Rezension über:

Helena Katalin Szépe: Venice Illuminated. Power and Painting in Renaissance Manuscripts, New Haven / London: Yale University Press 2018, 400 S., 225 Farb-, 25 s/w-Abb., ISBN 978-0-300-22674-4, USD 70,00
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Rezension von:
Daniel Leis
Institut für Kunstgeschichte, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Leis: Rezension von: Helena Katalin Szépe: Venice Illuminated. Power and Painting in Renaissance Manuscripts, New Haven / London: Yale University Press 2018, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 4 [15.04.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/04/32165.html


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Helena Katalin Szépe: Venice Illuminated

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Unter den Zentren der italienischen Renaissance nimmt Venedig einen herausragenden Platz ein und namentlich das 16. Jahrhundert stellt eine unbestrittene Blütezeit der venezianischen Kunst in Malerei, Skulptur und Architektur dar. Die Buchmalerei gehört nicht dazu. Die Überblickswerke zur venezianischen Renaissancekunst kommen ohne sie aus, stehen mit dieser Gewichtung aber nicht allein. Die Kunstgeschichte tendiert grundsätzlich dazu, die Buchmalerei als eine Gattung zu sehen, die mit dem Ende des Mittelalters ausläuft: Ästhetisch sei ihr Format ungeeignet gewesen, die monumentalen Figuren und Kompositionen einer Malerei nach Michelangelo zu fassen und hinsichtlich der Produktion von Büchern habe der Buchdruck die Miniaturmaler verdrängt, da er auf vielfach reproduzierbare druckgrafische Verfahren angewiesen war. Beides ist sicher richtig, aber erstaunlich oft hat die Buchmalerei, hat das individuell gestaltete Buch noch Liebhaber gefunden. Große Chorbücher wurden noch lange durch Miniaturen aufgewertet und bibliophile Auftraggeber ließen Stundenbücher und Familienchroniken ausschmücken. Auch als diplomatische Geschenke waren Miniaturen sehr beliebt, die Aura des Preziösen verband sich mit der Wertschätzung des Buches und dem Objekt zum persönlichen Gebrauch.

Helena Katalin Szépe kommt nun das Verdienst zu, nicht nur eine Gruppe von illuminierten Büchern untersucht zu haben, sondern eine ganze, bislang eher vernachlässigte Gattung zum Gegenstand ihrer Untersuchung gemacht zu haben. Es handelt sich um die sogenannten ducali, aufwändig gestaltete Bücher, die von der dogalen Kanzlei verfasste Amtseide und Aufgabenbeschreibungen wichtiger Funktionsträger des venezianischen Staates enthalten, sowie die Regeln und Statuten, denen ihre Amtsführung unterliegen sollte. Bei den Amtsträgern, für die jene Dokumente in Form illuminierter Bücher zusammengestellt wurden, handelt es sich um den Dogen, die Prokuratoren, die Rektoren und dogalen Berater sowie die Kapitäne jener Handelskonvois, die im Auftrag Venedigs fuhren und deren Frachtraum öffentlich versteigert wurde (Übersicht auf Seite 21). Die Eide der Dogen wurden als promissioni dogali, diejenigen der Prokuratoren als giuramenti, jene der anderen Amtsträger als commissioni bezeichnet. Da es sich um offizielle Dokumente handelte, wurden die Ausgaben zu ihrer Erstellung von öffentlichen Kassen beglichen, was im 16. Jahrhundert zu einem exorbitanten Anstieg der Ausgaben und in der Folge zu einer "Höchstförderung" führte, die aber durch private Mittel aufgewertet werden konnte (140f., bislang nachweisbare Zahlungen sind im Anhang zusammengestellt, 290).

Szépe hat hunderte dieser Manuskripte für ihre Untersuchung herangezogen, die heute auf über 70 Bibliotheken und Archive in Europa und den USA verteilt sind (378-384). Ausdruck des Schicksals, das diese Bücher nach dem Ende der Republik 1797 ereilte, als sie ihre ursprüngliche Funktion eingebüßt hatten und dem Kunstmarkt übergeben wurden, der sie als dekorative Kunstwerke und historische Zeugnisse ebenso begierig aufnahm wie er sie in alle Gegenden zerstreute und sie mitunter auf Einzelblätter reduzierte. Diesem postrepublikanischen Nachleben widmet die Autorin einen eigenen Epilog (259-287).

Die materialreiche Untersuchung, deren zeitlicher Horizont von einer Rückschau ins späte 14. Jahrhundert bis in das erste Viertel des 17. Jahrhunderts reicht, bei einem deutlichen Schwerpunkt im Cinquecento, wurde in ein Buch gebracht, das schon in Umfang und Ausstattung seinem Gegenstand gerecht wird. Der Dreieinhalbpfünder im Quartformat gibt dem Leser das Gefühl, etwas Kostbares in der Hand zu haben. Die vielen Abbildungen der Buchmalereien und ihrer Details befriedigen hinsichtlich Farbigkeit, Leuchtkraft und Auflösung auch hohe Ansprüche.

Solche hatten auch die Auftraggeber der Bücher im Blick, die im Zeitalter wachsender Buchpublikationen und technisch leichter werdender Reproduktion und Vervielfältigung Unikate schaffen ließen. Ein Ausdruck von Individualität nicht nur im Hinblick auf die Buchproduktion der Zeit, sondern auch im Hinblick auf die Inhalte, denn die Amtseide und Kompetenzen der Amtsträger wurden von der Republik Venedig, die stets darauf bedacht war, die Kompetenzen einzelner Amtsträger genau zu regeln, Machtkonzentrationen zu vermeiden und Kontrollmöglichkeiten zu behalten, immer strikter gefasst. Trotzdem verlieren die Ämter nicht an Reiz für das Repräsentationsbedürfnis der Nobilität. Die Ausgestaltung der ducali bot dabei die Möglichkeit, den auferlegten Eid in ein Zeugnis persönlichen Status' und familiärer Erinnerung zu transformieren, ein interessantes Spannungsfeld zwischen persönlicher und genealogischer Repräsentation und dem Zurücktreten des Einzelnen hinter das Amt und seine Rolle im republikanischen Gemeinwesen. Dies anhand der ducali, gerade auch unter Berücksichtigung jener Ämter, die unterhalb des Dogats und der Prokuratoren rangieren, hier erstmals in dieser Fülle aufgearbeitet zu haben, ist das hohe Verdienst dieser Publikation.

Dass sich gerade die aufwändig gestaltete Buchform für eine Ansammlung von amtlichen Dokumenten durchsetzte, erklärt Szépe mit der besonderen Rolle des Buches in der venezianischen Ikonografie, wo es als Attribut sowohl des Markus als auch seines Löwen einen festen Platz hat (41-51). Auch die Bilder der Amtseinsetzung des Dogen zeigen diesen oft vor dem Löwen mit dem offenen Buch. Diese Ikonografie hat die noch im 13. Jahrhundert gebräuchliche Darstellung der Belehnung des Dogen mittels eines Banners abgelöst (89). Auch andere Amtsträger knien vor dem offenen Buch des Löwen oder des Markus, so als würden sie aus diesem den Eid ablesen. Zwar kann die Autorin bei dieser These kein explizites Zeugnis anführen, doch ist die Argumentation innerhalb des venezianischen Kontextes durchaus überzeugend. Auch dass die Autorin dem Buch den Stellenwert eines "monument", im Sinne des lateinischen Verbs monere zuweist, wie er auch für die Grabmäler diskutiert wurde: "to bring to the notice of, to remind, to tell of" (55).

Was die Ausgestaltung der Miniaturen betrifft, so folgen sie einerseits Standards der Buchgestaltung hinsichtlich der ornamentalen Rahmung des Textes durch florale und zoologische Motive, lehnen sich andererseits in den Portraits der Dargestellten an Votivbilder im öffentlichen Raum etwa der Dogen oder Prokuratoren an, die vor Heiligen, besonders natürlich dem Heiligen Markus erscheinen, auch vor der Jungfrau Maria oder der Personifikation der Venetia/Justitia, mitunter begleitet von anderen Tugenden. Die Hintergründe bilden oft Ausblicke auf Landschaften, die im Falle der rettori, den Gouverneuren venezianischer Territorien, mit deren tatsächlicher Landschaft in Verbindung gebracht werden können.

Szépe behandelt ferner die Entwicklung der Ausgestaltung der ducali, wobei diese auch in den Kontext anderer Bildmedien der Ämterrepräsentation eingeordnet werden. Immer wieder greift die Autorin weitergehende Fragen auf, etwa nach den Miniaturisten, von denen nur wenige bislang greifbar sind (69-70).

Ausführlich analysiert sie die Bildprogramme, ordnet diese in die sich wandelnde Staatsideologie und Staatsikonografie des 16. Jahrhunderts ein, die auch durch zeitgenössische Ereignisse beeinflusst wurden, etwa den vorrübergehenden Verlust der Terrferma 1509, die renovatio urbis genannte Reformen unter dem Dogat Andrea Grittis 1523-38 (60-64) oder die Schlacht von Lepanto 1571 (232-247). Dieses an sich gut erforschte Feld verknüpft sie mit ihrer Objektgruppe, gibt Fallbeispiele für die Dogen Antonio Grimani 1434-1523 (104-111) und Francesco Venier 1489-1556 (111-113). Gerade durch die Betrachtung aller ducali wird so auch die Struktur des venezianischen Staates in seinen der Nobilität zugänglichen Ämtern fassbar.

Etwas bedauerlich ist, dass die Autorin ihre Arbeit mit den Betrachtungen zum Verbleib der Manuskripte und Einzelblätter auslaufen lässt und auf eine abschließende Würdigung ihres Gegenstandes verzichtet. So bleibt denn angesichts der Materialfülle und der akribischen Erschließung gerade durch den umfangreichen Apparat (288-400) als möglicher Kritikpunkt dem deutschen Rezensenten eher die Suche nach der Fragestellung einer Arbeit, die sich schon in der Einleitung im Einzelbeispiel verliert. Aber das mag zu sehr von deutschen Forschungspraktiken und Publikationsgewohnheiten her gedacht sein. Wem es gelingt, sich davon freizumachen, erhält mit Szépes Buch eine außergewöhnliche Materialbasis mit vielen exzellenten Abbildungen und klugen Deutungen, die in keiner gut sortierten Venedigbibliothek fehlen sollte.

Daniel Leis