Rezension über:

Brita Jansen: Die hellenistische Befestigung von Seleukeia Gadara (Umm Qays) (= Orient-Archäologie; Bd. 42), Rahden/Westf.: Verlag Marie Leidorf 2020, 216 S., 14 Kt-Beilagen, 122 Tafeln, ISBN 978-3-89646-672-3, EUR 74,80
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Rezension von:
Norbert Kramer
Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik, Zentrum für Altertumswissenschaften, Universität Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Norbert Kramer: Rezension von: Brita Jansen: Die hellenistische Befestigung von Seleukeia Gadara (Umm Qays), Rahden/Westf.: Verlag Marie Leidorf 2020, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 12 [15.12.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/12/34657.html


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Brita Jansen: Die hellenistische Befestigung von Seleukeia Gadara (Umm Qays)

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Lange Zeit war die Architektur der Seleukiden kaum greifbar; dies hat sich in den letzten 20 Jahren durch neue Fundplätze, wie die sogenannte 'Elephantenburg' auf dem Karasis in der Südtürkei oder die Festungsstadt auf dem Jebel Khalid am Euphrat in Syrien, nachhaltig gewandelt. Einen weiteren wichtigen Beitrag zur hellenistischen Architektur allgemein und zum seleukidischen Festungsbau im Besonderen bietet nun Brita Jansen mit ihrer leicht überarbeiteten und 2016 in Hamburg eingereichten Dissertation. Diese behandelt die Befestigung in Gadara / Umm Qays in Jordanien unweit des Sees Genezareth.

Bei der vorgestellten Anlage handelt es sich im Wesentlichen um die Südseite der Befestigung der höchsten Erhebung des Ortes. Sie besteht aus mehreren Türmen, Kurtinen und Toren und ist auf etwa 235 m erhalten, was etwa einem Viertel der Gesamtumfassung entspricht. Der vorgestellte Bereich lag bis 1992 unter bis zu 7 m dicken Erdschichten, die dann zur Schaffung eines Busparkplatzes mit Bulldozern abgetragen wurden. Allerdings konnten etwa 10 Prozent archäologisch ergraben werden.

Der Befund wird von Jansen in einer Vielzahl von Arbeitsschritten untersucht. Hauptsächlich sind dies: a) die Darlegung der 'archäologischen Befunde' mit der Beschreibung der Areale, der Befunde und Beifunde sowie der Stratigraphie (Kapitel II), b) die Analyse der 'architektonischen Befunde' inklusive einer Rekonstruktion der Phasen, gegliedert nun nicht nach Arealen, sondern nach Bauteilen (Kapitel IV), und c) die sich aus den vorhergehenden architektonischen Befundbeschreibungen ergebende Gesamtschau der 'Bauelemente' (Kapitel V). Zwischen die Bearbeitungen der archäologischen und der architektonischen Befunde schiebt sich die Diskussion einer wichtigen Inschrift, die als herausragender Beifund aus Kapitel II herausgenommen wurde (Kapitel III). Es folgen dann sieben weitere Kapitel mit speziellen Untersuchungen, so vor allem zur Datierung (Kapitel VIII), zur militärischen Funktion (Kapitel IX) und zur seleukidischen Urbanistik (Kapitel XI).

Diese Kleinteiligkeit ist zunächst Ausdruck der methodischen Vorgabe, Befunddarlegung und Interpretation sorgfältig zu trennen, was Jansen dezidiert als ihr Anliegen formuliert (2). Allerdings führt dies hier doch insgesamt zu vielen Dopplungen, und manchmal ist es schwierig, trotz der guten Orientierung durch die große Zahl an Überschriften (etwa Kapitel VII mit 14 Überschriften auf 5 Seiten) den Überblick zu behalten. Manches ließe sich zudem durch den Verzicht auf Übernahmen aus den Grabungstagebüchern zum Arbeitsablauf (zum Beispiel 17, 20, 47, noch 80) straffer gestalten.

Zentral für jede architekturgeschichtliche Einordnung und kulturgeschichtliche Interpretation sind die Datierungen. Entsprechende Angaben erfolgen an verschiedenen Stellen; das zentrale Kapitel VIII bleibt dann aber mit effektiv einer Seite recht knapp. Die Datierungen basieren prinzipiell auf der sauber analysierten Stratigraphie in Verbindung mit datierbaren Funden - Feinkeramik und Amphorenstempel - innerhalb der Schichten. Hinsichtlich der Mauertechnik wird dagegen die gleichzeitige Verwendung aller auftretenden Mauerwerksformen beobachtet (105). Jansen kommt so insgesamt zu folgenden Aussagen: Es gibt keine archäologischen Belege, die auf eine Befestigung vor der seleukidischen Inbesitznahme 200 v.Chr. deuten (8, 117, 161). Vielmehr sind Bau und frühe Nutzung in das 1. Viertel des 2. Jahrhunderts v.Chr. beziehungsweise nicht vor dem 2. Viertel des 2. Jahrhunderts v.Chr. zu datieren. [1] Es folgt eine erste Zerstörungsschicht, deren Funde bis in die letzten Jahre des 2. Jahrhunderts v.Chr. reichen, was mit der ersten Einnahme des Ortes nach zehnmonatiger Belagerung durch Alexander Jannäus um 98 v. Chr. in Verbindung gebracht wird (49, 117). Nach der Vertreibung des Jannäus kam es zu einer seleukidischen Ausbesserung der Anlage, wofür eine kurze, aber doch spektakuläre Inschrift Beleg ist (Kapitel III). [2] Die Inschrift ist auf das Jahr 228 seleukidischer Ära zu datieren, was dem Jahr 85/84 v.Chr. entspricht. Unmittelbar nach diesen Maßnahmen wurde der Ort 83 v.Chr. erneut von Jannäus eingenommen, wobei es zu einer zweiten Zerstörungsschicht und dem Versturz der genannten Inschrift kam.

Diese Ergebnisse sind plausibel und von hohem Wert. Gerade angesichts des ganz außerordentlichen Datierungspotentials wäre aber ein stärkeres Hervorheben der versiegelten Schichten und ein erneutes Vorstellen der datierbaren Funde in diesen zur Bewertung hilfreich. Dies gilt umso mehr, als selbst die Feinkeramik vor der Mitte des 2. Jahrhunderts v.Chr., also vor dem Einsetzen der Eastern Sigillata A, noch keineswegs hinreichend trennscharf datiert werden kann, um zweifelsfrei zwischen ptolemäischem oder seleukidischem Ursprung der Festung entscheiden zu können. [3] Ein zur Datierung des Beginns der Anlage ganz zentrales Stück ist ferner ein rhodischer Amphorenstempel, der offenbar in einer durch einen Begehungshorizont versiegelten Schicht gefunden wurde und somit einen sicheren terminus post quem gibt. Jansen schreibt: "Im Turminneren wurde mit einer Verfüllung [...] ein erstes Nutzungsniveau geschaffen. Ein in dieser Auffüllung gefundener gestempelter Amphorenhenkel des 'Δαμoκράτε[υς]' datiert in die ersten Jahre des 2. Jhs. v.Chr." (34). In seiner hier zitierten, aber nicht diskutierten Bearbeitung der Amphorenstempel aus Gadara stellt Jöhrens die leicht unterschiedlichen Datierungen der älteren Forschung und die Modifikationen durch Finkielsztejn vor. [4] Da diese leichten Verschiebungen gerade im hier zu besprechenden Kontext relevant sind, wäre die Darlegung der fortlaufenden Forschungsentwicklung nützlich.

Auf der Basis der rein seleukidischen Einordnung der Festung nimmt Jansen schließlich die "Rolle der seleukidischen Zentralmacht" (3) in den Blick. Dies umfasst zum einen die Charakterisierung einer Art 'Reichsarchitektur'. Jansen analysiert ausführlich die Bautechnik, zu der etwa Mörtelverwendung im isodomen Mauerwerk (101, 135), Flachbögen im Torbau (157) und innovative, gegen Angriffe mit Katapulten effektivere Fünfecktürme (147) zählen. Dies bringt sie zu dem Schluss, "Dass eine solche Konzentration an fortifikatorischem und bautechnischem Fachwissen [...] nur durch königliche Einflussnahme nach Gadara gekommen sein kann"; insgesamt sei die Festung "auf 'gesamtseleukidische' Art gebaut" (141). Dass der Bau der Festung nicht unabhängig von der Zentralmacht zu sehen ist, ist plausibel. Ob allerdings "gesamtseleukidisch" - anstelle von 'gesamthellenistisch' - ein guter Begriff ist, erscheint fraglich. Auch im vorliegenden Befund zeigt sich, dass Fachtraditionen kaum auf ein Reich zu beschränken sind, so ist etwa der Einsatz von Bögen vermutlich aus dem Ptolemäerreich übernommen worden (140, 159).

Zum anderen setzt Jansen den Befund in Bezug zum historischen Kontext. Die Seleukiden hätten nach der Übernahme Koilesyriens von den Ptolemäern durch Antiochos III. um 200 v.Chr. das Gebiet durch die Befestigung sichern wollen. Es gebe dabei aber keine archäologischen Hinweise darauf, dass die Unterstadt im Westen oder das große Tempelareal im Norden in die hellenistische Befestigung einbezogen worden wäre (94). Demnach war man sich möglicherweise der Loyalität der Bevölkerung in dem gerade eroberten Ort nicht sicher (139). Jedenfalls sei erkennbar, dass die "Befestigung von Gadara [...] wohl von einer militärisch höchst erfahrenen Zentralmacht initiiert wurde, der aber langsam die finanziellen und personellen Mittel ausgingen" (119). Letzteres führt Jansen auf eine erkennbar längere Bauzeit und Veränderungen in der frühen Nutzungsphase, wie das Zusetzen von Schlupfpforten, zurück. Diese Beobachtungen bringt sie in Zusammenhang mit den seleukidischen Problemen infolge der Niederlage von Magnesia 190 v.Chr. und dem anschließenden Vertrag von Apamea 188 v.Chr. (119). Solche engen Bezugnahmen auf den großen historischen Kontext wirken nicht mehr so vorsichtig und differenziert wie das Vorgehen bei der Bearbeitung der archäologischen Befunde.

Für die Publikation haben sich Autorin und Verlag für eine Aufteilung in Text- und Tafelband entschieden, was die Arbeit mit dem Werk sehr erleichtert. Es herrscht eine vorbildliche Akribie im Beleg der verwendeten und vorgeführten Unterlagen vor; vielleicht hätte dabei das Abbildungsverzeichnis in das Tafelverzeichnis integriert werden können. Gute Zusammenfassungen in deutscher, englischer und arabischer Sprache runden das Werk ab. Der Verzicht auf Indices wird durch die erwähnte Überschriftendichte verschmerzbar. Lediglich Kleinigkeiten, wie die häufige Zitation literarischer Quellen über Sekundärliteratur oder die regelmäßig verwendete aktivische Formulierung 'ein Fund datiert', bilden unerhebliche Kritikpunkte.

Jansen hat die Erforschung hellenistischer Architektur mit einer extrem nützlichen Materialvorlage bereichert, in der die Befunde penibel dargelegt und plausible Interpretationen angeboten werden. Die Arbeit wird bei jeder Diskussion zum Thema dauerhaft unverzichtbar sein.


Anmerkungen:

[1] Hierbei wird sich im ersten Fall auf die Keramikbearbeitung von Michaela Konrad: Hellenistische und römische Feinkeramik aus Gadara. Stratifizierte Fundensembles und deren Evidenz für die Periodisierung des Platzes von der Seleukidenzeit bis zum Ersten Jüdischen Aufstand, in: Forschungen in Gadara / Umm Qays von 1987-2000, hg. von Adolf Hoffmann / Claudia Bühring, Rahden 2013 (= OrA 28), 103-134 und im zweiten Fall auf Philip Kenrick: Fine Wares from the City Wall Section at Bait Nawashi, in: AA 2000, 2, 235-265 bezogen.

[2] Hierbei wird sich grundlegend auf Michael Wörrle: Eine hellenistische Inschrift aus Gadara, in: AA 2000, 2, 267-271 und Siegfried Mittmann: Die hellenistische Mauerinschrift von Gadara (Umm Qes) und die seleukidisch dynastische Toponymie Palästinas, in: Journal of Northwest Semitic Languages 32 (2006), 25-54 bezogen.

[3] Konrad 2013 schließt in ihrer Vorlage zunächst eine ältere Befestigung des 3. Jahrhunderts v.Chr. nicht aus (115), in der Zusammenfassung wird aber von einem "verzögerten" Bau gesprochen (129). Kenrick 2000 bewertet Datierungen innerhalb des 2. Jahrhunderts v.Chr. auf der Basis von Keramik als extrem schwierig, erklärt im gleichen Atemzug aber, dass in Bezug auf die Stadtmauer nichts noch auf das 3. Jahrhundert v.Chr. weisen würde (264).

[4] Gerhard Jöhrens: Amphorenstempel aus Gadara, in: Forschungen in Gadara / Umm Qays von 1987-2000, hg. von Adolf Hoffmann / Claudia Bühring, Rahden 2013 (= OrA 28), 53-101 (hier 66, Nr. 36); Gérald Finkielsztejn: Chronologie détaillée et révisée des éponymes amphoriques rhodiens, de 270 à 108 av. J.-C. environ. Premier bilan, Oxford 2001 (= BAR Int. Ser. 990).

Norbert Kramer