Wolfgang Krieger: Die deutschen Geheimdienste. Vom Wiener Kongress bis zum Cyber War (= C.H. Beck Wissen; 2922), München: C.H.Beck 2021, 128 S., ISBN 978-3-406-76432-5, EUR 9,95
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Wolfgang Kriegers Einführungsband zur Geschichte der deutschen Geheimdienste vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart liest sich als der gelungene Vorstoß, den Deutschen die Aufgaben ihrer Nachrichtendienste historisch problematisierend etwas näherzubringen. Krieger ist emeritierter Professor der Universität Marburg und ein renommierter Kenner der Materie, wovon zahlreiche Aufsätze und Bücher zeugen, unter anderem eine Universalgeschichte der Geheimdienste. [1] Als Mitglied der Unabhängigen Historikerkommission (UHK) zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) verantwortet er das Großprojekt mit, das seinen Materialreichtum aus dem weitgehend freien Zugang zum BND-Archiv in mittlerweile zwölf Bänden entlädt.
In diesem Gremium tobt derzeit eine heftige, öffentlich geführte Kontroverse, in der Krieger seitens der übrigen drei Kommissionsmitglieder Jost Dülffer, Klaus-Dietmar Henke und Rolf-Dieter Müller ungewöhnlich scharfe Kritik für seine Monographie "Partnerdienste. Die Beziehungen des BND zu den westlichen Geheimdiensten 1946-1968" [2] erfährt: Während sie ihm unter anderem schwere handwerkliche Fehler attestieren, sieht Krieger in der Kritik vornehmlich "ideologische Differenzen". [3] Allerdings schließen sich auch andere Rezensenten den Kritikern ganz oder teilweise an. [4] Die Kritikpunkte der Kommissionsmitglieder sind im Hinblick auf die hier zu besprechende Veröffentlichung, die kaum mit der umstrittenen Monographie Kriegers vergleichbar ist, besonders im Fokus.
Im zu besprechenden Einführungsband folgt Kriegers skizzenhafte, aber deutlich konturierte Darstellung der Methode, anhand einzelner Beispiele "grundsätzliche Fragen und durchgängige Themen" der Geheimdienste "anschaulich zu machen". (9) Dies ist im Hinblick auf den ausgreifenden Untersuchungszeitraum und den Einführungscharakter des Buches sinnvoll. Darüber hinaus macht er so das Beste aus dem heterogenen Forschungsstand, der an vielen Punkten der Geheimdienstgeschichte kaum mehr zulässt. Als Leitmotiv dient eine Neuauflage der Sonderwegsthese: Allein in Deutschland würden Nachrichtendienste "als skandalanfälliges, notwendiges Übel [...], das möglichst starken Kontrollen zu unterwerfen sei", betrachtet, während alle anderen westlichen Nationen sie als "selbstverständliche[n] Teil moderner Politik" nutzten. (9) Gründe für beide Sichtweisen liefert Krieger auf den folgenden 126 Seiten - und kommt dann zu einem überraschend einseitigen Urteil zugunsten der Nachrichtendienste.
Der Aufbau des Buches spiegelt die Brüche deutscher Geschichte wider: Die einzelnen Kapitel nach dem knappen Problemaufriss folgen in erster Linie den jeweiligen politischen Verfasstheiten (Deutscher Bund und Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Regime, Bundesrepublik, DDR). Ein Kapitel schildert Kontinuitäten und Neuanfänge in der Zeit zwischen "Drittem Reich" und Bundesrepublik. Den Abschluss bilden die Entwicklungen ab 1990 und ein Ausblick. Dabei zeigen sich Ungleichgewichte, die Krieger dem Forschungsstand anlastet: Der BND und sein Vorgänger, die "Organisation Gehlen", erhalten 26 Seiten, die Verfassungsschutzämter und der Militärische Abschirmdienst zusammen bloß fünf. Zum Vergleich: Die sehr gut erforschten Geheimdienste der DDR erhalten neun Seiten. Hier zeigt sich also zumindest auch eine legitime Schwerpunktsetzung und nicht bloß eine forschungsbedingte Einschränkung.
Anhand der am historischen Längsschnitt orientierten Struktur wird der schillernde Charakter von Geheimdiensten deutlich. Das zeigt sich etwa am Beispiel des Übergangs vom NS-Regime zur Bundesrepublik im treffend "Sicherheit mit Otto John und Reinhard Gehlen" überschriebenen Kapitel: Viele Ehemalige der aufgeblähten Geheimdienste fanden nach Jahren des Wirkens für "Repression, Ausbeutung, Verfolgung und Vernichtung im Rahmen der NS-Rassenpolitik" (49) beim Vorgänger des BND eine neue Beschäftigung, teils um Verbindung zu SS-Zirkeln und Untergrundorganisationen zu halten. (59) Getragen wurde die "Org" durch die Amerikaner, die sich so eine weitere Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Entwicklung der Bundesrepublik sichern wollten. Gehlen usurpierte die Rolle eines Inlandsgeheimdienstes, beeinflusste mediale Berichterstattung und handelte mit pikanten Informationen über Freunde und Feinde Adenauers. Freiwillig beendete der BND dieses Treiben nicht: Erst der Verratsfall des Heinz Felfe, der sich wegen seiner NS-Vergangenheit in sowjetische Dienste hatte pressen lassen, zwang den BND zu einer (eingeschränkten) Entnazifizierung. Eine Entmachtung Gehlens durch Adenauer im Zuge der Spiegel-Affäre verhinderten die Amerikaner. Die Große Koalition brachte nach dem Abgang Gehlens Reformen auf den Weg, die die gröbsten Auswüchse im BND zurückstutzten.
Während die Darstellung der nachrichtendienstlichen Aufgaben sich vor allem auf Formen der Informationsgewinnung fokussiert, erhält auch der Zusammenhang zwischen geheimdienstlichen Operationen und Militärstrategie etwas Raum. So versuchten deutsche Spione im Ersten Weltkrieg, die Vereinigten Staaten durch verheerende Anschläge und Aufwiegelung politischer Unruhen vom Kriegseintritt abzuhalten. Damit trugen sie aber erheblich zum Gegenteil bei. Hier wünschte man sich Fußnoten mit Literaturverweisen zur Vertiefung, auf die aber in dieser Reihe verzichtet wird.
Ebenfalls in den Ersten Weltkrieg fällt der nachrichtendienstliche Erfolg, mit der Förderung der Bolschewiki den Zusammenbruch der russischen Kriegsanstrengungen erheblich beschleunigt zu haben. Dies bezeichnet Krieger als "Pyrrhussieg, der sieben Jahrzehnte kommunistischer Gewaltherrschaft in Europa und die deutsche Teilung hervorbrachte". (29 f) Während diese Darstellung das Grundproblem nicht-intendierter Konsequenzen geheimdienstlicher Operationen klar herausstellt, geht diese Bewertung der Effekte nachrichtendienstlicher Aktivitäten zu weit.
Während Krieger bei der Vielzahl von Namen, Begriffen und Entwicklungen fast immer auch für Laien verständlich schreibt, gibt es kleinere Ausnahmen: So wird etwa die Bedeutung Rudolf Diels' im Wust von organisatorischen Maßnahmen der Nationalsozialisten zur Entstaatlichung und Vereinnahmung der Nachrichtendienste nicht deutlich.
Die beiden Abschlusskapitel führen vom Ende des Kalten Kriegs in die Gegenwart und hätten auch als ein Kapitel geschrieben werden können. Sie lesen sich als Verriss liberal fundierter Politik als naiv und, damit einhergehend, ihres Umgangs mit Nachrichtendiensten als verantwortungslos. Mag hier Kritik angebracht sein, so befremdet doch die Einseitigkeit der Argumentation. Sie zeigt sich weniger als unvoreingenommener Versuch, deren Agieren zu verstehen, denn als unkritische Übernahme der Positionen der Nachrichtendienste, deren realistischer Schule Krieger sich zurechnet. [5]
Insgesamt ist Krieger jedoch eine konzise Überblicksdarstellung gelungen, die viele Perlen des historischen Forschungsstands enthält. Seine thematischen Schlaglichter auf die deutsche Geheimdienstgeschichte machen die Lektüre leicht und gut verständlich. Die aus der BND-Kommission heraus beanstandeten Inhalte des UHK-Bandes finden sich in diesem schmalen Überblickswerk nicht wieder. So wurde moniert, dass Krieger die "komplette amerikanische Durchdringung des deutschen 'Partners'" [6] nicht genügend würdige. Im Abschnitt des hier besprochenen Buchs "Im Sold der Amerikaner" erscheint sie hingegen angemessen dargestellt. [7] Auch trotz der in den letzten Kapiteln durchscheinenden Nähe zu Positionen der heutigen Nachrichtendienste seien Wolfgang Kriegers Einblicke in Themen und Grundprobleme der Sicherheitsvorsorge allen Interessierten zum Einstieg empfohlen.
Anmerkungen:
[1] Wolfgang Krieger: Geschichte der Geheimdienste. Von den Pharaonen bis zur NSA, 3. Aufl., München 2004.
[2] Auf der Seite der Unabhängige Historikerkommission (UHK), online: http://www.uhk-bnd.de/?page_id=207 (letzter Zugriff 15.04.2021)
[3] Klaus Wiegrefe: Historiker über Deutschlands Geheimdienst: "Beim BND waren Massenmörder, da gibt es nichts zu beschönigen", in: Der Spiegel, 31.01.2021. Online: https://www.spiegel.de/geschichte/bundesnachrichtendienst-beim-bnd-waren-massenmoerder-da-gibt-es-nichts-zu-beschoenigen-a-1d7ec7ab-5fd0-442d-8446-0b00dd77d0a7 (letzter Zugriff 15.04.2021)
[4] Armin Wagner: Rezension zu: Wolfgang Krieger, Partnerdienste. Die Beziehungen des BND zu den westlichen Geheimdiensten 1946-1968, Berlin 2021, in: H-Soz-Kult, 14.04.2021, www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-95730 (letzter Zugriff 14.04.2021); Willi Winkler, "Pullacher Peinlichkeiten", in: Süddeutsche Zeitung, 8. Februar 2021, 22.
[6] Auf der Seite der Unabhängige Historikerkommission (UHK): Jost Dülffer / Klaus-Dietmar Henke / Rolf-Dieter Müller: Memorandum zu Krieger "Partnerdienste", online: http://www.uhk-bnd.de/wp-content/uploads/2021/01/KRIEGER-CIA-Kritik.pdf (letzter Zugriff: 21.04.2021).
[7] Vergleiche mit http://www.uhk-bnd.de/wp-content/uploads/2021/01/KRIEGER-CIA-Kritik.pdf, (letzter Zugriff 14.04.2021), 2.
Carsten Richter