noch einmal exemplarisch vorgeführt. Dabei erscheint gerade das Beispiel Bayerns einerseits gut gewählt, weil hier dem brandenburgisch-preußischen Befund durchaus vergleichbare Beobachtungen angestellt werden können. Und im Gegensatz zur Hohenzollernmonarchie, für die viele Archivbestände als Kriegsverlust gelten müssen, konnte der Verfasser insbesondere im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München auf einen reichhaltigen Quellenfundus zurückgreifen, so dass ihm in seiner Arbeit eine eindrucksvoll detaillierte Darstellung der Funktionsweise des Kommissariatswesens mit dem Generalkriegskommissariat an der Spitze gelingt. Andererseits liegt aber der hier gewählte Zeitraum mit der Fokussierung auf den Dreißigjährigen Krieg wesentlich früher als die den brandenburgisch-preußischen Fall untersuchenden Studien.
Die konzeptionelle Anlage des Buches ist plausibel und durchdacht. Nach einer profunden Begründung der Fragestellung und der Einführung in den Forschungsstand gibt Saito im ersten Teil einen Überblick über die Etablierung des Kriegskommissariats im Herzogtum, sukzessive Kurfürstentum Bayern und seiner Wirksamkeit auf der Ebene der Regimenter. Dabei wird auf der Suche nach Vorbildern am Rande auch der Blick über die Grenzen gerichtet, speziell nach Frankreich und in die österreichische Habsburgermonarchie, wo es ebenfalls "eine breite Überlappungszone der zivilen und militärischen Sphären" gegeben hätte. (74)
Das zweite Kapitel ist der Verankerung der Generalkriegskommissare in der Gesellschaft gewidmet und analysiert deshalb diesen Amtsträgertyp aus sozialgeschichtlicher Perspektive. Sehr eingehend beschreibt der Verfasser die regionale und soziale Herkunft der Kommissare und nimmt ihre Einbindung innerhalb der Elite in den Blick. Er hat dazu in beeindruckender Recherchearbeit das für die Analyse erforderliche prosopographische Basismaterial für die insgesamt 22 von ihm untersuchten Angehörigen des bayerischen Generalkriegskommissariats ausgewertet, das in einem Anhang detailliert aufbereitet wird. Interessant erscheint hierbei die Beobachtung, dass die Übernahme der Kommissariatschargen gerade für Angehörige des in den ständischen Gremien nur schwach vertretenen bayerischen Niederadels ein wichtiges Motiv für den sozialen Aufstieg bedeutete. Zwar kann K. Saito auch Beispiele für eine professionelle (in einigen Fällen auch akademische) Ausbildung präsentieren, die überwiegende Mehrheit der Kommissare erwarb ihre Fähigkeiten und Kenntnisse jedoch über das Prinzip des "learning by doing". Hier zeigen sich im Übrigen viele Parallelen zum Professionalisierungsprozess im höheren Offizierskorps. Der Vergleich mit dieser sozialen Gruppe erscheint im bayerischen Fall auch deshalb besonders naheliegend, weil hier - etwa im Gegensatz zu Frankreich - eine sehr enge Verwobenheit zwischen einer Offizierslaufbahn und einer Karriere als Kriegskommissar beobachtet werden kann. Vor allem die zweite Generation der bayerischen Generalkriegskommissare hatte zuvor ein Offizierspatent innegehabt. Profitiert haben die Ausführungen dieses Abschnittes von der Anwendung der aus der Patronageforschung stammenden Methoden. Saito kann detailliert ein funktionierendes Netzwerk nachweisen und hierbei u.a. auf eine glückliche Quellenüberlieferung in Gestalt von Korrespondenzen zurückgreifen. Man hätte hier auch mit den seinerzeit von Wolfgang Reinhard eingeführten und in vielen vergleichbaren Studien zu Patronage-Klientel-Beziehungen erprobten Kategorien "Landsmannschaft", "Verwandtschaft" und "Freundschaft" arbeiten können - die vorgeführten Exempel ließen sich jedenfalls gut in dieses Raster einordnen.
Diese Einsichten werden im dritten und umfangreichsten Kapitel "Der Kommissar im Feld. Reichweite und Grenzen der fürstlichen Macht" vertieft. In diesen Ausführungen versucht K. Saito "den Aktionsradius und die Durchschlagskraft des kriegsherrlichen Willens kritisch in den Blick zu nehmen" und damit die in der älteren Forschung recht hoch veranschlagte Effizienz dieses Amtsträgertyps im beginnenden sogenannten "absolutistischen" Zeitalter zu hinterfragen. (164) In einer sehr dichten und quellennahen Beschreibung vermag der Verfasser den Wirkungskreis und den Handlungsspielraum der Generalkriegskommissare am Beispiel der Familien Ruepp und Lerchenfeld vorzuführen. Dabei geraten sowohl die Beziehungen zu den Kommandeuren des bayerisch-ligistischen Heeres - besonders interessant hier die Ausführungen über das Verhältnis zum Grafen Tilly - sowie zum Landesherrn, Herzog/ Kurfürst Maximilian I. in den Blick. Sehr lesenswert erscheinen aber auch die Passagen zu den Einflussmöglichkeiten der Generalkriegskommissare auf die Rekrutierungspraxis und Personalpolitik, was natürlich permanent zu Konflikten mit den Befehlshabern führen musste. Der Verfasser bemüht zur Beschreibung der den Kommissaren zugewiesenen Chancen mehrfach den Begriff der "Vermittlung", ja mitunter sieht er sie gar in der Rolle eines "Stellvertreter[s] des Landesvaters". (197) Bei aller Zurückhaltung gegenüber sogenannten Bürokratisierungsprozessen erscheint mir allerdings die von Saito gezogene Grenze zwischen einem "bürokratisch agierenden Funktionsträger", als den er den Generalkriegskommissar gerade nicht ansehen möchte, und "politischen Figuren, die sich mit den Befehlshabern persönlich verbanden oder verfeindeten", als zu starr gezogen. (234)
Abschließend darf ein insgesamt positives Resümee über diese Studie gezogen werden, die unser Bild über die soziale Struktur, Funktionsweise und Netzwerke der Generalkriegskommissare der bayerisch-ligistischen Armee beträchtlich erweitert. Auch wenn dies in einigen Passagen anklingt, hätte man sich einen noch stärker komparativ ausgerichteten Ansatz gewünscht, der die hier gewonnenen Erkenntnisse besser eingeordnet und schärfer akzentuiert hätte.
Frank Göse