Frédérique Lemerle / Yves Pauwels: Philibert De l'Orme. Un architecte dans l'histoire. Arts - Sciences - Techniques (= Collection >Études Renaissantes<; 17), Turnhout: Brepols 2015, 336 S., 49 Farb-, 114 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-56560-6, EUR 75,00
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Die 24 Beiträge sind aus einem Kolloquium hervorgegangen, mit dem das Centre d'études supérieures de la Renaissance in Tours 2014 den 500-jährigen Geburtstag des in Lyon geborenen Architekten Philibert De l'Orme (um 1515-1570) würdigte. Das Vorwort erläutert die immer noch verborgenen und geheimnisvollen Seiten eines der bedeutendsten Meister seiner Generation, der seinem Mythos selbst gezielt Vorschub leistete.
Welche wissenschaftliche Herausforderung das Studium seines lückenhaft überlieferten architektonischen Werkes bedeutet, offenbarten die Monografien von Anthony Blunt und Jean-Marie Pérouse de Montclos aus den Jahren 1958 und 2000. Der hier besprochene Band bietet einen breiten Fächer von interdisziplinären Fragestellungen, die von der humanistischen Kultur De l'Ormes, der politischen Situation in Frankreich, der römischen Periode von 1533 bis 1536, seinem 1567 publizierten Traktat und den architektonischen Ordnungen bis zu seinen technischen Erfindungen und deren Rezeptionen reichen. In der Ewigen Stadt war De l'Orme dem Kardinal Jean du Bellay begegnet, der ihn um 1540 mit dem Bau seines Lustsitzes in Saint-Maur les-Fossés südlich von Paris beauftragte und ihm damit den Weg zum Hofarchitekten ebnete (Loris Petris und Cédric Michon). Dort verschmolz er aufs Originellste Modelle der italienischen Renaissance mit der lokalen Tradition und schuf Wegbereiter des französischen Klassizismus, ebenso wie der im Herbst 1541 in den Dienst des französischen Königs getretene Sebastiano Serlio, Beiträge zu den späteren Auftraggebern - Franz I., Heinrich II., Katharina von Medici oder Diane de Poitiers - hätten hier den Dialog zwischen dem Architekten und seinen Auftraggebern in deutlicheres Licht treten lassen können. In Rom legte er sich ein fundiertes Wissen der klassischen Altertümer und der zeitgenössischen Baukunst zu, das dauerhaften Einfluss sowohl auf sein praktisches als auch auf sein theoretisches Werk ausübte (David Karmon, Maria Beltramini, Yves Pauwels). Durch den Kontakt mit der humanistischen Elite, allen voran Marcello Cervini, dem zukünftigen Papst Marcello II., kam er auch mit Traktaten in Berührung, sogar mit dem des Filarete aus den frühen sechziger Jahren des Quattrocento. Den wachsenden Anspruch an Restaurierung und die wirksame Einbeziehung der archäologischen Zeugnisse in städtische Umstrukturierungen während des Pontifikats Pauls III. offenbarte beispielhaft der prachtvolle Einzug von Karl V. im Jahr 1536, bei dem die antiken Monumente auf einer Via Triumphalis wie auf einer grandiosen Theaterkulisse inszeniert waren. Noch dreißig Jahre später erinnerte sich der Franzose im Premier Tome de l'Architecture daran, wobei seine weitgehend unvollständigen Darstellungen ein ziemlich begrenztes Interesse für archäologische Genauigkeit und die Regeln Vitruvs verraten. Was die von ihm in seinen Bauten assimilierten Modelle betrifft, etwa die Säulen von Santa Prassede in den Ordnungen der Tuilerien, so scheint seine Neigung zur frühchristlichen Architektur im Sinne der Gegenreformation eine Abkehr von der heidnischen Antike anzuzeigen.
Wie stark er nach Rückkehr aus Rom noch lokalen Bautraditionen die Treue hielt, erweist sich im Hôtel Bullioud in Lyon, seinem ersten architektonischen Werk von 1536. Es wird hier in der Tradition mittelalterlicher Ritterromane als palais enchanté, als Schöpfung eines Zauberers und künstliche Ruine gedeutet, die Franz I. staunend während einer fiktiven Begegnung durchschreitet (Richard Etlin).
De l'Ormes Tätigkeit als Architekt von Pariser Stadtpalästen bleibt durch mangelnde Archivalien noch immer streckenweise im Dunkeln (Guy-Michel Leproux). Jedenfalls legen neue Dokumente nahe, dass er im Auftrag des François de Pisseleu, des Bruders der Herzogin von Etampes, im Jahr 1559, also unmittelbar nach seiner Entfernung von den königlichen Baustellen, das Hôtel Lamoignon plante und Teile davon errichtete. Einblick in die Synthese von italienischen Prototypen und autochthonen Eigenheiten, wie er sie so meisterhaft beherrschte, gewähren die Gärten der Schlösser von Anet, Saint-Germain-en-Laye und der Tuilerien (Laurent Paya). Sie verbinden Lustwandel mit reizvollen Perspektiven, prächtige Theaterkulissen mit weiträumigen Metaphern von religiösem, mythologischem oder persönlichem Inhalt. Sowohl der Traktat als auch einige von De l'Ormes Bauten bekunden sein Interesse für farbigen Marmor, den er insbesondere für Inkrustationen verwendete (Sophie Mouquin). Damit entsprach er einer Leidenschaft Katharinas von Medici, die im Innenraum der 1568 von Francesco Primaticcio geplanten Rotonde des Valois in Saint Denis kulminieren sollte. Es bleibt offen, ob er auch für den Einband der der Königin gewidmeten Ausgabe des Premier Tome hinzugezogen wurde, der von Motiven geziert ist, die gleichzeitig in den Tuilerien auftraten (Isabelle de Conihout).
Der Premier Tome spiegelt die humanistische Kultur seines Autors wider, der sich eloquenter Formeln und eines breiten Repertoires von Bildern, Emblemen und Allegorien mit komplexer Bedeutung bedient (Mireille Huchon). Diese versteht er publikumswirksam einzusetzen. Eindringlich sind die Darstellungen des guten und des schlechten Architekten, eine originelle Analogie von Tugend und Laster, die den idealen Architekten gleichzeitig als homo faber und homo sapiens ausweist (Luisa Capodieci). Doch ist der Traktat auch die Quelle zum besseren Verständnis seines mathematischen Wissens und, wenn auch in verkappter Weise, seiner Vorstellung von musikalischer Harmonie und den Proportionen in der Architektur (Vasco Zara, Jean-Pierre Manceau).
Besonderes Interesse wird den Bautechniken De l'Ormes, ihrem Einsatz, ihrer Wirksamkeit und ihrem Nachleben eingeräumt. Dabei geht es insbesondere um die in seinen Nouvelles Inventions von 1561 und einem neuentdeckten Brief an Anne de Montmorency, den Connétable de France, erläuterten kostensparenden Dachstühlen aus kleinen Hölzern (Sylvie Le Clech-Charton, Fréderic Aubanton, Valérie Nègre) wie seine Pionierleistungen in der Stereotomie, die hier eine Gegenüberstellung der französischen und spanischen Tradition beleuchtet (José Calvo López).
Die weiteren Beiträge berühren sein Werk nur indirekt. Historische Schriften aus den Jahren 1563 und 1568, der Discours sur le saccagement des églises catholiques, par les heretiques anciens et nouveaux calvinistes de l'an 1562 des Claude de Sainctes und die von Gilles Corrozet herausgegebenen Les antiquitez, histoires, chroniques et singularitez de Paris, halten an der gotischen Tradition als Ausdruck französischer Identität fest, wie es auch De l'Orme durch bestimmte Idiome und Techniken ständig tat (Carmelo Occhipinti). Die dem Mythos der Diana gewidmeten Glasfenster des Schlosses von Anet entstanden in Zusammenarbeit mit Francesco Primaticcio, dem Katharina von Medici 1559 im Amt des surintendant des bâtiments du roi den Vorrang gegeben hatte (Dominique Cordellier). Dass De l'Orme noch im 17. Jahrhundert sowohl die Baukunst als auch die Theorie in Frankreich beeinflusste, verraten die Grande Galerie des Louvre sowie die Schriften von Fréart de Chambray, Claude Perrault und François Blondel (Guillaume Fonkenell, Frédérique Lemerle). Der chronologische Parcours des Bandes endet im späten 19. Jahrhundert mit der Wiederverwendung von Elementen der 1882 abgerissenen Tuileries im Schloss von La Punta in Alata auf Korsika und mit der Verherrlichung De l'Ormes als Inkarnation des nationalen Genies der Renaissance von Seiten des Historikers Léon Palustre (Jacques Moulin, Hadhami Ben Jemaa).
Erweitern die hier vorgestellten Aspekte das Bild des Meisters und der Rezeption seines Werkes, so wird seinen Leistungen als planender und bauender Architekt ziemlich geringes Interesse zuerkannt. Warum eine um den Kern kreisende Methode gewählt wurde, die sich von der langen Tradition der internationalen Kolloquien am CESR entfernt, klärt das Vorwort nicht. Fehlt es nicht an jüngeren monografischen Studien zu einigen seiner Bauten, so steht die Wertung der stilistischen Entwicklung seines Gesamtwerks im europäischen Rahmen noch aus. Dazu wäre es unumgänglich, es zunächst mit den führenden französischen Meistern seiner Zeit, allen voran Jean Bullant und dem Tandem Jean Goujon / Pierre Lescot in Beziehung zu setzen und die Frage gegenseitiger Beeinflussungen auszuloten. Falsche Erwartungen erweckend, sind sie - ebenso wie die wichtigsten Auftraggeber - auf der hinteren Umschlagseite genannt. Einer Kontextualisierung bedürfte es auch für den Premier Tome, der an die seit den frühen 1540er Jahren in Frankreich und Italien erschienenen Traktate anschließt. Diese waren für die Praxis und die stilistische Entwicklung von wachsender Bedeutung und lassen das Wechselspiel von Theorie und Anwendung in schärferen Konturen hervortreten. So bleibt De l'Orme hier autozentrisch in seinem eigenen Radius eingeschlossen, und spätere Forschungen müssen klären, welche Triebfedern seine Entwicklung steuerten, was er anderen Meistern gab und was er ihnen dankte.
Sabine Frommel