Max Brym: Mao in der bayerischen Provinz, Waiblingen: SWB Media Entertainment 2019, 238 S., ISBN 978-3-9643-8029-6, EUR 15,00
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Die Protestbewegung der 1960er Jahre erreichte 1968 nicht nur ihren namensgebenden Höhepunkt, sondern zugleich auch ihre Grenze. Es war ihr nicht gelungen, sich über die Jugend hinaus in weiteren Teilen der Bevölkerung zu verankern. Folgerichtig spaltete sich die Bewegung in zahlreiche Strömungen. Nicht wenige davon versuchten nun, gezielt die Arbeiterklasse anzusprechen und für ihre Ziele zu gewinnen. Sie griffen dabei einerseits auf die Geschichte der Arbeiterbewegung und ihrer verschiedenen Fraktionen zurück und ließen sich andererseits von den nationalen Befreiungsbewegungen aus dem Globalen Süden inspirieren. Eine besondere Rolle spielte dabei der Maoismus, der bereits zuvor in der Bewegung eher eklektisch und spielerisch aufgegriffen worden war. Doch nun wurde daraus der überaus ernste Versuch, revolutionäre Organisationen auf marxistisch-leninistisch-maoistischer Grundlage aufzubauen. Diese so genannten K-Gruppen entwickelten sich in den 1970er Jahren zu einer bedeutenden Strömung, die aus der zerfallenden 68er-Bewegung heraus entstanden. Schätzungen zufolge waren hier zeitweilig zwischen 100.000 und 150.000 Personen organisiert. Im Gegensatz zu den inzwischen unüberschaubar großen Mengen an Literatur, die zu "1968" erschienen ist, mangelte es lange Zeit an Veröffentlichungen zu den K-Gruppen. Dies hat sich in den letzten Jahren zunehmend geändert. Auch autobiographisch geprägte Bücher, die in der 68er-Literatur eine große Rolle spielen, die aber bei den K-Gruppen deutlich problematischer sind, da sich kaum jemand noch positiv auf sie bezieht, sind inzwischen dazugekommen. [1] Zu diesem Genre gehört auch "Mao in der bayerischen Provinz" von Max Brym.
Der Autor beschreibt darin seinen politischen Werdegang, der ihn von der DDR-treuen Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) über den maoistischen Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD zu trotzkistischen Kleingruppen führte. Bryms Buch zeigt, dass die 68er-Revolte nicht nur in den großen Städten auf Widerhall stieß, sondern auch in der Provinz, in seinem Fall im sogenannten Chemiedreieck im Südosten Bayerns in den Landkreisen Altötting, Mühldorf und Traunstein. Auch dort rebellierte im Nachgang von 1968 die Jugend und organisierte sich in verschiedenen linken Organisationen. Auch Max Brym, der aus einer jüdischen Familie von Holocaustüberlebenden stammt und aufgrund der Scheidung seiner Eltern und häufiger Krankheiten in seiner Kindheit als Außenseiter galt, wurde von den linken Ideen angezogen. An seinem 16. Geburtstag trat er der DKP bei und engagierte sich in ihren Reihen, bis er nach einem Schulungsaufenthalt in der DDR erste Zweifel entwickelte. Daraufhin schloss er sich dem Arbeiterbund an, der in der DKP klandestine Fraktionen zu bilden beabsichtigte. Dies wurde allerdings schnell von der Partei unterbunden, die Brym ausschloss. Von nun an agierte er fast zehn Jahre lang offen für den Arbeiterbund im Chemiedreieck.
Die Beschreibung des Autors schwankt zwischen einem launig geschriebenen Lebensrückblick, so vergleicht er seine Auseinandersetzungen mit den CSU-Lokalgrößen mit den Geschichten von "Don Camillo und Peppone" und einer politischen Aufarbeitung seiner maoistischen Vergangenheit. So erläutert er seine Faszination für den Maoismus folgendermaßen: "Aus der Ferne wirkte der Maoismus revolutionär und nicht so trocken und bieder wie die Publikationen aus der DDR." (16) Dieser revolutionäre Elan und die scheinbar basisdemokratischen Impulse der Kulturrevolution sprachen zahlreiche Jugendliche in den westlichen Ländern an, die sich mit den jungen Kulturrevolutionären in China identifizieren konnten, die auch dort gegen die erstarrten "alten" Strukturen kämpften.
Die Orientierung an der Arbeiterklasse schien nach den Erfahrungen der Studentenbewegung ohnehin einsichtig zu sein. Und dafür boten sich im bayerischen Chemiedreieck mit den Industriestandorten in Burghausen, Trostberg, Waldkraiburg und Burgkirchen zahlreiche Anknüpfungspunkte. Max Brym zeigt, wie es dem Arbeiterbund trotz geringer Anhängerschaft gelungen ist, durch ihre Presseerzeugnisse, die über die konkreten Probleme in den Betrieben berichteten, einen nicht zu unterschätzenden Einfluss in der Region zu gewinnen. Jedoch verwechselten die Anhänger des Arbeiterbundes dieses Interesse mit einer Unterstützung ihrer Organisation bzw. ihrer maoistischen Ausrichtung. Doch der Autor reflektiert selbstkritisch: "In Wahrheit galt das Interesse der meisten Leser nicht Mao, sondern unseren örtlichen Enthüllungen." (105) Diese Erfahrungen verweisen darauf, dass es einer an den konkreten Problemen vor Ort und in den Betrieben orientierten linken Organisation gelingen konnte, bescheidene lokale Erfolge zu erringen. Brym vergleicht den Arbeiterbund mit dem ebenso nur lokal verankerten Kommunistischen Bund, der in Hamburg mit einer ähnlichen Vorgehensweise ebenfalls gesellschaftlich wirkmächtig wurde.
Der Schwerpunkt auf den Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD macht das Buch von Max Brym besonders interessant. Da diese K-Gruppe die zahlenmäßig kleinste der "sechs Zentren der deutschen ML-Bewegung" [2] war, ist sie bisher kaum wissenschaftlich erforscht worden. Auch sonst gibt es über sie nahezu keine Literatur. "Mao in der bayerischen Provinz" ist nun ein erster Schritt, Abhilfe zu schaffen. Neben der politischen Biografie Max Bryms enthält es auch noch einen mehr als sechzig Seiten langen Anhang mit Faksimiles verschiedener Flugblätter und Zeitschriften des Arbeiterbundes sowie eine ausführliche Chronologie.
Das Buch zeigt auf, dass der Arbeiterbund zwar ideologisch, wie die anderen K-Gruppen auch, am Maoismus, Stalinismus und Hoxhaismus orientiert war, allerdings in seiner konkreten Politik vor Ort pragmatisch agierte. An diesem linken Pragmatismus hält der Autor auch heute noch fest: "Im Nachhinein betrachtet würde ich einiges genauso wieder machen, mir aber die eine oder andere Blödelei sparen. Vor allen Dingen den Stalinismus á la Honecker, Mao und Enver Hoxha." (47) Allerdings stellt sich die Frage, ob er mit seiner Selbstkritik, die ihn zum Trotzkismus führte, nicht doch zu kurz gesprungen ist, und nicht vielmehr eine schärfere Kritik aller Formen leninistischer Politik von Nöten wäre.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Gerd Koenen: Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977, Köln 2001.
[2] Vgl. Michael Steffen: Geschichten vom Trüffelschwein. Politik und Organisation des Kommunistischen Bundes 1971 bis 1991, Berlin u. a. 2002, 24.
Jens Benicke