Bart Van Loo: Burgund. Das verschwundene Reich. Eine Geschichte von 1111 Jahren und einem Tag. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke, München: C.H.Beck 2020, 656 S., ISBN 978-3-406-74927-8, EUR 32,00
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Van Loos Buch präsentiert die lange und wechselhafte Geschichte von Burgund und bespricht damit eine Region Europas, die zumindest eines der kulturellen, ökonomischen und politischen Zentren von Renaissance und Früher Neuzeit darstellt. Die geschichtliche Tradition Burgunds reicht über die im Nibelungenlied beschriebenen Ereignisse bis zur Antike und den Kämpfen der Gallier gegen Julius Caesar zurück. Von Anfang an zeigt sich dabei, dass Burgund - oder vielmehr das, was später das Königreich bzw. das Herzogtum Burgund sein wird - nicht nur durch seine geografische Lage zwischen den Machtinteressen Frankreichs und des Heiligen Römischen Reichs gefangen sein wird und sich immer wieder behaupten muss. Herzog Karl schlug sich im 15. Jahrhundert auf die Seite des Heiligen Römischen Reichs, dessen Kaiser er so gerne geworden wäre, und verheiratete seine Tochter Maria mit Maximilan von Habsburg bevor er 1477 in der Schlacht von Nancy fiel. Die Beinamen des Herzogs und seiner Tochter - "der Kühne" oder "the rash" und "die Reiche" - sprechen Bände, denn sie weisen auf eine gewisse Unverfrorenheit und den Reichtum der Burgundischen Herrscher hin. Es sind die Unabhängigkeit und der Reichtum, die Burgund für die Habsburger (und den Rest Europas) interessant machen.
Obwohl von vielen mächtigen Gegnern umgeben, ist Burgund bestens vernetzt und entwickelt eine anspruchsvolle Hofkultur, deren Etiquette von Europäischen Herrschern bewundert und nachgeahmt wird. Herzog Karl war in dritter Ehe mit der Schwester des Königs von England verheiratet; seine Mutter und die beiden ersten Ehefrauen sorgten für Bündnisse mit Portugal, Frankreich und dem Haus von Bourbon. Luxusgüter aller Art wurden in Burgund produziert, exportiert und am Hof verwendet. Die Bankhäuser Europas unterhielten Filialen in Burgund und ihre Angehörigen erwarben Wandteppiche, Stundenbücher sowie Tafelgeschirr und gaben Gemälde bei einigen der besten Künstler Europas in Auftrag. Der burgundische Einfluss auf Europa blieb auch bestehen, nachdem die Herzogstochter Maria bei einem Jagdunfall tödlich verunglückte. Ihr (und Maximilians Sohn) Philip, verheiratet mit einer Spanischen Infanta, und seine Kinder Karl und Ferdinand sorgten dafür, dass Kultur und Sitten sich über nahezu ganz Europa ausbreiten würden. Burgund war in jeder Hinsicht wichtig und es ist sehr gut, dass daran eindringlich erinnert wird.
Genau das ist das Ziel des vorliegenden Buches, das es sich zur Aufgabe macht, der Welt über tausend Jahre burgundische Geschichte nahezubringen. Das geschieht mal mehr und mal weniger detailliert und gelegentlich mit interessanten und auch überraschenden Einzelheiten, inklusive Ausflügen in die Humangenetik. Van Loo zeigt dabei sehr eindringlich wie sehr "Burgund" über die Jahrhunderte ethnisch zersplittert und aussenpolitisch immer wieder bedroht war. Aber er präsentiert auch das Geschick vieler Herrscher, durch Heiraten und Bündnisse das Territorium und den Einfluss Burgunds zu mehren. Dies klappte allerdings nicht so gut im Kriegsfall: die Schlachten von Nikopolis, Poitiers oder später Nancy sind besonders wichtige Beispiele von durchkreuztem Ehrgeiz burgundischer Herzöge.
Das Buch bietet nicht nur in chronologischer Hinsicht eine grosse Bandbreite an Information. Es setzt die Geschichte Burgunds in einen internationalen und interdisziplinären Kontext, der von Kreuzzügen bis Handelsbeziehungen reicht, von so berühmten Künstlern wie van Eyck bis zum Untergang des Rittertums und dem Aufstieg der Artillerie. Es liest sich dabei weniger wie ein typisches Sachbuch, sondern mehr wie eine abenteuerliche Erzählung oder der Text für eine Fernsehdokumentation. Die Fussnoten sind überschaubar, die Sprache (in der deutschen Übersetzung) anschaulich, gelegentlich plakativ. Wer sich dazu anregen lassen möchte, allgemein mehr über die Burgundische Geschichte zu erfahren, liegt hier sicher nicht falsch.
Andrea M. Gáldy