Rezension über:

Rudolf Wachter (Hg.): Pompejanische Wandinschriften (= Sammlung Tusculum), Berlin: De Gruyter 2019, 564 S., ISBN 978-3-11-064943-7, EUR 59,95
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Rezension von:
Polly Lohmann
Institut für Klassische Archäologie und Byzantinische Archäologie, Universität Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Polly Lohmann: Rezension von: Rudolf Wachter (Hg.): Pompejanische Wandinschriften, Berlin: De Gruyter 2019, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 3 [15.03.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/03/34207.html


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Rudolf Wachter (Hg.): Pompejanische Wandinschriften

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Nicht weniger als 1535 Wandinschriften - Graffiti und Dipinti - mit Transkription, Übersetzung und Kommentar präsentiert Rudolf Wachter in seinem Beitrag zur Sammlung Tusculum. Er steht, und sieht sich selbst, damit in der Tradition der Inschriftensammlungen Ernst Diehls und dessen Nachfolgers Hieronymus Geist. [1] Der auf dieser Grundlage entstandene Band ist wieder als Unterrichts- und Vorlesungsmaterial gedacht; die beigefügten Übersetzungen erleichtern den Zugang jedoch auch einem breiteren Publikum, an das sich der Band explizit ebenso richtet. Mit Rudolf Wachter hat sich ein ausgewiesener Experte der Materie angenommen, dessen Vorwort verrät, dass das Buch geraume Zeit in der Mache war, was bei der Dichte an Informationen nicht verwundern mag.

109 Jahre nach der ersten Auflage des "Diehl" publiziert, umfasst Wachters Sammlung nicht nur eine deutlich größere Zahl an Inschriften als seine Vorgänger; auch die Kommentare sind wesentlich umfangreicher, behandeln sie doch nicht nur philologische, epigrafische oder paläografische Aspekte, sondern erläutern auch Inhaltliches wie zum Beispiel historische Bezüge, genannte Personen und mehr. Auch Details zur Platzierung einzelner Inschriften, der Vergesellschaftung mit anderen Texten und Bildern sowie direkte Verweise auf andere Inschriften ergänzen die Kommentare.

Anders als Vinzenz Hunink, der mit seinen "1000 Graffiti aus Pompeji" [2] einen geografisch sortierten Rundgang im wörtlichen Sinne bietet, ist Wachters Inschriftensammlung thematisch angelegt. Auch hier bleibt das Vorbild Ernst Diehls bewusst erkennbar, wenn auch die einzelnen Kapitel ausdifferenziert und zum Teil umgestellt oder verändert wurden. Und bereits die Einordnung der allerersten Inschrift bei Diehl - dort unter den Götternamen und Dedikationen, bei Wachter als Nr. 1024 (unter "Liebe in Poesie und Prosa") - zeigt, dass nicht einfach übernommen, sondern neu gedacht wurde. Neu gegenüber Diehls Sammlung sind außerdem knappe Einführungen zu jedem Thema und die transparente Vorgehensweise und Inschriftenauswahl, die den Leser*innen eingangs erläutert werden.

Ebenfalls neu sind die Zeichen, mit denen auf Fotos oder Zeichnungen der Inschriften in anderen Publikationen verwiesen wird. Damit bietet Wachters Band ein gut durchdachtes Instrument zum gezielten Nachschlagen oder stöberndem Suchen nach Inschriftenmaterial, das sehr komfortabel zentrale Informationen zu einer größeren Gruppe pompejanischer Inschriften liefert. Wo Ernst Diehl mit "Pompejanische Wandinschriften und Verwandtes" stellenweise geografisch deutlich über die Vesuvstädte hinaus ging, beschränkt sich Wachter auf "Pompejanische Wandinschriften", auch wenn darunter großzügig auch die ein oder andere Inschrift aus Herculaneum oder Boscotrecase subsumiert wird.

Wie auch in populäreren Sammlungen [3] nimmt das Thema Liebe und Erotik zahlenmäßig einen relativ großen Raum ein, denn in Pompeji war, so jedenfalls der Autor, die Liebe "auch damals das klar dominierende Thema" (13). Die Beobachtung, dass bloße Namens- und Erinnerungsgraffiti ("ich war hier") bereits über ein Drittel jedenfalls der Graffiti innerorts ausmachen, mag diese Ansicht anfechten. [4] Das Kapitel 7 "Einwohner, Passanten, Touristen" ist indes deutlich magerer, doch ist dies vielleicht auch dem philologischen Anspruch der Arbeit geschuldet. Dennoch wird auch hier das quantitative Missverhältnis die fälschlicherweise weit verbreitete Ansicht weiter befördern, dass Liebe und Lust die Hauptgegenstände der Wandinschriften waren und ein Großteil der Inschriften Unterhaltsames und/oder Obszönes wiedergibt.

Der Fundort bzw. Anbringungsort aller Inschriften wird in der obersten Zeile, unter den Basisdaten wie Inschriftennummer und -typ, angegeben, was dem insgesamt in der Forschung verstärkten Interesse auch am räumlichen Kontext der Inschriften entspricht. Umso erstaunlicher ist es, dass etliche Arbeiten der letzten zehn Jahre, die sich explizit dieser Fragestellung verschrieben haben und die Inschriften bestimmter Gebäude oder Gebäudetypen untersuchen, in den Literaturverweisen nirgendwo zu finden sind. Auch wenn es sich bei ihnen nicht um Editionen oder dezidiert philologische Arbeiten handelt, wären gerade aufgrund der thematischen Sortierung von Wachters Buch Hinweise auf kontextbezogene neuere Arbeiten unter Umständen hilfreich. [5] Sie bieten zudem in vielen Fällen auch Fotos und/oder Zeichnungen der Inschriften, welche (bis auf wenige Ausnahmen) in Wachters Sammlung explizit nicht vorkommen. Auch die gedankenreichen Beiträge von Peter Kruschwitz wären mindestens der Erwähnung wert gewesen. [6] Immerhin begründet der Autor aber, nur die wichtigsten Ausgaben zu zitieren, in denen eine Inschrift "vorkommt", und seltener "kunstgeschichtliche und philologische Literatur" aufzuführen (18). Nichtsdestotrotz sind seine Kommentare mit etlichen Informationen angereichert, die eben jene Verortung im Raum oder etwa räumliche Bezüge zu Wandmalereien betreffen.

Der Band wird von einer Reihe sehr hilfreicher Indices abgeschlossen, von denen besonders die Konkordanzen zum Corpus Inscriptionum Latinarum, Ernst Diehls Inschriftensammlung und weiteren Editionen bzw. Publikationen und die Liste der Fundorte die Arbeit mit den Inschriften erleichtern. Abgerundet werden können hätten sie noch von einem Namensregister, wie es auch bei Hunink [vgl. 2] vorhanden ist.

Diese letzten Anmerkungen sollen jedoch keinesfalls das Verdienst des Autors schmälern, der gelehrt und sachkundig eine Inschriftensammlung präsentiert, die sowohl zur Lektüre des Corpus Inscriptionum Latinarum Übersetzungen, wertvolle fachliche Informationen und Verweise liefert als auch das Schmökern und Stöbern nach spezifischen Inhalten erlaubt. Damit ist "der Diehl" keinesfalls nur wissenschaftlich aktualisiert und um neue Lesungen bereichert, sondern in Umfang und Gehalt weit übertroffen worden.


Anmerkungen:

[1] Ernst Diehl: Pompeianische Wandinschriften und Verwandtes, 2. Aufl., Bonn 1930; Hieronymus Geist: Pompejanische Wandinschriften, 2. Aufl., München 1960.

[2] Vincent Hunink: Glücklich ist dieser Ort. 1000 Graffiti aus Pompeji, Stuttgart 2011.

[3] Karl-Wilhelm Weeber: Decius war hier... Das Beste aus der römischen Graffiti-Szene, 3. Aufl., Düsseldorf 2003. Ders.: Botschaften aus dem alten Rom. Die besten Graffiti der Antike, Freiburg 2019. Vincent Hunink: Glücklich ist dieser Ort. 1000 Graffiti aus Pompeji, Stuttgart 2011.

[4] Polly Lohmann: Graffiti als Interaktionsform. Geritzte Inschriften in den Wohnhäusern Pompejis (= Materiale Textkulturen; Bd. 16), Berlin / Boston 2017, 136.

[5] Zu den Graffiti einzelner Gebäude(komplexe): Rebecca R. Benefiel: Dialogues of Ancient Graffiti in the House of Maius Castricius at Pompeii, in: AJA 114 (2010), Nr. 1, 59-101. Dies.: Dialogues of Graffiti in the House of the Four Styles at Pompeii (Casa dei Quattro Stili, I.8.17,11), in: Ancient Graffiti in Context (= Routledge Studies in Ancient History; Bd. 2), hgg. von Jennifer A. Baird / Claire Taylor, London 2012, 20-48; Jacqueline F. DiBiasie: The Writings on the Wall. The Spatial and Literary Context of Domestic Graffiti from Pompeii, Austin 2015, verfügbar unter: https://repositories.lib.utexas.edu/handle/2152/31353; Henrik Mouritsen: Die Inschriften aus der insula I 10 in Pompeji, in: Pompeji Nola Herculaneum. Katastrophen am Vesuv. Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale), 9.12.2011-8.6.2012, hgg. von Harald Meller / Jens-Arne Dickmann, München 2011, 277-283; Polly Lohmann: Graffiti als Interaktionsform. Geritzte Inschriften in den Wohnhäusern Pompejis (= Materiale Textkulturen; Bd. 16), Berlin / Boston 2017; Eric M. Moormann /Simon L. Wynia: I graffiti, in: La Casa di Marcus Lucretius Fronto a Pompei e le sue pitture (= Scrinium; Bd. 5), hg. von Wilhelmus J. Th. Peters, Amsterdam 1993, 381-388. Siehe zudem zum Lupanar und erotischen Graffiti Sarah Levin-Richardson: Fututa sum hic. Female Subjectivity and Agency in Pompeian Sexual Graffiti, in: CJ 108 (2013), 319-345. Dies.: Bodily Waste and Boundaries in Pompeian Graffiti, in: Ancient Obscenities. Their Nature and Use in the Ancient Greek and Roman Worlds, hgg. von Dorota Dutsch / Ann Suter, Ann Arbor 2015, 225-254. Dies.: Calos Graffiti and Infames at Pompeii, in: ZPE 195 (2015), 274-282. Zu Dipinti ganz neu: Fanny Opdenhoff: Die Stadt als beschriebener Raum. Die Beispiele Pompeji und Herculaneum (= Materiale Textkulturen; Bd. 33), in Druck, ersch. März 2021.

[6] (Unter Anderem) Peter Kruschwitz: Die Bedeutung der Caupona des Euxinus für die epigrafische Poesie Pompejis (und darüber hinaus), in: RStPomp 17 (2006), 7-13. Ders.: Patterns of Text Layout in Pompeian Verse Inscriptions, in: Studia Philologica Valentina 11 (2008), Nr. 8, 225-264. Ders.: Attitudes Towards Wall Inscriptions in the Roman Empire, in: ZPE 174 (2010), 207-218. Ders.: Romanes eunt domus! Linguistic Aspects of the Sub-Literary Latin in Pompeian Wall-Inscriptions, in: The Language of the Papyri, hgg. von T. V. Evans / D. D. Obbink, Oxford / New York 2010, 156-170. Ders. / Virgina L. Campbell /Matthew C. Nicholls: Menedemerumenus. Tracing the Routes of Pompeian Graffiti Writers, in: Tyche 27 (2012), 93-111.

Polly Lohmann