Rolf Bidlingmaier: Altes Schloss und Neues Schloss in Oettingen. Adelige Repräsentation im Hochbarock in familiärer Konkurrenz, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2020, 128 S., 98 Farb-, 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-7319-1083-1, EUR 22,95
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Der schmale Band zum Alten Schloss und Neuen Schloss in Oettingen (Landkreis Donau-Ries) stellt vorwiegend erstmals publizierte Schrift- und Bildquellen bereit. Er erschließt der Kunstgeschichte zwei Bauwerke, die nahezu gleichzeitig in derselben Stadt von derselben Familie, jedoch in Konkurrenz der fürstlichen evangelischen Linie Oettingen-Oettingen zu der gräflichen katholischen Linie Oettingen-Spielberg errichtet wurden. Mit einem Baubeginn im Jahr 1672 repräsentieren sie die im Südwesten des Heiligen Römischen Reichs an Denkmälern arme und deshalb nicht gut erforschte Zeitspanne zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und dem Residenzen-Bauboom um 1700. Besonderer Wert kommt der Untersuchung auch deshalb zu, weil Albrecht Ernst I. von Oettingen-Oettingen 1672-80 am Alten Schloss einen neuen Flügel als Saalbau mit Kaiserzimmern im ersten und einem Kaisersaal im zweiten Obergeschoss anbauen ließ. Bidlingmaier ist im Archiv auf bislang falsch zugeordnete Entwürfe zur Stuckausstattung gestoßen, die zusammen mit einer schon länger bekannten Ansicht des Saals von 1720 von Johann Andreas Thomas das Bild der reichsfürstlichen Kaisersäle des 17. und 18. Jahrhunderts bereichern. Das Alte Schloss wurde 1849 komplett abgebrochen.
Die Frage, ob das gleichzeitige Bauen stärker von der konfessionellen oder von der ständischen Konkurrenz der beiden Linien beeinflusst wurde, beantwortet der Autor aus der Zunft der Historiker zugunsten der Standeserhöhung. Sie gelang Fürst Albrecht Ernst 1674 mithilfe seines Schwiegervaters, des Herzogs von Württemberg, und als Ergebnis seiner parallel begonnenen Bautätigkeit. Die konfessionellen Unterschiede bewertet der Autor hingegen gering (120), da beide Linien den württembergischen Baumeister Matthias Weiß und den Wessobrunner Stuckateur Matthias Schmuzer beschäftigten. Außerdem wandten sich beide für die bildliche Ausstattung an die Freien Reichsstädte Nürnberg und Augsburg mit ihrem reichen Angebot an zünftischen und nichtzünftischen Malern. Das Ergebnis ist ausgesprochen wertvoll, doch hätte man sich aus kunsthistorischer Sicht eine Erhebung auf breiterer Basis gewünscht. So hätte man differenzierteren Aufschluss über die dennoch bestehenden Unterschiede der typologischen Verortung und der bildlichen Argumentation gewinnen können. Zudem wäre man der offensichtlichen Gattungsspezifik der damaligen Realisierungswege gerecht geworden.
Ein gewichtiger Unterschied besteht beispielsweise darin, dass Albrecht Ernst I., dem das bis ins Mittelalter zurückreichende Alte Schloss gehörte, nicht das gesamte Konglomerat regularisierend erneuerte, sondern mithilfe des Saalbaus zur unregelmäßigen Vierflügelanlage schloss. Der Wunsch, das ererbte Schloss durch das Statussymbol eines großen, ikonografisch aufzuladenden Saals zu ergänzen, lässt sich schon vor dem Dreißigjährigen Krieg mehrmals beispielsweise bei den Grafen von Hohenlohe konstatieren. Die katholische Linie baute in dieser Hinsicht moderner, aber auch kleiner, indem sie in der Art eines Palazzo (man vergleiche etwa das Palais Starhemberg am Minoritenplatz in Wien) den großen Saal in einen reinen Neubau integrierte. Eine gute Beobachtung stellt der Sachverhalt dar, dass der Baumeister Matthias Weiß offenbar Schwierigkeiten hatte, große Treppen aus Stein in seine Grundrisse zu integrieren, und dass das Treppenhaus des Neuen Schlosses einen Anbau von anderer Hand darstellt (80-82).
Zu kurz kommt in der Studie von Bidlingmaier die für Deutungen doch stets sehr dankbare Quelle der Ikonografie. Der Kaisersaal des Alten Schlosses besaß an der Decke einen Jupiterzyklus, ergänzt durch die schriftlich überlieferten vier Erdteile mit Tieren (vergleiche etwa den gestochenen Zyklus nach Maarten de Vos). Im zentralen Deckengemälde, dessen Gegenstand auf der Zeichnung von 1720 sehr gut zu erkennen ist, war Jupiter mit Adler und Blitzbündel dargestellt. In den Zwickeln der Stuckausstattung hat man den auf dem Entwurf allein dargestellten Raub der Europa wahrscheinlich mit drei weiteren Liebschaften des Göttervaters zu ergänzen. Das Reich Jupiters fußte auf Kaiserstatuen an den Wänden, die, worauf Bidlingmaier ausführlich eingeht, in einer Beschreibung von 1741 als Familienbilder bezeichnet werden (38-39). Entgegen ihrer Darstellung auf der Zeichnung von 1720 und entgegen späterer Vergleichsbeispiele (Hohenaschau) waren sie möglicherweise gemalt (wie in Bamberg), nicht stuckiert. Ikonografisch zugehörig zu Jupiter wurde im Hof ein Herkulesbrunnen aufgerichtet. Der tugendhafte Halbgott Herkules, der in Oettingen gegen die Hydra kämpft, stellte mit seiner Aufnahme in den Olymp eine gängige, offenbar auch von Albrecht Ernst bemühte reichsfürstliche Identifikationsfigur dar. Als Maler im Alten Schloss ist durch eine Vitensammlung von 1730 der über elf Jahre in Italien erfahrene Johann Murrer aus Nürnberg überliefert (91).
Die Appartementstrukturen des Alten Schlosses lassen sich nicht mehr rekonstruieren. Doch fällt die große Zahl der in den Quellen erwähnten stuckierten Alkoven auf, teilweise mit skulptierten Standfiguren. Man hat sie sich vermutlich in der Art der Stiche von Jean Lepautre vorzustellen. In beiden Schlössern wurden die großen Säle im zweiten Obergeschoss errichtet, was einmal mehr diese im 17. Jahrhundert übliche Praxis bestätigt. Im Alten Schloss, wo unmittelbar unter dem Saal die Kaiserzimmer lagen, führte dies zu der technisch kompromissbehafteten Situation, dass die Rauchabzüge in den Außenwänden verliefen und die Öfen zumindest im Kaisersaal von kleinen Balkonen aus bestückt wurden.
Das Neue Schloss wurde von der verwitweten Gräfin Ludovika Rosalie von Oettingen-Spielberg, geborene Prinzessin von Attems, für ihren Sohn Johann Wilhelm errichtet. Die Deckengemälde stammen von dem berühmten, damals schon über 70-jährigen Johann Heinrich Schönfeld aus Augsburg und dessen Schüler Johann Georg Knappich. Die Quellen zu dem 1681 über 340 Gulden abgeschlossenen Akkord hat Bidlingmaier übersichtlich zusammengestellt. Bemerkenswert bei der inneren Austeilung des Neuen Schlosses ist ein Paradeschlafzimmer an der dem Schloss-Vorplatz zugewandten Südseite. Es zeigt im Alkoven die Personifikationen des Traums (mit Pfeil) und der Nacht mit ihren beiden Kindern Schlaf und Tod (nicht Venus und Amor, 89), im Raum davor, ausgesprochen martialisch, den Sieg der Tugend über das Laster. Die Front des Alkovens in ihrer heutigen Form wurde allerdings erst 1717 stuckiert, sodass in Anbetracht der vom Flur bis zum Fenster reichenden Decke des Alkovens und der einstigen Tür zum Flur die Vermutung naheliegt, dass es sich ursprünglich um zwei getrennte Räume, nämlich Audienzzimmer und Schlafzimmer handelte. Damit wäre das Prunkappartement des Neuen Schlosses identifiziert, zu dem ein Vorzimmer (heute Grünes Zimmer) gehörte, das man vom großen Saal aus betrat. Auf das Vorzimmer mit einer zusätzlichen Tür zum Flur und an der Decke der Darstellung von Apoll musagetis von Schönfeld folgen dann als Hauptraum das Audienzzimmer und das deutlich kleinere, nicht als Paraderaum zu denkende Schlafzimmer.
Abgesehen von der umfangreichen, übersichtlich dargelegten Quellenarbeit profitiert der Leser von grundlegenden Erkenntnissen des Historikers. So zum Beispiel der Hinweis, dass den Gradmesser für das Ansehen einer Grafenfamilie im Alten Reich die Heiratsverbindungen in fürstliche Häuser bildeten (13). Ein Stammbaum des Hauses Oettingen mit partiell nachgetragenen Heiratsverbindungen schließt das Buch ab.
Ulrike Seeger