Anke Haarmann: Artistic Research. Eine epistemologische Ästhetik (= Edition transcript; Bd. 4), Bielefeld: transcript 2019, 315 S., ISBN 978-3-8376-4636-8, EUR 34,99
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Kunst zeigt sich als Bild und erfordert glücklicherweise Sprache, die ihrem Werk zum Bewusstsein ihrer selbst verhilft. Wissenschaft weckt, wenn sie gelingt, Zweifel am Wahrheitsanspruch ihrer Argumente. Sprache ermöglicht gerade in den Zwischenräumen von Begegnungen Optionen, weit auseinander Liegendes auf einander (neu) zu beziehen, mit deren Relationen zu spielen. Dabei kann es auch - gewissermaßen während man schreibt - gelingen, eine Form von nachdenklich gewordener Kunst zu identifizieren und eine Art spielerischer Wissenschaft zu installieren, die mit schwerwiegenden Paradoxien ebenso leichtflüssig umzugehen lernt wie beispielsweise mit inspirierend nachwirkenden Forschungs-Metaphern wie Warburgs Pathosformel oder ähnlichen begriffs-bild-orientierten Erkenntnisformeln. Interessant wäre es gewesen, einmal zu untersuchen, welche anderen dieser epistemischen Metaphern die Kunst- und Bildgeschichte einmal und jetzt wieder getriggert haben. Ungefähr so, allgemein und abstrakt formuliert, könnte das Leitproblem benannt werden, dem sich die Autorin Anke Haarmann in ihrer Arbeit erfolgreich gestellt hat.
Das extrem auf Interdisziplinarität aufbauende Untersuchungsfeld künstlerischer Forschung ist seit circa zwanzig Jahren mehr oder weniger erfolgreich in die alten Stammesgebiete der Kunstgeschichte, der Semiologie, der Sprachphilosophie, der Kunst- und der Designtheorie eingedrungen und hat inzwischen nachdrücklich und wirkungsvoll gezeigt, dass die Zukunft ihrer Arbeit nicht nur in der aufwendigen Rekonstruktion ihrer diversen Herkünfte besteht. Dass künstlerische Forschung nach "anfänglicher Reserviertheit zu einem Sesam-Öffne-Dich der Forschung werden wird, darf vermutet werden" - so spekulierte Sarah Schmidt 2007 in einem Stichwort-Artikel in den Kritischen Berichten (3, 2007, 50 ff.). Instruktiv erhellend ist zunächst, dass die Autorin es versteht, die sehr unterschiedlichen Vorgeschichten, Inspirationen und Einflüsse in den Werken der Meisterdenker wie u.a. Hegel, Baumgarten, Fiedler, Danto, Butler, Goodmann, Ginzburg, Lyotard und Adorno jeweils passgenau (und manchmal doch etwas ermüdend kleinteilig und detailversessen) zu referieren und produktiv miteinander zu verzahnen. Bezeichnend ist für diese Untersuchung, dass sich ein wie auch immer zu bestimmender Begriff von Kunst analog zur Entwicklung der Kunstproduktion längst in alle möglichen aber eben auch unmöglich-zukünftigen Bestandteile aufgelöst hat: Haarmann spricht zu Recht von "ikonischen Artefakten, ästhetischen Dingen oder Bildergebilden" und verweist so bereits explizit in ihrer kontextuell operierenden Begrifflichkeit, dass die heutige Distanz zwischen Bildern und Begriffen größer nicht sein, und unser Versuche hier Brücken zu bauen unweigerlich in die Neubaugebiete einer passenden Forschung und ihrer Künste führen wird. An zentralen Stellen ihres Buches gelingt es Haarmann sehr überzeugend, die zentralen Probleme ihrer Interessen punktgenau zu formulieren: "Bildergebilde mögen wie Wortgebilde als Symbolsystem zu fungieren, (...). Wir müssen einerseits Objekte visuell differenzieren können, um überhaupt im Stande sein zu können, Worte als Schrift zu identifizieren - das Bildersehen ist dem Schriftverstehen vorgelagert. Andererseits liegen den Bildergebilden keine Sprachkompetenzen zugrunde, wie den Wortgebilden. Wir sprechen bevor wir anfangen, das Gesprochene in Schrift zu meisseln und damit der Flüchtigkeit des oralen Ausdrucks zu entziehen - aber wir -bildern- nicht, bevor wir anfangen ikonische Produkte als Kommunikationsmedien zu erzeugen. Das ikonische Symbolsystem ist eine Schrift ohne Sprache." Der Leser würde sich an dieser Stelle nun wünschen, wie das jeweils Ausgeschlossene des Bilderns und des Sprechens konkreter bestimmt und formal wieder ineinander geführt werden könnte. Das dabei sich abzeichnende Problem zwischen Bild und Sprache, also das Nacheinander der Sprachzeichen auf das Ineinander von Bildsymbolen zu beziehen, ist seit Lessings Laokoon bekannt, wird aber hier leider nicht berührt. Wie Bilder handeln, während gleichzeitig Sprache und ihre reflektierenden Fähigkeiten durch die Form von Bildern zu sprechen beginnen - dieses -Geheimnis- einer Gleichzeitigkeit von in Echtzeit mitdenkenden Leser*innen bleibt als produktive Leerstelle in der Erinnerung des Rezensenten zurück. Und außerdem: Wenn der Blick nicht das Bild überblickt, das er nicht durchschaut, wie kann dann eine Formel ein Wissen in ein Element von Sprache verwandeln?
Man vermisst in diesem Band aber auch eine umfangreichere Explikation ihrer Theorien an neueren und neuesten Projekte einer zeitgenössischen künstlerischen Forschung - sei es von traditioneller künstlerischer Seite, bei der die Paradigmen historischer Wissenschaften reflektiert werden (das ausführlich referierte Projekt des Critical Art Ensemble stammt aus dem Jahr 2000) oder aber auch von Seiten der akademischen Kunstgeschichte, deren spürbar gewachsenes Methodeninteresse in den letzten Jahren deutlich anzeigt, dass und wie die früher strikt kunstwissenschaftliche Arbeit inzwischen mehr und mehr durch kunstbezogene, besonders auch rezeptionsästhetische Verfahren des expliziten Zuspitzens und Triggerns von Grenzproblemen einen sekundären Kunstcharakter annehmen. Dass in diesem Zusammenhang in keiner Weise auf so eigenständige Positionen/ Autoren wie u.a. Wolfgang Kemp, Wolfgang Ullrich oder Niklas Luhmann eingegangen wird, schmälert den Erkenntnisgewinn gerade für die Leser*innen, die sich gerade kunst- und wissenschaftstheoretisch sowie methodenbewusst historisch genauer informieren wollen. Gleichwohl: der umfangreiche, 300-seitige Versuch der Autorin, Antworten auf ihre Ausgangsfrage: "Gibt es eine Ikontik? Eine Kunst (techné) des Bildlichen (ikon), innerhalb derer sich eine ästhetische Syntaktik und ikonische Semantik formieren" ist alles andere als vom Zeitgeist beeinflusst oder gar anspruchslos. Haarmann führt uns dabei, salopp gesagt, von den frühen Jägern, die in Hasenspuren die Differenz von Zeichen und Spur erkennen bis hin zu Fragen, wie sich im Lesen von Mustern ästhetische Erkenntnisprozesse verkörpern und darstellen lassen. Ihr abschließender Versuch einer "kritischen Epistemologie des Forschens im Kontext der Kulturgeschichte des Forschens" (249 ff.) zu rekonstruieren, bleibt jedoch merkwürdig unterkomplex und farblos; beispielsweise wird das ästhetische Sammeln von Dingen und Daten am Beispiel des reisenden Alexander von Humboldt und nicht etwa wie zu erwarten bei fotografierenden Blogger*innen des Jahres 2019 untersucht. Dass wissenschaftliches Forschen eine eminent ästhetische Praxis darstellt und dass Bilder, Muster, Erwartungen und Ansprüche vergleichende Handeln des Künstlers eine autonome Form nicht-instrumenteller Darstellung repräsentiert, ist bei der Lektüre dieses Bandes mehr als deutlich geworden.
Nur am Rande: Manchmal (in welcher Lebensphase genau ?) provozieren Bilder Erkenntnisse, die man nur an / mit Bildern gewinnen kann; und manchmal polarisieren wissenschaftliche Thesen und Formeln (Benjamins Aura, Warburgs Pathosformel, Beuys Jeder Mensch ist ein Künstler) einen gegenwärtigen Blick so sehr, dass ein Einzelner oder eine ganze Generation ihn lange Zeit nicht mehr vergisst (auch hierzu fehlen - noch - mehr oder weniger autobiografisch angelegte Untersuchungen - auch hier: warum eigentlich?)
Welche möglicherweise polarisierenden und streitbaren Thesen Haarmanns Tiefenbohrungen aus Sprachtheorie und Bilderpraxis gerade jetzt, in einer durch die Sozialen Medien geprägten Gegenwart und Zukunft auslösen könnten - darüber schweigt sich der Band allerdings leider am Ende doch aus. Beispielhafte Ausblicke in die jetzt aktuelle hybride Produktion zwischen Kunst und Wissenschaft sowie einige Erkenntnisse zu der häufig affektgetriebenen, getriggerten Bildkommunikation mit / durch Soziale Medien hätten dem Band sicher noch sehr gut getan.
Michael Kröger