Christa-Irene Klein: Elite und Krise. Expansion und "Selbstbehauptung" der Philosophischen Fakultät Freiburg 1945-1967 (= Wissenschaftskulturen. Reihe III: Pallas Athene; Bd. 54), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, 394 S., ISBN 978-3-515-12599-4, EUR 66,00
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Diese vorzügliche Freiburger Dissertation untersucht an der Freiburger Philosophischen Fakultät, wie man in der deutschen Universität auf den gesellschaftlichen Strukturwandel der 1950er und 1960er Jahre reagiert hat. Es war eine Zeit der Umbrüche. Die Studierendenzahlen expandierten in bislang unbekanntem Ausmaß, "Bildungsnotstand" und "Überfüllungskrise" wurden ausgerufen, universitäre Strukturreformen ließen sich nicht mehr abweisen. Die Autorin erforscht den Strukturwandel und wie man sich mit ihm in der Universität auseinandersetzte. Den Endpunkt bildet das Jahr 1967 mit dem Hochschulgesamtplan Baden-Württemberg.
Der erste Teil verfolgt quantifizierend die Entwicklung der Philosophischen Fakultät: das ungleiche Wachstum der Fächer - auf die kleinen entfielen 8-30 Studienfälle, auf die 'Massenfächer' 800-1.600 - und deren Ausdifferenzierung; wie sich die Betreuungsrelationen in den Fächern veränderten; auf welchen Wegen man versuchte, die Größe des Lehrkörpers und seine Zusammensetzung mit dem studentischen Zustrom zur Universität in Einklang zu bringen; was diese Entwicklungen für die Chancen von Frauen in der Universität bedeuteten. Eine Vielzahl von Tabellen präsentieren die empirischen Daten, die der Darstellung zugrunde liegen. Betrachtet wird auch, wie man den Weg zum Staatsexamen verkürzen wollte, während der Promotionsstudiengang ungeregelt blieb und die Dissertation anspruchsvoller und länger wurden.
Die Philosophische wies unter allen Fakultäten den höchsten Anteil an Studentinnen auf, seit 1967 stellten sie die Mehrheit. Im Lehrkörper bildete sich diese Entwicklung nicht ab. Der starke Ausbau des sog. Mittelbaus erhöhte zwar die Chancen von Frauen - 1968 stellten sie 20% des nicht habilitierten und 12% des habilitierten Mittelbaus -, doch die erste etatisierte Professorin wurde erst 1960 eingestellt und bis 1969 kam nur eine einzige hinzu. Die "vergeschlechtlichte Rangaufteilung" (138 u.ö.) blieb im gesamten Untersuchungszeitraum bestehen, doch sie geriet in Bewegung, indem sich der Frauenteil auf den Qualifikationsstellen erhöhte. Doch solange eine Professorengeneration, in der 40% die "Denkfähigkeit von Frauen" bezweifelte (so eine Umfrage von 1953), über Berufungen entschied, blieb die Hürde zur Professur für Frauen schwer zu überwinden.
Wie es zur Ausweitung des Lehrpersonals kam, welche konkurrierenden Vorstellungen es gab und welche sich durchsetzten, untersucht die Autorin detailliert. Es kamen damals neue Akteure hinzu. Einer der einflussreichsten war der Wissenschaftsrat; auch die Bundesassistentenkonferenz legte Reformvorschläge vor, die mediale Öffentlichkeit diskutierte mit. Gegen Parallellehrstühle, um das Lehrangebot gezielt zu erhöhen, sperrten sich die Professoren lang. Erst als 1964 die Hörgelder durch eine Pauschale ersetzt wurden und die starke Zunahme der Professuren den Generationswechsel beschleunigte, kam es zu Parallelprofessuren, während zuvor (wie seit langem üblich) neue Professuren in der Fakultät vorrangig der fachlichen Differenzierung dienten. Doch trotz des starken Zuwachses an Professuren, es waren die zeitlich befristet besetzten Mittelbaustellen, mit deren Ausbau man die Betreuung zu verbessern suchte. Von 1947 bis 1969 wurde die Zahl der Professuren in der Fakultät in etwa verdoppelt, die Mittelbaustellen verzehnfacht. Dies stabilisierte die Hierarchie im Lehrkörper dauerhaft. Der Wandel der Personalstruktur ging einher mit der Kontinuität in der hierarchischen Ordnung. Dass dies dem Willen der meisten Professoren entsprach, belegt die Autorin eingehend. Außerhalb ihres Blickfeldes liegt jedoch, ob die Finanzierung von erheblich mehr Professuren politisch möglich gewesen wäre. Den Mittelbau auszuweiten, war billiger.
Im zweiten Teil untersucht Klein die Krisenrhetorik, von der die Reformdiskussionen in der Philosophischen Fakultät und auch in den Wissenschaftsorganisationen geprägt wurde. Wie beeinflussten sich Krisenrhetorik und universitärer Strukturwandel wechselseitig? Diese Frage will sie klären. In einer Zeit der Krise zu leben, war die Grunderfahrung der Professoren, die im Untersuchungszeitraum die Stellen besetzten. Diese Erfahrung half, den Nationalsozialismus als abendländische Krise einzuordnen und so in Distanz zu sich zu halten, vor allem einte sie über alle Unterschiede hinweg. Erst als die "Dynamisierte Generation", wie Klein die Jahrgänge 1911-1935 nennt, seit Mitte der 1960er Jahre die Mehrheit stellte, endete diese Prägung, die Orientierung an einer glorifizierten Vergangenheit "der deutschen Universität" verblasste und neue Reformansätze wurden möglich. Den Krisendiskus und seine Spannweite analysiert die Autorin an drei Personen, die sie typisiert: Gerhard Ritter als "Typus des wissenschaftsorganisatorischen Restaurators", Arnold Bergstraesser als "Typus eines Vorreiters moderner Wissenschaftsorganisation" und Gerd Tellenbach als Vermittler zwischen Tradition und Aufbruch zu Neuem (331). Diese Analysen sind aufschlussreich, doch sie zeigen, dass der zweite Teil einem anderen Verfahren folgt als der erste.
Der erste Teil mit seinen Verlaufsanalysen ist auf Freiburg konzentriert, während die Analyse der Krisenrhetorik im zweiten Teil zunächst Freiburg verlässt, indem allgemeine Entwicklungen anhand der Fachliteratur skizziert werden. Der Freiburger Krisendiskurs wird dann anhand der drei Personen untersucht. Die anderen Professoren und der übrige Lehrkörper bleiben stumm. Auch die Professorinnen und die Frauen im Mittelbau. Die Gender-sensible Schreibweise der Autorin - "Professor_innengeneration" (169 u.ö.) oder "ein_e Vetreter_in der habilitierten Nichtordinarien " (45) - tendiert dazu, die marginale Rolle sprachlich zu verhüllen, die den Frauen im Lehrkörper damals noch zugewiesen wurde. Welche Bedeutung sie in den Krisendebatten und generell in den Strategien der "Selbstbehauptung", aber auch in der Öffnung zu Reformen hatten, wird nicht sichtbar. Sie sind in den Statistiken des ersten Teils erfasst - wie die Mehrzahl der Männer, die in der Krisendebatte ebenfalls nicht zu Wort kommen. Das ist sicherlich ein Quellenproblem. Es erschwert, die Krisenprägungen und die Probleme bei der Ablösung vom Universitätsideal der Vergangenheit präzise aufeinander zu beziehen. Warum die meisten Professoren so lange an diesem Bild der "deutschen Universität" festhielten - neben ihrem Wunsch nach Statussicherung - ist auch deshalb schwer zu erkennen, weil die Autorin die überkommene Vorstellung von Universität durchgehend als "idealistisch" im Sinne von überholt kennzeichnet. Wer an die Vergangenheit anknüpfen wollte, hat bei ihr keine guten Karten.
Diese kritischen Anmerkungen sollen und können nicht die Leistung der Autorin schmälern. Sie analysiert an der Freiburger Philosophischen Fakultät den dramatischen Wandel, der sich in den ersten Jahrzehnten nach dem II. Weltkrieg an den deutschen Universitäten auch in den Geisteswissenschaften vollzog und wie die noch ganz überwiegend männliche Professorenschaft darauf reagierte und den Wandel zu steuern suchte.
Dieter Langewiesche