Roland Zingg (Hg.): Die St. Galler Annalistik, Ostfildern: Thorbecke 2019, 264 S., ISBN 978-3-7995-1434-7, EUR 39,00
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Natalie Maag: Alemannische Minuskel (744-846 n. Chr.). Frühe Schriftkultur im Bodenseeraum und Voralpenland, Stuttgart: Anton Hiersemann 2014
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Mit diesem Buch legte Roland Zingg im Jahr 2019 eine kommentierte Neuedition samt deutscher Übersetzung all jener größeren und kleineren Annalenwerke des 8.-11. Jahrhunderts vor, die in Handschriften der St. Galler Stiftsbibliothek überliefert sind. Nur ein Teil dieser Aufzeichnungen ist auch tatsächlich im Steinach-Kloster entstanden. In der Tat setzt dort eine eigenständige annalistische Überlieferung erst im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts ein. Nicht zuletzt die Annales Alamannici (42-105), die auf verlorenen Murbacher Annalen aufbauen und seit 799 auf der Reichenau weitergeführt wurden, dürften erst in den späten 870er-Jahren nach St. Gallen gelangt sein, wo sie um 880 zunächst ergänzt wurden und (nach ihrer Weitervermittlung ins Kloster Rheinau) seit 911/912 mehrere, bis zum Jahr 926 reichende Fortsetzungen erfuhren (11f., 14f., 42-50). Auf den "Reichenauer" Annales Alamannici bauen auch die Annales Weingartenses sive Constantienses auf (106-133), die Zingg im Unterschied zur älteren Forschung mit guten Argumenten ebenso der St. Galler Annalistik zurechnet, da sie nach seinen Erkenntnissen Ende der 870er-Jahre in oder zumindest für St. Gallen angelegt und dann vermutlich im Umkreis Abtbischof Salomos III. bis 911 fortgesetzt wurden (9f., 15f., 109f.). Auch bei der um das Jahr 955 erfolgten Anlage der Annales Sangallenses maiores (134-213), dem ersten genuin St. Galler Annalenwerk, wurde nochmals auf die Annales Alamannici und deren St. Galler Fortsetzung zurückgriffen. Daneben wurden aber auch hagiografische Werke und andere Quellen verarbeitet. Von 955 bis 1024 wurde dieses Werk von nicht weniger als dreißig Händen in Form einer "sehr unsteten und auch inhaltlich völlig disparaten Annalenführung" fortgesetzt. Erst für die Jahre von 1025-1044 lässt sich wieder eine gezieltere Darstellung der Zeit König Konrads II. und der Anfangsjahre Heinrichs III. erkennen (18).
Neben diesen größeren Annalen-Werken haben sich in St. Galler Handschriften aber auch annalistische Marginalnotizen am Rand von Ostertafeln erhalten, die von Zingg unter ihren traditionellen Namen, Annales Sangallenses brevissimi I-III (230-235; 236-239; 240-243), neu ediert wurden. Aufgenommen wurden von Zingg auch die annalistischen Einträge im sogenannten "Vademecum" Abt Grimalds (Cod. Sang. 397) (244-255) sowie die wohl in St. Amand niedergeschriebenen und mit St. Gallen und dem Bodenseeraum nicht enger verbundenen Annales Sangallenses Baluzii (214-229).
Im Rahmen einer allgemeinen Einleitung (9-18) führt Zingg zunächst in die von all diesen Texten gebildete St. Galler Annalistik ein. Auf anschließende Vorbemerkungen zu den Editionsprinzipien (19-21), ein Abkürzungsverzeichnis (22-23) sowie ein Quellen-, Literatur- und Siglenverzeichnis (24-41) folgt dann der Editionsteil mit der deutschen Übersetzung. Den Editionen der einzelnen Annalen-Werke ist stets eine spezielle Einleitung vorangestellt. Behandelt werden in dieser der jeweilige Entstehungszusammenhang der Texte, ihre handschriftliche Überlieferung und die Editionsgeschichte. Zudem werden die Prinzipien der Textgestaltung (Leithandschriften, Petitdruck und andere) dargelegt.
Die Editionstexte und die auf der gegenüberliegenden Seite parallel abgedruckte deutsche Übersetzung sind mit einem übersichtlich gestalteten kritischen Apparat und mit einem sehr nützlichen erläuternden und weiterführenden Sachkommentar ausgestattet. Letzterer erleichtert nicht nur die Lektüre der Texte, sondern macht diese auch zu einem spannenden und anregenden Unterfangen.
Für alle, die sich mit der Geschichte des Steinach-Klosters und Alemanniens im frühen Mittelalter auseinandersetzen wollen, bietet die Neuedition der St. Galler Annalen eine verlässliche und bequeme Arbeitsgrundlage, die auch über ein Personen- und Ortsnamensregister erschlossen werden kann (256-264). Anhand des St. Galler Fallbeispiels bietet das Buch aber auch einzigartige Einblicke in die Vielfalt von annalistischen Quellen - in deren Entstehung, Verwendung und handschriftliche Überlieferung. Neben der deutschen Übersetzung legen gerade auch diese quellenkundlichen Qualitäten von Zinggs Neuedition eine Verwendung der "St. Galler Annalistik" im universitären Unterricht nahe.
Bernhard Zeller