Rezension über:

Franz Halbartschlager / Andreas Obenaus / Philipp A. Sutner (Hgg.): Seehandelsrouten. Wegbereiter der frühen Globalisierung (= Expansion - Interaktion - Akkulturation. Globalhistorische Skizzen), Wien: Mandelbaum 2019, 252 S., 1 s/w-Abb., 10 Kt., 6 Tbl., ISBN 978-3-85476-839-5, EUR 22,00
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Rezension von:
Werner Stangl
Council on East Asian Studies, MacMillan Center, Yale University
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Werner Stangl: Rezension von: Franz Halbartschlager / Andreas Obenaus / Philipp A. Sutner (Hgg.): Seehandelsrouten. Wegbereiter der frühen Globalisierung, Wien: Mandelbaum 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 2 [15.02.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/02/33403.html


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Franz Halbartschlager / Andreas Obenaus / Philipp A. Sutner (Hgg.): Seehandelsrouten

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Seehandel und frühe Globalisierung bilden einen großen und logischen Schnittbereich, zu dem eine Fülle von Forschung und Überblicksdarstellungen hervorgebracht wurde. "Kolonialismus" und "europäische Expansion" sind gängige Paradigmen, innerhalb derer die Themenvielfalt aus der erwähnten Schnittmenge gerne abgehandelt wird. Da nimmt es durchaus Wunder, dass bislang keines der gängigen deutschsprachigen Werke zum neuzeitlichen Handel die Seewege selbst zum Rückgrat einer Darstellung gemacht hat. Den Herausgebern ist es somit tatsächlich gelungen, eine Lücke zu identifizieren.

Der vorliegende Band fällt nicht in die Kategorie der klassischen Tagungsbände. Auch gehört er nicht zu der Art von Sammelbänden, bei der innovative Zugänge oder grundlegend neue methodische Ansätze im Vordergrund stehen, die Einzelthemen dafür jedoch meist heterogen sind. Vielmehr ist die thematische Klammer tatsächlich Programm. Einem knappen Vorwort folgen acht Beiträge, die verschiedene, über den Globus verteilte Seehandelsrouten der frühen Neuzeit unter die Lupe nehmen. Es handelt sich im Wesentlichen um Literaturarbeiten und Überblicksdarstellungen, die den Forschungsstand abbilden und nur in geringerem Maß Originalquellen und Archivmaterial direkt in die Darstellung einfließen lassen. Die Ordnung der Beiträge folgt einer groben chronologischen und geographischen Logik.

Den Beginn macht Roderich Ptak mit einer Untersuchung der Wege durch das Südchinesische Meer von 1300-1600, unter Zuhilfenahme des (eigentlich ausschließlich modernen) Konzepts der "maritimen Seidenstraße". Ptak schildert dabei detailliert ein sehr kleinteiliges Netzwerk regionaler Systeme. Die Beschreibung der Routen und Räume geriet allerdings für den nicht mit dem nötigen Detailwissen ausgestatteten Rezensenten etwas unübersichtlich, zumal die zahlreichen im Text genannten Inseln, Meerengen und Teilmeere nicht mit den auf der (am Beginn jedes Beitrags stehenden) Überblickskarte eingezeichneten korrelieren.

Stefan Köhler und Philipp Sutner arbeiten in weiterer Folge innereuropäische Handelsrouten ab. Köhler widmet sich dem Aufstieg der Atlantikroute gegenüber den Landverbindungen für den Austausch zwischen wirtschaftlichen Regionen Nordwesteuropas und Italiens, Sutner dem Getreidehandel vom Baltikum in die Niederlande ("Mutterhandel") - zwei an und für sich gut erforschte Themen, zu denen die beiden Autoren übersichtliche Literaturarbeiten vorlegen.

Die nächsten beiden Beiträge verlagern den Schwerpunkt in den Atlantik, zu zwei staatlich organisierten Handelsverbindungen. Franz Halbartschlagers beschäftigt sich mit der Carreira da Mina, dem portugiesischen Handelssystem mit Westafrika. Der Text ist ähnlich wie die vorangehenden aufgebaut: Von Routen, Schiffen und Organisation bis zu den dominierenden Handelswaren Gold und, in weiterer Folge, Sklaven. Bernd Hausbergers Beitrag über die Carrera de Indias, das "Monopolhandelssystem" zwischen Spanien und Spanischamerika besticht durch Beherrschung der existierenden Literatur und bietet eine schnörkellose Darstellung, die sich nicht in Anekdoten oder Details verliert, sondern den Wissensstand in einem Guss wiedergibt.

Mit den drei letzten Beiträgen verlagert sich der Schwerpunkt wieder nach Asien. Andreas Obenaus' Text fällt gegenüber den anderen etwas aus der Reihe, da er keinen Überblick über ein reales, ökonomisches Langzeitphänomen gibt, sondern sich mit den fruchtlosen Versuchen der Engländer beschäftigt, eine Nordostpassage nach Asien zu erschließen, die letztendlich begraben werden mussten.

Es folgt Eberhard Crailsheims Beitrag zur Manila-Galeone zwischen den Philippinen und Mexiko, einem der dauerhaftesten Handelssysteme der Geschichte. Als einziger transpazifischer Handelsroute der frühen Neuzeit kommt ihr zur Vervollständigung eines weltumspannenden Handelssystems eine wichtige Rolle zu. Zu diesem wichtigen Thema gab es bislang bedauerlich wenig deutschsprachige Texte. Der Artikel ist daher besonders wertvoll, zumal Crailsheim den Forschungsstandes ebenso umfassend überblickt und abbildet wie Hausberger.

Den Abschluss des Bandes bildet Dietmar Rothermunds Beitrag zu maritimem Teehandel und europäischer Expansion, 1610-1773. Der Text wirkt allerdings wie ein Fremdkörper, da das dominante Thema der Route eigentlich nicht präsent ist. Vielmehr geht es um die europäische Nachfrage nach Tee und um sehr allgemein gehaltene Ausführungen zur Entwicklung der Schifffahrt und zur europäischen Expansion seit Heinrich dem Seefahrer!

Dieser Platz wäre sicherlich auch anders zu füllen gewesen, etwa aus Gründen der Vollständigkeit mit je einem Beitrag zu Routen der Venezianer oder Genuesen im Mittelmeer, den vielfältigen Verbindungen im Indischen Ozean oder einem Text zur middle passage im Sklavenhandel, idealerweise geschrieben von Autorinnen. Denn was bei der Zusammensetzung der Autorenschaft auffällt: Alle acht Autoren des Bandes sind männlich. Es gibt mit Sicherheit viele Gründe, warum im Einzelfall die Geschlechterzusammensetzung nicht ausgeglichen sein mag, doch gerade im Bereich der neuzeitlichen Geschichte und Handelsgeschichte sind Historikerinnen so zahlreich und kompetent ausgewiesen, dass es eigentlich keinen nachvollziehbaren Grund für ein rein männliches Autorenpaket gibt.

Ansonsten ist die Zusammensetzung der Autoren hingegen eine ausgewogene Mischung von arrivierten Experten in der Erforschung der von ihnen aufgearbeiteten Routen sowie von Personen aus der Gruppe rund um die Herausgeber, deren Karrieren sich nicht ausschließlich im klassischen akademischen Schema bewegen, was der Qualität jedoch keinen Abbruch tut. Diese Gruppe ist im VSIG (Verein zur Förderung von Studien zur interkulturellen Geschichte) organisiert, einem sehr aktiven Verein, über den die Herausgeber und andere am Band beteiligte Personen bereits zuvor Publikationen organisiert haben.

Als Fazit bleibt ungeachtet der Detailkritik ein Band, der seine Funktion erfüllt: Er bietet fundierte Übersichtsdarstellungen zu wesentlichen Phänomenen der frühen Globalisierung. Das Buch ist unzweifelhaft gewinnbringend im Rahmen der universitären Lehre einsetzbar und auch für allgemein Interessierte leicht verdaulich. Besonders Ptak, Hausberger und Crailsheim bringen zudem neue und neueste Forschungsergebnisse aus fremdsprachigen Kontexten ein, die einen wichtigen Beitrag zur Diffusion von Wissen im deutschsprachigen Raum liefern.

Werner Stangl