Barbara Wittmann: Intensivtierhaltung. Landwirtschaftliche Positionierungen im Spannungsfeld von Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft (= Umwelt und Gesellschaft; Bd. 25), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021, 492 S., eine Tbl., ISBN 978-3-525-31727-3, EUR 65,00
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Dass dem Begriff der Intensivtierhaltung ein nicht ganz so fahler Beigeschmack anhaftet wie dem der Massentierhaltung, liegt wohl an seinem transformativen Charakter. Beide befeuern jedoch im Zuge der vertieften Beschäftigung mit den klimaschädlichen Auswirkungen der tiernutzenden Landwirtschaft bzw. der Diskussion um sie, eine breitere diskursive Auseinandersetzung mit dem Tierwohl, obwohl nicht selten auf simplifizierte Bilderwelten zurückgegriffen wird. Barbara Wittmanns kulturwissenschaftlich / europäisch-ethnologische Studie setzt hier an. Auf Grundlage von 29 leitfadengestützten Interviews mit Landwirtinnen und Landwirten in Bayern, die im Bereich der Schweine- und Geflügelhaltung tätig sind, analysiert sie die kollektive Selbstverortung und Positionierung innerhalb eines Spannungsfeldes, das auch davon geprägt ist, dass billiges Fleisch nach wie vor am Markt priorisiert wird, zugleich die Zuschreibungen an die Landwirtinnen und Landwirten einseitig und negativ sind und sie unter einem "moralischen Anerkennungsverlust" (158) leiden. Intensivtierhaltung, so ihre These, stelle dabei "einen bedeutenden Indikator für in Transformation befindliche gesellschaftliche Prozesse und ihre kulturellen Bewältigungsversuche dar". (11)
Die Studie ist in elf Kapitel aufgeteilt, wobei die ersten sechs Kapitel der Einleitung, der Darlegung der Erkenntnisinteressen, der methodischen, räumlichen und theoretischen Verortung und der Darstellung des Forschungssamples dienen. Kapitel sieben bis zehn stellen die empirischen Ergebnisse zu den vier intensiver erforschten Positionierungen und Spannungsfeldern Gesellschaft, Ökonomie, Nutztierhaltung und Ökologie dar. Die Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand ist, wie für Qualifizierungsarbeiten üblich, sehr detailliert und wirkt deshalb auf den ersten Blick kleinteilig. Allerdings gelingt es Wittmann hierin ausgesprochen gut, nicht nur ihre eigene Position im Felde zu kartieren, sondern auch den Einfluss der Human-Animal Studies auf ihr Fach nachzuzeichnen. Inspiriert zeigt sie sich ferner von der "positioning theory" und von Stuart Halls Ausführungen zur Position bzw. zum "positioniert werden". Erfrischend selbstkritisch legt sie auch ihre eigenen Positionierungen dar, die von Überforderung angesichts der Tierhaltung bis zu selbstreflexiver Abstumpfung reichen.
Das erste Hauptkapitel beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Positionierungen der Landwirtinnen und Landwirte, die sich generell als randständig und als sozial ausgegrenzt sehen. Tatsächlich, so zeigt die Autorin anschaulich, wird hier auf starke Viktimisierungsnarrative gesetzt, die vor allem auf eine vermeintlich einseitige mediale Darstellung zurückgeführt werden. In der Zusammenschau mehrerer Problemfelder (Klima, Tierwohl, Strukturwandel) habe diese gefühlte negative Zuschreibung nach den 2010er-Jahren ein Kulminationspunkt erreicht. Dass diese allgemeinen Aussagen einer Nuancierung bedürfen, zeigt Wittmann mit einer Reihe von ausführlich beschriebenen Fallbeispielen, die die soziale Makroebene mit der zumeist dörflichen Mikroebene verbindet. Diese Fallbeispiele oder Mikroanalysen, zum Beispiel zum Kupieren von Schwänzen und Schnäbeln oder zur Antibiotikavergabe, liefern auch für die anderen Hauptkapitel wertvolle Kontexte. Hieraus wird deutlich, wie sehr es von der sozialen "embeddedness" abhängt, wie die Kritik an der Intensivtierhaltung auch den eigenen Nahbereich tangiert. Gleichzeitig werde aber, so interpretiert Wittmann ihre Ergebnisse, mit klaren Zuweisungen an die Gegnerinnen und Gegner operiert. Diese würden in der Regel links-grün markiert.
Die ökonomischen Positionierungen, die im zweiten Hauptkapitel behandelt werden, zeigen ein Bild einer Landwirtschaft, die durch Höfesterben und globale Marktstrukturen ebenso geprägt ist wie durch stetigen Konkurrenzdruck untereinander und Neuausrichtungen aufgrund von gesetzlichen Änderungen, insbesondere mit Blick auf die Käfig- und Stallhaltung. In ihr sei ein Leistungsbegriff prävalent, der sowohl an Tiere als auch Menschen gerichtet ist. Ferner stellt die Autorin bei ihren Interviewpartnerinnen und Interviewpartner paradoxe Argumentationen fest, etwa zum Thema Strukturwandel. Herauszuheben ist nämlich, dass an Bayern, aufgrund des dort praktizierten und politisch gewollten Kleinhofmodells, ein verzögerter Strukturwandel und damit in "Echtzeit" zu beobachten sei, etwas, was nach Meinung der Autorin für regionale Studien spräche.
Das dritte Hauptkapitel, den Nutztier-Positionierungen gewidmet, ist sicherlich das zentralste. Hilfreich ist es vor allem deshalb, weil es für eine komplexere Betrachtung der multiplen, körperlichen oder verräumlichten Beziehungen von und zu Nutztieren wirbt. Dafür schlägt es eine feine Analyse von Sprachpraxen vor, die von der Versachlichung über die Vertierlichung bis hin zur Vermenschlichung bzw. zu verschiedenen Formen von Distanz und Bindung reichen. Dies zeigt, dass diese Beziehungen zu gleicher Zeit nah und entfremdet sein können. Nicht ganz zu Unrecht geht sie hier auch mit dualistischen Betrachtungsweisen der Human-Animal Studies ins Gericht. Explizit verzichtet hat sie auf teilnehmende Beobachtung, die beschriebenen Praxen sind also in erster Linie linguistisch. Ein Abgleich mit den Handlungspraxen wäre sicher spannend gewesen, die Ergebnisse bieten aber eine gute Grundlage für darauf aufzubauende Forschung.
Weniger linear erzählt ist das letzte Hauptkapitel zu Umwelt-Positionierungen, dafür fächert es aber auch vom Verhältnis zu Vegetarismus und Bio-Landbau, über grüne Gentechnik und Bodenübersäuerung hin zu Pestiziden, Artensterben und Klimawandel einen bunten Strauß von Verhaltenskonstellationen auf. Interessant ist dabei zu sehen, dass die Positionierungen hier zumeist ökonomisch und nicht ideologisch sind, auf Intensivtierhaltung also bei liquiden Alternativen verzichtet werden würde, Schuld an ökologischen Belastungen gleichsam jedoch eher kollektivistisch denn individuell gedacht werde.
Aus Sicht der Human-Animal Studies ist sicherlich ihre Beobachtung wichtig, dass "trotz der gerade im System Intensivtierhaltung erheblichen Einschränkungen tierischer Handlungsmacht die gehaltenen Nutztiere das Leben der Landwirte und Landwirtinnen maßgebend konturieren und strukturieren". (170) Immer wieder gelingt es der Autorin, die Agency der Tiere herauszufiltern. Interessant sind auch die geschlechterspezifischen Zuschreibungen. Nicht nur auf den Höfen selbst wird hier mit klaren Rollenzuschreibungen gearbeitet, in der Frauen auch mal emotionalisiert mit den Tieren umgehen dürfen. Die Erklärung hierfür lässt die Autorin allerdings offen und verweist auf weiteren Forschungsbedarf. Vor allem in der Fremdzuschreibung der Gegnerschaft fällt auf, das hier an lang eingespielte Tropen angeknüpft wird: Es sind oft die "hysterischen" Frauen, die als Feindbild herhalten müssen.
Barbara Wittman ist eine, trotz Heranziehung zahlreicher kulturwissenschaftlicher und soziologischer Theorien und Modelle, hervorragend lesbare Studie gelungen, die an der einen oder anderen Stelle ein wenig um Redundanzen und für die Argumentation nicht notwendige Akkuratesse bereinigt hätte werden können, aber klar aufzeigt, welche Narrativierungen wie verstetigt wurden und wo Entfremdungserscheinungen zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft aufbrechen, wo aber auch Chancen für den Dialog liegen. Es sind insbesondere die Betrachtungen der "Brüche und Widerständigkeiten" (351) die hierfür wichtig sind, um die von ihr im Subtext durchaus genannten Möglichkeitsräume für mehr Tierwohl jenseits der Leistungsmatrix zu realisieren.
Mieke Roscher