Maria Harnack: Niederländische Maler in Italien. Künstlerreisen und Kunstrezeption im 16. Jahrhundert (= Reflexe der immateriellen und materiellen Kultur; Bd. 6), Berlin: De Gruyter 2018, 332 S., 20 Farb-, 150 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-055742-8, EUR 79,95
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Tatjana Bartsch: Maarten van Heemskerck. Römische Studien zwischen Sachlichkeit und Imagination (= Römische Studien der Bibliotheca Hertziana; Bd. 44), München: Hirmer 2019, 600 S., 484 Farbabb., ISBN 978-3-7774-3294-6, EUR 145,00
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Stephan Kemperdick / Erik Eising / Till-Holger Borchert (Hgg.): Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit. Ausstellungskatalog / Gemäldegalerie - Staatliche Museen zu Berlin, 31.03.2023-16.07.2023, Berlin, München: Hirmer 2023
Tanja Michalsky: Projektion und Imagination. Die niederländische Landschaft der Frühen Neuzeit im Diskurs von Geographie und Malerei, München: Wilhelm Fink 2011
Angela Vanhaelen: The Wake of Iconoclasm. Painting the Church in the Dutch Republic, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2012
Aneta Georgievska-Shine / Larry Silver: Rubens, Velázquez, and the King of Spain, Aldershot: Ashgate 2014
Jan Nicolaisen: Niederländische Malerei 1430-1800. Museum der bildenden Künste Leipzig. Unter Mitarbeit von Rüdiger Beck bei den gemäldetechnologischen Untersuchungen. Hrsg. von der Maximilian Speck von Sternburg Stiftung im Museum der Bildenden Künste Leipzig, Leipzig: E. A. Seemann Verlag 2013
Jörg Diefenbacher: Anton Mirou (1578 - vor 1627): Ein Antwerpener Maler in Frankenthal, Landau: Pfälzische Verlagsanstalt 2007
Dagmar Hirschfelder: Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2008
Nicolette Sluijter-Seijffert: Cornelis van Poelenburch 1594/5-1667. The paintings, Amsterdam: John Benjamins 2016
Mit ihrer Dissertation, abgeschlossen an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, betritt Maria Harnack ein Themengebiet, zu dem aus zahlreichen Blickwinkeln und in verschiedenen Formaten schon viele Studien erschienen sind. [1] Das Ziel ihrer Arbeit zu den Italienreisen niederländischer Künstler und deren Rezeption antiker und italienischer Kunst ist es, "konkret und facettenreich darzulegen, auf welche Weise die niederländischen Maler mit der Kultur südlich der Alpen in Beziehung traten". (10) Die bisherige Forschungsliteratur wird von ihr in der knappen Einleitung eher kursorisch abgehandelt und auf ihre Methodik geht die Autorin nur sehr allgemein ein. Neu ist die Behandlung unter thematischen Gesichtspunkten, anstatt nach Künstlern oder Künstlergruppen, wie es z.B. Nicole Dacos in ihren Studien gemacht hat. [2] Harnack gliedert ihre Untersuchung in sechs Themenblöcke mit Unterkapiteln: 1. Reise nach Italien, 2. Aufenthalt in Rom, 3. Mitbringsel, 4. Druckgraphiken, 5. Importe aus Italien und 6. Italienbegeisterung. Während die ersten beiden Kapitel sich als eine Art kunstsoziologische Untersuchung bezeichnen lassen, geht es in den folgenden Kapiteln vor allem um die Rezeption antiker und italienischer Kunst. Unter "Mitbringsel" geht es um die Funktionen von römischen Zeichnungen sowie die zeichnerische Rezeption italienischer Renaissancekunst, im vierten Kapitel um die Vermittlung italienischer Kunst durch die Druckgraphik an niederländische Künstler und um antike Bildhauerwerke in der Druckgraphik von Niederländern und schriftlichen Quellen zu diesem Themenbereich. Im sechsten Kapitel behandelt die Autorin unter dem Titel Italienbegeisterung die Manifestationen der Italienerfahrungen und -kenntnisse. Harnack geht bei der Bearbeitung auf bislang vernachlässigte Aspekte ein wie die Aufschriften und Signaturen auf in Rom angefertigten Zeichnungen (83-105) oder in einem Exkurs auf das Problem des Verhältnisses von Romanismus und Konfession (73-79).
Ein Problem der Arbeit ist aber die enorme Ausdehnung des Themengebiets, vielen Kapiteln und Unterkapiteln könnte man ganze Bücher widmen. Die Präsentation der Autorin wirkt dann auch eher wie eine Ansammlung von interessanten, oft neu gewerteten Fakten, als wie eine konzeptionell durchgearbeitete Interpretation eines sehr reichen und komplexen Geschehens. Das liegt neben der Materialfülle auch daran, dass Harnack in der Abhandlung der gewählten Problematiken zu sehr den sich im Laufe des 16. Jahrhunderts verändernden historischen Kontext vernachlässigt und strukturierende Narrative fehlen. So bleibt auch in der kurzen Zusammenfassung der Eindruck des Additiven bestehen. Die Konzentration auf konkrete Fakten zusammen mit der konzeptionell und methodisch bedingten Oberflächlichkeit birgt zudem die Gefahr vorschneller Urteile: So schlussfolgert Harnack (235): "Das Gemälde "Raub der Helena" entstand im Auftrag von Rodolfo Pio da Carpi." Folglich reflektiere es keinen niederländischen Geschmack. Heemskerck setzte zwar eindeutig eine auf Pio da Carpi gemünzte politische Botschaft ins Bild, die künstlerische Umsetzung (siehe Bartsch 2019, 112-113, 469-471), insbesondere die gemalte Ruinenlandschaft ist aber eine eigenständige Schöpfung von Heemskerck (vgl. Bartsch 2019, 61-64), er leistete damit einen wesentlichen Beitrag zur Etablierung eines eigenständigen Ruinengenres. Mit der Feststellung "Tatsächlich begnügten sich die niederländischen Maler im 16. Jahrhundert oft mit einer ungenauen oder phantasievollen Wiedergabe" (247) verbaut sich die Autorin eher einen Weg zur Erklärung des Phänomens der imaginierten Ruinenlandschaften. Man sollte diese besser als Ausdruck von inventio innerhalb der Landschaftsmalerei verstehen. Die Arbeit von Maria Harnack hat ihren Wert als ein materialreicher Überblick und eine grundlegende Einführung in die Problematik der Künstlereise nach Italien und die Rezeption antiker und italienischer Kunst durch niederländische Künstler, sie liefert viele neue Beobachtungen und Anregungen für weitere Forschungen. Ihre Materialfülle ist aber noch nicht zu einer kohärenten Synthese der niederländischen Italienrezeption des 16. Jahrhunderts geschmiedet.
Die monumentale, ausgezeichnet bebilderte Arbeit von Tatjana Bartsch, hervorgegangen aus ihrer Dissertation an der Humboldt-Universität zu Berlin von 20210/11, liefert eine mustergültige Neubearbeitung der römischen Skizzen von Maarten van Heemskerck. In diesem Opus mündet eine langjährige Forschungsarbeit, die über das übliche Maß einer Dissertation weit hinausgeht. Bartsch profitierte dabei von ihrer mehrjährigen Mitarbeit an der Census-Datenbank (Census of Antique Works of Art and Architecture Known in the Renaissance). Das Buch setzt sich aus einer gründlichen Studie und dem umfassenden Katalog der römischen Zeichnungen, inklusive der römischen Gemälde sowie der Kopien nach bekannten und nach unbekannten Zeichnungen zusammen. Der Anhang umfasst ausgewählte Quellen zu Van Heemskercks römischen Aufenthalt, eine Teilrekonstruktion der Blattfolge des kleinen Zeichnungsbuches sowie eine Katalogkonkordanz. Ziel der Arbeit von Tatjana Bartsch ist eine kritische Neupublikation des römischen Oeuvres Maarten van Heemskercks inklusive der nur indirekt erhaltenen Zeichnung sowie der in Rom geschaffenen Gemälde. Die bisher maßgebliche Publikation stammte von Christian Hülsen und Hermann Egger von 1913-1916, deren Faksimiles allerdings aufgrund von Retuschen und Drucktechnik inzwischen nicht mehr als angemessen für einen wissenschaftlichen Gebrauch betrachtet werden können, wie Bartsch darlegt. Ihre gründliche Revision bringt in einer Fülle von Fällen Korrekturen und Präzisierungen (Zuschreibungen, Datierungen, Identifikationen, Motivzusammenhänge), erweist Bartsch als ausgezeichnete Kennerin der antiken Monumente und scharfsinnige und sensible Interpretin des Befunds der römischen Zeichnungen. Die römischen Zeichnungen etabliert sie überzeugend als herausragenden künstlerischen Werkkomplex Heemskercks.
Die Studie ist in sechs Kapitel und einen abschließenden Exkurs gegliedert, die aufeinander aufbauend und ergänzend sowie durch die Anfangs- und Endkapitel auch in einer zeitlichen Perspektive integriert sind. Im I. Kapitel der Studie geht Bartsch auf die künstlerischen Voraussetzungen Heemskercks vor der Romreise ein. Er hatte schon in Haarlem ein Interesse an Rom entwickelt und suchte deswegen als "discipulus" (so Hadrianus Junius, 20), also als Schüler und Nachfolger und nicht als Lehrling, die Weiterbildung in Jan van Scorels Werkstatt. Seine frühen Aspirationen hinsichtlich der Antike zeigt Bartsch in der Besprechung seiner Lukasmadonna von 1532 auf, die er für die Haarlemer Lukasgilde als Abschiedsbild malte. Im II. und III. Kapitel untersucht Bartsch die römischen Zeichnungen selbst. Zuerst analysiert sie (II. Kap.) die Zeichnungen hinsichtlich Bildträger, Zeichenmaterial und Techniken. Heemskerck benutzte ein kleines Zeichenbuch sowie lose Blätter in einer Mappe und wechselte zwischen Feder und Tinte, schwarze Kreide, Rötel für figürliche Studien, vor allem nach antiken Skulpturen, die er durch den Rotton verlebendigte. Anschließend geht sie (III. Kap.) in genauen Analysen der vielfältigen zeichnerischen Strategien auf die Motive der Zeichnungen ein. Plätze und Orte stellte er in verschiedenen Ansichten dar, um den räumlichen Kontext zu erfassen. Von einigen Statuen fertigte Heemskerck mehrfache Ansichten von verschiedenen Seiten an, um sie dreidimensional zu erfassen. Das Antikenstudium ist für ihn wesentlich auch Körperstudium. Die Objekte sind im Detail meist korrekt erfasst, Heemskerck rekonstruiert nicht zeichnerisch antike Figuren, aber ihr Kontext wurde bisweilen verändert. Er kombinierte absichtlich oder zufällig Motive, so dass der Eindruck entstehen konnte, dass sie zusammengehören, manchmal bilden zusammengestellte Motive autonome Kompositionen. Die Zeichnungen entwickeln so ein "eigenes Imaginationspotential" in "bifokaler Perspektive, zwischen Sachlichkeit und Imagination", ein Aspekt, so wesentlich, dass Bartsch ihn zum Titel ihrer Arbeit wählte. Bartsch definiert die Funktionen der Zeichnungen "als visuelle Wissensspeicher von Formen und Motiven, als Medium der künstlerischen Schulung und Vervollkommnung wie zugleich als Instrument der ästhetischen Verwirklichung eigener künstlerischer Entwürfe." (14) In seinen Ansichten Roms blendete Heemskerck moderne Bauten aus, sofern sie nicht selbst ruinös waren, und schuf so Landschaften, nur durchsetzt von antiken Ruinen. Heemskerck wird durch seine Interpretation der römischen Ruinenlandschaften zum Begründer eines neuen Genres. Das abitato Roms hat Heemskerck dagegen nicht interessiert. Das IV. Kapitel untersucht anhand der Zeichnungen den lokalen und sozialen Kontext von Heemskercks Erkundung Roms. Er besuchte die öffentlichen Plätze mit antiken Skulpturen und verschiedene Antikengärten, gelangte jedoch eher selten in Innenräume der Paläste. Als Führer zu den Monumenten benutzte er möglicherweise Andrea Fulvios Antiquitates Urbis, wie Indizien vermuten lassen. Und er suchte Kontakte zu anderen Künstlern, wobei sich aber nur wenige Namen sicher oder relativ sicher nennen lassen: Herman Posthumus, Lambert Sustris, sehr wahrscheinlich kannte er Michiel Coxcie und auch Giorgio Vasari, Francesco Salviati und Fra Giovan Angelo da Montorsoli. Das V. Kapitel analysiert vor allem die spätere Verwertung der Studienmotive in Heemskercks Gemälden, differenziert nach Verwendungszweck und Art der Verwertung, als Antikenzitat, Motivübernahme oder "Mikroübernahme" von einzelnen Körperteilen (122-126).
Als Resümee widmet sich das VI. Kapitel der außergewöhnlichen künstlerischen Selbstreflexion Heemskercks als Antikenexperte zu Sicherung der memoria und fama, die sich in Selbstporträts, in narrativen Signaturen und in der Verwendung der Figur des Zeichners in seinen Bildern zeigt. [3] Bei der Figur des Zeichners vor antiken Ruinen kommt in der Darstellung Bartschs der Kontext und die Bedeutung Heemskercks für die Motivgeschichte allerdings zu kurz. Heemskerck hat das Motiv nicht erfunden, er war aber der erste Künstler, der es intensiv zur Beglaubigung des Dargestellten ad vivum und zur Selbstrepäsentation und -definition als Künstler verwendet hat. Erst nach ihm wurde es zu einem vielfach verwendeten Topos. Er nimmt diesbezüglich also eine Schlüsselstellung ein. [4] Ein die Studie abschließender Exkurs widmet sich dem weiteren Schicksal der römischen Zeichnungen, unter anderem den Gemäldekopien von Pieter Jansz. Saenredam nach Zeichnungen im kleinen Skizzenbuch Heemskercks, das 1638 in seinen Besitz kam.
Die Neubearbeitung der römischen Studien Heemskercks besticht durch die Breite der methodischen Ansätze, die gründliche und vielfältige Analyse von Heemskercks Zeichnungen und ihrer Kontextualisierung und durch die Qualität der Argumentation und grundsätzlich durch die souveräne Beherrschung der Materialfülle. Hinzu kommen zahlreiche neue Erkenntnisse, Funde und Zuschreibungen. Sie zeichnet somit nicht nur ein umfassendes, sondern auch detailliertes Bild von Heemskercks römischer Phase.
Anmerkungen:
[1] Erwähnt sei von vielen der Ausstellungskatalog Fiamminghi a Roma 1508. 1508-1608; artistes des Pays-Bas et de la principauté de Liège à Rome à la Renaissance (Bruxelles, Palais des Beaux-Arts, 1995, Rome, Palazzo delle Esposizioni, 1995), Gent 1995.
[2] U.a. Nicole Dacos: Les peintres belges à Rome au XVIe siècle, Bruxelles 1964. Nicole Dacos: Voyage à Rome. Les artistes européens au XVIe siècle, Bruxelles 2012.
[3] Zum Thema der Selbstrepräsentation und memoria siehe die gleichzeitig mit Bartschs Arbeit entstandene, 2020 erschienene Dissertation von Alessa Rather: Maarten van Heemskerck, die antike Überlieferung und die eigene Kunstproduktion als Erinnerungswerk. Dissertation Freie Universität Berlin 2017, Berlin 2020. https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/28556
[4] Zur Figur des Zeichners siehe: Bruno Weber: Die Figur des Zeichners in der Landschaft, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte, 34 (1977), 44-82. Stefan Bartilla: Die Wildnis: visuelle Neugier in der Landschaftsmalerei. Eine ikonologische Untersuchung der niederländischen Berg- und Waldlandschaften und ihres Naturbegriffs um 1600 (Dissertation Universität Freiburg 2000), Freiburg 2005, 170-175. URL: https://freidok.uni-freiburg.de/data/1893
Stefan Bartilla