Benedikt Hotz: Litterae apostolicae. Untersuchungen zu päpstlichen Briefen und einfachen Privilegien im 11. und 12. Jahrhundert (= Münchner Beiträge zur Geschichtswissenschaft; Bd. 9), München: Utz Verlag, 280 S., ISBN 978-3-8316-4696-8, EUR 59,00
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Bei dem hier zu besprechenden Werk handelt sich um die Druckfassung einer im Jahr 2017 an der LMU München eingereichten Dissertation, die wohl recht eindeutig dem Genre der 'pragmatischen' Qualifikationsarbeiten zuzuordnen ist. Gleichwohl hat sich Hotz ein großes und wichtiges Thema der Diplomatik vorgenommen, indem er die Litterae apostolicae auf ihre Entstehung und Entwicklung hin befragt. Die seit dem frühen 13. Jahrhundert schriftlich fixierten Kanzleiregeln der Kurie werden hier einleuchtend als Endpunkt eines Ausformungsprozesses bestimmt, der seinen Anfang bei den internen Reformen während des Pontifikats Leos IX. (1048-1054) nahm. Der Quellenbestand aus diesen knapp zweihundert Jahren hat bislang vor allem in kleineren Einzelstudien Aufmerksamkeit erfahren und zeigt sich nicht nur zahlenmäßig recht disparat. Er weist auch einen so großen Variantenreichtum inhaltlicher wie formaler Aspekte auf, dass das Verhältnis der am Ende unterscheidbaren litterae cum filo canapis und litterae cum filo serico zu den älteren, einfachen und nicht genormten 'Papstbriefen' äußerst komplex ist. Um hier eine händelbare und gleichzeitig möglichst integrative Materialbasis von einfachen Privilegien zu bestimmen, wird das Kriterium des Fehlens von Rota und Monogramm im Eschatokoll gewählt. Auf diese Weise definiert Hotz eine Gruppe von "rund 300 Urkunden und Briefe[n]" (36), aus denen sich eine langsame Konzentration auf die schließlich festgesetzten Formen ableiten lässt. Um hier die Informationen zu Form und Inhalt der einzelnen Stücke geordnet, erweiterbar und untereinander verknüpfbar zu speichern, wurde eine XML-Datenbank angelegt. Zugunsten eines individuell entworfenen Auszeichnungsschemas hat Hotz dabei allerdings auf die TEI-Standards verzichtet, um so auch graphische Elemente leichter beschreiben zu können und seine Datenbank zu einem rasch und flexibel befüllbaren Auswertungswerkzeug zu machen.
Das Hauptaugenmerk der Untersuchung liegt auf den Urkunden aus der Zeit zwischen 1049 und den 1180ern, anhand derer die paläographischen, inhaltlichen und materiellen (Größe des Beschreibstoffs, Einrichtung der Seite, Siegelschnur) Bestandteile der Urkunden untersucht und in ihren unterschiedlichen Kombinationen erfasst werden. Zahlreiche Abbildungen sowohl einzelner Elemente (im Text) als auch ganzer Urkunden (im Anhang) verdeutlichen das Beschriebene, ebenso eine Tabelle von 196 "nicht-feierlichen" Urkunden (221), die das wichtige Merkmal der Completio aufweisen und in Abbildung eingesehen werden konnten. Als ein wichtiger Faktor der Kombinationsvarianten wird wiederkehrend die kommunikative Funktion des Textes betont, die seine Form zunehmend bestimmte. Eingebettet in die Ausgestaltungsprozesse der Kurie zum 'Verwaltungsapparat' erweist sich der Aufschwung des Dekretalenwesens und der Delegationsgerichtsbarkeit in der Mitte des 12. Jahrhunderts als Katalysator dieser Entwicklung. Die im frühen 13. Jahrhundert akzeptierten Formen sind also das Ergebnis einer Abfolge von praktikablen, funktionalen und repräsentativen Gestaltungsentscheidungen, die einem zunehmend globalen Anspruch professionalisierter Einflussnahme gerecht werden mussten.
Der argumentative Weg zu diesem zweifellos wichtigen Ergebnis einer Arbeit, die zudem in den eher selten bespielten, aber umso wichtigeren Bereich der Grundwissenschaften und Digital Humanities fällt, lässt sich hingegen nur mühsam beschreiten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass in einer Analyse von Zusammenhängen zwischen Form und Inhalt einer bestimmten Textgattung die eigene Form den eigenen Inhalt so wenig unterstützt. So ist zunächst der allzu sparsame Einsatz von Absätzen zu beklagen, wodurch Gedankengänge oft unklar voneinander getrennt oder zentrale Zwischenergebnisse im monolithischen Text versteckt sind. Auch die (nicht durchnummerierten) Überschriften geben eher eine Ahnung als eine klare Auskunft über den roten Faden der Arbeit. Dieser scheint allerdings an vielen Stellen eher Schlaufen und Knäuel zu bilden, statt eine lineare und aufeinander aufbauende Präsentation von Befunden und Ergebnissen zu verfolgen. Es finden sich Wiederholungen, Sprünge, Zirkelschlüsse und sogar Widersprüche (exemplarisch 29 versus 30) in der Argumentation, die eine flüssige Lektüre sehr erschweren. Hinzu kommen zahlreiche Flüchtigkeitsfehler, wie beispielsweise Wortdopplungen (190), fehlende Belege (44) [1], syntaktische Unstimmigkeiten ("Neben der fehlenden Möglichkeit [...] tritt insbesondere die [...] Aufnahme der Stücke", 29) oder Stilblüten ("Zur Übersicht wurde im Anhang eine Übersicht [...] beigefügt", 28). Ein immenser Lapsus ist die wiederkehrend falsche Singularform des Untersuchungsgegenstands selbst (exemplarisch "Die Litterae entspricht in ihrem Äußeren [...]", 68). Spätestens hier drängt sich der Eindruck auf, dass zugunsten einer raschen Publikation nicht nur auf ein Lektorat verzichtet, sondern der Autor auch von verschiedenen Instanzen allein gelassen wurde. Die allgemeine Erfahrung, dass Schreiben und schriftliches Monologisieren ein vor allem innerer Prozess ist, der wiederkehrend ein äußeres Korrektiv benötigt, verbietet es an dieser Stelle, allein den Autor dafür verantwortlich zu machen, dass die guten und teilweise sogar vorbildlichen Ansätze der Arbeit von ihrer problematischen Form verschleiert werden.
Nach Auskunft des Rückentextes hat sich Hotz von der Academia abgewandt und einen Beruf in der freiwirtschaftlichen IT ergriffen. Dass diese Entscheidung bereits während der Promotion gefallen ist, kann wohl vermutet werden. Angeregt durch die aktuelle Diskussion der zunehmenden Prekarisierung und Perspektivlosigkeit des sogenannten akademischen Mittelbaus [2] schließt sich hier die Überlegung an, ob nicht bei gleichbleibenden Verhältnissen die Zahl solcher Abwanderungen noch 'im Prozess' - und somit auch solcher allzu eilig produzierten Forschungsarbeiten - weiter anwachsen wird. Der innovativen Wissenschaft wäre damit ein Bärendienst erwiesen.
Anmerkung:
[1] Es fehlen grundlegende Informationen zum angesprochenen Projekt 'Schrift und Zeichen. Computergestützte Analyse hochmittelalterlicher Papsturkunden - ein Schlüssel zur Kulturgeschichte Europas', verortet an der LMU und vom BMBF gefördert, inzwischen aber (offenbar) abgeschlossen.
[2] https://ichbinhanna.wordpress.com/
Lena Vosding