Rezension über:

Matt Waters: Ctesias' Persica and its Near Eastern Context, Madison, WI: University of Wisconsin Press 2017, XIII + 159 S., 18 s/w-Abb., ISBN 978-0-299-31094-3, GBP 67,50
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Rezension von:
Julian Degen
Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Julian Degen: Rezension von: Matt Waters: Ctesias' Persica and its Near Eastern Context, Madison, WI: University of Wisconsin Press 2017, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 12 [15.12.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/12/34242.html


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Matt Waters: Ctesias' Persica and its Near Eastern Context

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Ktesias' nur noch in Fragmenten erhaltenes Werk über die ersten Imperien Altvorderasiens stellt eine nur schwer zu entschlüsselnde Quelle dar, die nach wie vor im Fokus der gelehrten Aufmerksamkeit steht. Zwei Problemkreise dominieren die einschlägige Forschung. Zum einen sind die hauptsächlich bei Diodor, Photius und Nikolaos von Damaskus erhaltenen Fragmente hinsichtlich ihrer Aussagekraft unterschiedlich zu bewerten. Die Frage, wie die Gewichte in dieser Diskussion zu verteilen sind, ist Gegenstand einer immer noch andauernden gelehrten Debatte. Zum anderen gehen aus den erhaltenen Fragmenten Ktesias' literarische Absichten nur unklar hervor, wodurch moderne Kommentatoren seinem Werk entweder jeglichen Quellenwert für die Geschichte des antiken Irans absprechen, oder dessen Aussagekraft als hoch einschätzen. So fällt der Umstand umso mehr ins Gewicht, dass kaum Arbeiten vorliegen, die den sogenannten "Alten Orient" als den inhaltlichen Gegenstand des ktesianischen Werks als bedeutsam einschätzen, um es zu interpretieren. [1] Eine umfassende Studie zum Einfluss altorientalischer Geisteskultur auf Ktesias sucht man vergebens. Diese Lücke in der einschlägigen Forschung will Waters mit seiner Monographie schließen, in der er die oft nur schwer zu interpretierenden Erzählungen aus der Assyriaka und Persika des Knidiers durch eine altorientalische Kontrastfolie betrachtet.

Mit großem Problembewusstsein für die schwierige Überlieferungslage der Fragmente legt Waters zu Beginn seine Methodik vor (3-19). Er sucht in den unterschiedlichen Überlieferungssträngen der Fragmente zunächst nach wiederkehrenden Motiven, deren Pendants er dann in keilschriftlichen Texten ausfindig macht. Dabei begegnet er den Problemen der Quellenkritik, die sich bei der Arbeit mit Ktesias' Werk zwangsläufig ergeben, in überzeugender Weise. So zeigt er, dass die Fragmentträger unterschiedliche Aspekte der ktesianischen Erzählungen in ihren Werken verarbeiteten. Unter der Berücksichtigung der jeweiligen zeitlichen Kontexte der Autoren, die Ktesias als Vorlage benutzten, lässt sich trotzdem ein stimmiger Gesamteindruck über das ursprüngliche Werk gewinnen. Damit ist die Diskussion über mögliche Parallelen erst eröffnet, die zwischen den Fragmenten und nichtgriechischen Texten bestehen, die zeitlich weit vor Ktesias' Lebens- und Schaffenszeit zu datieren sind. So drängt sich die Frage nach Ktesias' Informationsbeschaffung und -verarbeitung auf, die den Kern der Studie darstellt. Dem Autor gelingt es, Traditionslinien altorientalischer Geisteskultur nachzuzeichnen, die bis in die achaimenidische Zeit reichten und somit die intellektuelle Atmosphäre bildeten, in der Ktesias sein Werk verfasste.

Die wesentliche Kernthese dieses kurzen, aber sehr anregend zu lesenden Büchleins ist, dass Ktesias' Anwesenheit am achaimenidischen Hof als wahrscheinlich gilt. Dort schien er einer "cosmopolitian atmosphere" (14) ausgesetzt gewesen zu sein, wo das intellektuelle Erbe aus assyrisch-babylonischer Zeit einem Transformationsprozess ausgesetzt war. Und damit erzielt Waters eine bedeutende Erkenntnis, da es schließlich keinen Hinweis dafür gibt, dass Ktesias altorientalische Texte selbst einsah. In überzeugender Weise diskutiert Waters anhand von kurzen Detailstudien zu Eunuchen (3-19), Semiramis (45-59), Kyros II. (60-77) und einzelnen Akteuren am Achaimenidenhof (78-100) den Einfluss mesopotamischer Geisteskultur auf die großkönigliche Hofkultur in Ktesias' Zeit. Aber der griechische Autor übernahm nicht einfach die in diesem Milieu kursierenden Erzählungen, sondern ordnete sie in die Bahnen des Narrativs seines Werks ein. Das betrifft insbesondere assyrische Legitimationskonzepte, die er, genauso wie Herodot vor ihm [2], entsprechend seiner literarischen Ansprüche umformte, ohne aber ihren ursprünglichen Kern zu verändern. Beispiele hierfür sind die Parallelen zwischen der Semiramis-Erzählung und der Sargon-Legende oder Ktesias' einzigartigen Kyros-Legende. Interessanterweise spielen sich sowohl die Erzählungen über Eunuchen als auch die zahlreichen Hofintrigen, welche die dominierenden Themen in den Fragmenten sind, in einem sozialen Milieu ab, das dem Achaimenidenhof gemäß den autochthonen Quellen entspricht. Trotzdem ist Ktesias' Werk keine Milieustudie, sondern die Zeichnung seiner Charaktere ist vielsichtig und das Produkt einer intentionalen Deutung der Kulturen Altvorderasiens, womit er die Erwartungshaltung seines griechischen Publikum erfüllte. So bringt Waters seine Studie damit zum Abschluss, dass Ktesias für eine Leserschaft schrieb, welche die Werke Herodots und vermutlich die des Xenophon kannte. Doch distanzierte sich der Knidier deutlich davon, ohne dabei das altorientalische Kolorit seiner Erzählungen zu verlieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Waters Argumente in ihrem vollen Umfang überzeugen. Vorsichtig wiegt er den Einfluss altorientalischer Geisteskultur auf einen Griechen im Achaimenidenreich ab, ohne dabei Spekulationen zu verfallen und die literarische Selbstständigkeit des Autors aus dem Blick zu verlieren. Man wünscht sich mehr Arbeiten wie diese zur griechischen Historiographie, die unsere Hauptquellen zum Achaimenidenreich in größere Kontexte einordnen.


Anmerkungen:

[1] Zur sogenannten "Persika"-Literatur siehe die ausführliche Studie Irene Madreiters: Stereotypisierung - Idealisierung - Indifferenz: Formen der literarischen Auseinandersetzung mit dem Achaimenidenreich in der griechischen Persika-Literatur des vierten Jahrhunderts v.Chr. (Classica et Orientalia; 4), Wiesbaden 2012. Zu den iranischen Wurzeln der von Ktesias erwähnten Personennamen siehe Rüdiger Schmitt: Iranische Anthroponyme in den erhaltenen Resten von Ktesias' Werk (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte; 736), Wien 2006. Einzelstudien zu altorientalischen Elementen in den erhaltenen Fragmenten sind Julian Degen: Herodot, Sisamnes und der der Topos der grausamen persischen Monarchie, in: Der ethnographische Topos in der Alten Geschichte. Annäherungen an ein omnipräsentes Phänomen, hg. von Michael Zerjadtke, (Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne; 10), Stuttgart 2020, 39-55; Josef Wiesehöfer / Giovanni B. Lanfranchi / Robert Rollinger (Hgg.): Ktesias' Welt - Ctesias' World (Classica et Orientalia; 1), Wiesbaden 2011; Robert Rollinger: Extreme Gewalt und Strafgericht. Ktesias und Herodot als Zeugnisse für den Achaimenidenhof, in: Der Achämenidenhof - The Achaemenid Court (Classica et Orientalia; 2), hg. von Bruno Jacobs und Robert Rollinger, Wiesbaden 2010, 559-666.

[2] Siehe dazu Robert Rollinger: Herodotus and the Transformation of Ancient Near Eastern Motifs: Darius I, Oebares, and the Neighing Horse, in: Interpreting Herodotus, ed. by Thomas Harrison / Elizabeth Irwin, Oxford 2018, 125-148.

Julian Degen