Christina Abel: Kommunale Bündnisse im Patrimonium Petri des 13. Jahrhunderts (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom; Bd. 139), Berlin: De Gruyter 2019, 597 S., 3 s/w-Abb., 2 Tbl., ISBN 978-3-11-064582-8, EUR 129,95
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Für das Jahr 1198 berichten die Gesta Innocentii III, dass die toskanischen Städte zum Zweck der gegenseitigen Unterstützung gegen die Tyrannei der "Alamannen" einen Bund initiierten, dem sich auch die Kommunen aus dem Dukat Spoleto und dem Patrimonium Petri in Tuszien anschlossen. Die societas hätte fortan von einem mit finanziellen Mitteln ausgestatteten Rektorengremium koordiniert werden und die römische Kirche bei der Rekuperation ihres Besitzes unterstützen müssen und keinen König ohne päpstliche Zustimmung annehmen dürfen. Der sog. Tuskenbund nimmt in der Geschichte Mittelitaliens eine durchaus bedeutende Stellung ein, nicht zuletzt, weil die Einigung im Rahmen der Rekuperationspolitik Innozenz' III. eine nicht unwesentliche Rolle spielte. Ungeachtet der Tatsache, dass der Tuskenbund eine Ausnahme blieb - alle späteren Stadtbündnisse im Kirchenstaat waren nicht mit einem Rektorengremium und entsprechendem Budget ausgestattet -, diente er als Auslöser für einen Entwicklungsprozess, nämlich das städtische Bündniswesen im Kirchenstaat, der das spätmittelalterliche interkommunale Zusammenleben dieser Region nachhaltig prägte.
Obwohl einzelne Bündnisse als bereits gut erforscht gelten, fehlte bis dato eine Gesamtuntersuchung des Phänomens in seinen vielfältigen diplomatischen, politischen und überlieferungsgeschichtlichen Facetten sowie eine Bewertung von dessen Bedeutung für die Geschichte des hoch- und spätmittelalterlichen Kirchenstaates. Diese Forschungslücke wird durch die vorliegende Monographie geschlossen. Dabei handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung einer 2017 abgeschlossenen, von Matthias Thumser betreuten Berliner Dissertation.
Im einleitenden Kapitel geht Christina Abel auf die Quellen- und Forschungslage ein und definiert den zeitlichen, räumlichen und methodisch-theoretischen Rahmen ihrer Arbeit. Der Fokus liegt auf den städtischen Bündnissen und Einigungen, die von Kommunen des Dukats Spoleto und der Mark Ancona im Laufe des 13. Jahrhunderts geschlossen wurden, wobei besondere Aufmerksamkeit - u.a. aufgrund der günstigen Überlieferungslage und der prominenten Stellung im Rahmen des mittelitalienischen Ordnungsgefüges - der Stadt Perugia gewidmet wird. In der Einleitung werden zudem die von Peter Moraw für den deutschen Raum geprägte Unterscheidung zwischen Bünden und Bündnissen, eine Kategorisierung, die sich auf die italienische Halbinsel nicht ohne Weiteres übertragen lasse (36-41), sowie die Vorstellung eines "sanften Joches" der Päpste (41-49), die eine Ausgangshypothese der Studie bildet, diskutiert.
Das Werk gliedert sich in zwei vom methodischen Ansatz und Erkenntnisziel her klar getrennte Hauptteile, auf die ein gewichtiger Appendix folgt, der wiederum in drei Teile geteilt wird. Der erste, 122 Seiten umfassende Anhang (389-522) bietet ein chronologisch organisiertes Verzeichnis der 115 Bündnisse, an denen zwischen 1191 und 1301 diverse Kommunen Umbriens und der Marken beteiligt waren. Die einzelnen Einträge enthalten Angaben zur Entstehungszeit der jeweiligen societas, den beteiligten Kommunen, den Vertragsbestimmungen samt eventuellen Ergänzungen und Änderungen sowie Hinweise auf Drucke, Editionen, Regesten, Literatur und - im Fall unerschlossener Verträge - auf Quellen und archivalische Funde. Das Verzeichnis - das Resultat umfangreicher und mühsamer Grundlagenforschung im besten Sinne des Wortes - bildet nicht nur die Quellengrundlage der vorliegenden Studie, sondern erweist sich als eine wertvolle Basis für künftige Beschäftigungen mit dem Thema. Dies gilt freilich auch für den von der Verfasserin in Kauf genommenen Fall, dass weitere archivalische Untersuchungen neue Funde ans Licht bringen werden.
Der erste Hauptteil zeichnet sich durch einen synchron-analytischen Ansatz aus, denn hier werden die kommunalen Bündnisse Umbriens und der Marken aus der Perspektive der politischen Praxis und der notariellen bzw. kommunalen Schriftlichkeit analysiert. Ein erster Abschnitt (Kap. I.1) thematisiert den Weg zum Bündnisvertrag, der als Abschluss einer Reihe von "Entscheidungen, Kommunikationsakten, Verschriftlichungen und zeremoniellen Handlungen innerhalb der Kommunen und zwischen ihren Repräsentanten" charakterisiert wird (57). Zur Erläuterung des kommunalen Bündniswesens Mittelitaliens übernimmt Abel die von Gerhard Dilcher entwickelte typologische Unterscheidung der Bündnisse in solche, die zur Realisierung eines spezifischen, aktuellen Zieles geschlossen wurden und solche, die einen gewissen Status zwischen den Kommunen festlegen sollten (61). Als dritten Typus benennt sie die societates, die auf Druck des Papstes oder des Kaisers hin entstanden (68).
Der Ablauf der Kommunikation im Vorfeld eines Bündnisvertrags von der ersten Kontaktaufnahme bis zum Aufsetzen der Bündnisurkunde und der Berichterstattung der ambaxatores vor der Ratsversammlung wird idealtypisch in sechs Phasen zerlegt und in einem gesonderten Unterkapitel rekonstruiert (Kap. I.1.3). Zwei weitere Abschnitte des ersten Hauptteiles sind dem Bündnis als schriftlicher Vertrag sowie der Archivierungspraxis und der Umsetzung gewidmet (Kap. I.2 und I.3): Von dem zumindest theoretisch als stipulatio zwischen eigenständigen actores konzipierten Vertrag lagen zumeist Mehrausfertigungen für die einzelnen Partner vor; der Vertrag selbst war als societas bezeichnet, inhaltlich bestand er in den meisten Fällen aus einer Eingangsformel - der sog. ad-honorem-Formel - und einem in der subjektiven Eidfassung oder der objektiven Wiedergabe des Geschehens gehaltenen dispositiven Teil mit ausführlichen Bestimmungen. Letztere regelten eine Vielzahl an Angelegenheiten, von militärischen Aspekten bis hin zu den Rechten und Pflichten einzelner vom Vertrag betroffener Menschen, von der Vermeidung von Konflikten innerhalb der societas hin zu den Beziehungen zu Dritten. Obwohl die meisten Verträge ein Verfallsdatum hatten, sprechen die sorgfältige Aufbewahrung zahlreicher Originale sowie die reichhaltige kopiale Überlieferung für die Bedeutung dieser Akten im Rahmen des kommunalen Lebens: Da eine übergeordnete Gerichtsinstanz fehlte, hatten die Verträge in ihrer Eigenschaft als Beweisurkunde während ihrer Laufzeit sowie darüber hinaus einen großen Wert und konnten zu späteren Zeitpunkten als Vorlagen für neue stipulationes herangezogen werden.
In der zweiten Hauptsektion der Studie kommt eine andere Perspektive zum Tragen: Der Ansatz ist hier eher diachron und synthetisierend. Perugia, die wichtigste Stadt Umbriens, rückt in den Mittelpunkt. Die zahlreichen Bündnisse, an denen diese Kommune beteiligt war, ließen sich laut Abel sowohl chronologisch als auch funktionell in drei Gruppen einteilen, denen drei Phasen in der Geschichte der Kommune, des Kirchenstaates und der Verhältnisse zwischen der Stadt und dem apostolischen Stuhl entsprechen. Die Verträge des ersten Drittels des 13. Jahrhunderts waren von der noch nicht erfolgten institutionellen und sozialen Konsolidierung der Kommune und dem ebenso noch nicht abgeschlossenen Prozess der Ausbildung des Kirchenstaates geprägt (Kap. II.1). Sie standen zumeist im Zeichen der Herstellung bzw. Wiederherstellung des Friedens. Konzeptionell gesehen waren sie nie gegen den Aufbau des päpstlichen Patrimoniums gerichtet, zumal es den Päpsten dieser Zeit gelang, die eigene Herrschaft als ein die städtische Autonomie nicht einschränkendes iugum suave zu präsentieren. Die Kooperation zwischen Perugia und dem Papsttum wurde in den mittleren Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts fortgesetzt: In dieser Phase hatten die meisten societates Perugias einen anti-staufischen Charakter, obwohl die Quellenlage laut der Verfasserin nicht zulässt, hier von "leghe guelfe" zu reden (Kap. II.2, hier 295). Im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts schloss Perugia eindeutig weniger Bündnisse ab. Dafür blieben die geschlossenen Verträge länger bestehen. Einige von ihnen - allen voran die gegen Foligno gerichteten societates - waren im Sinne der aggressiven Hegemonialpolitik der Kommune (Stichwort: pax Perusina), was zum ersten Mal zu Spannungen mit dem apostolischen Stuhl führte (Kap. II.3). Dies sei insofern als eine Zäsur zu bewerten, als die meisten bisherigen Bündnisse Perugias der Stabilisierung und Erhaltung der regionalen Oberherrschaft der Päpste gedient hatten (379).
Auf den zweiten Hauptteil folgen der bereits erwähnte Anhang mit dem Verzeichnis der untersuchten Bündnisse, zwei kleinere Anhänge mit Karten und eine tabellarische Übersicht der Verträge, ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Ortsregister. Letzteres schließt den Band ab. Von ganz wenigen Wiederholungen und eher vagen Begrifflichkeiten abgesehen - oft ist z.B. von kaiserlicher Herrschaft im Allgemeinen die Rede, stattdessen hätte man konkrete Akteure und Ziele benennen können -, ist die Studie eine sehr gute Nachricht für die Konflikt-, Kommunal- und Papsttumsforschung. In beiden Hauptteilen gelingt es Abel, die Quellen souverän auszuwerten und in deren Entstehungskontext einzubetten. Wenn sie sich gezwungen sieht, aus unterschiedlichen Quellen allgemeine Schlüsse zu ziehen, lässt sie eine gesunde Skepsis walten und problematisiert stets die erzielten Ergebnisse. Auch die Frage nach der Verzerrung der Perspektive durch die Überlieferung wird immer wieder thematisiert, was für ausgeprägte methodische Sensibilität spricht und in den Studien zum 13. Jahrhundert nicht selbstverständlich ist. Hervorzuheben ist vor allem eines der wesentlichen Resultate der Arbeit: Dass die Päpste sich immer wieder auf kommunale Bündnisse stützten, sei nicht als Zeichen des Scheiterns papaler Herrschaftsorganisation zu deuten, sondern es entspreche den Ressourcen und Möglichkeiten einer mittelalterlichen Ordnungsinstanz. Dabei handelt es sich um einen Befund, in dessen Licht mehrere Entwicklungen der mittelitalienischen Geschichte (nicht nur des hohen und späten Mittelalters) neu interpretiert werden könnten. Nicht nur aus diesem Grund ist dem Werk eine weite und breite Rezeption durch die internationale Forschung zu wünschen.
Étienne Doublier