Rezension über:

Peter Jan Margry (ed.): Cold War Mary. Ideologies – Politics – Marian Devotional Culture, Leuven: Leuven University Press 2021, 399 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-94-6270-251-6, EUR 55,00
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Rezension von:
Roland Cerny-Werner
Universität Salzburg
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Roland Cerny-Werner: Rezension von: Peter Jan Margry (ed.): Cold War Mary. Ideologies – Politics – Marian Devotional Culture, Leuven: Leuven University Press 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 5 [15.05.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/05/35586.html


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Peter Jan Margry (ed.): Cold War Mary

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Der von dem Ethnologen Peter J. Margry edierte Sammelband vereint eine gut strukturierte und in hohem Maße interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der wohl katholischsten Galionsfigur im ideologischen und politischen Spannungsfeld von staatgewordenem Kommunismus und Religion. Margry weist in seiner wohltuend synthetischen Einführung auch auf die methodische Perspektive hin: den ideengeschichtlichen und multiperspektivischen Ansatz in der Forschung zum Kalten Krieg. Jenseits rein historiografischer Verlaufsdarstellungen ermöglicht dieser Ansatz ein tieferes Verständnis des Kalten Krieges und lenkt den Fokus auf kulturelle, soziale und religiöse Zusammenhänge. Auch wenn die diesbezügliche Forschungslandschaft schon etwas älter ist, als es Margry diagnostiziert, so hat er recht, wenn er diese ideengeschichtliche Perspektive als wichtigen Zugriff auf Forschungen zum Konfliktfeld "Religion und Kommunismus" apostrophiert.

Die Beiträge sind allesamt klar, verständlich und bedeutsam zur Bearbeitung der relevanten Forschungsfragen. Die einzelnen Abhandlungen sind drei Kapiteln zugeordnet. Das erste (Kirche und Ideologie) wird mit dem spannenden ideologiegeschichtlichen Beitrag zur marianischen Konnotation päpstlichen Handelns eingeleitet. Robert Ventresca analysiert dies im Kontext drohender Wahlerfolge kommunistischer Parteien in Italien und der Rolle des Vatikans in diesen Nachkriegsverläufen. Auch Sandra L. Zmidars-Swartz, die ihren Fokus auf das spirituelle und propagandistisch gewandelte Potenzial von Marienerzählungen am Beispiel von Fátima und Kérizinen wendet, bringt die antikommunistisch gedeuteten Narrative unterschiedlicher Marienerscheinungen zum Vorschein. Es gelingt ihr, den darin eingelagerten ideologisch-teleologischen Grundtenor in der immer intensiver werdenden Auseinandersetzung des Vatikans mit dem Kommunismus offenzulegen. In seinem dieses Kapitel abschließenden Beitrag untersucht David Morgan die Ausformung und den Wandel der Darstellung der Marienerscheinung von Fátima. Er verweist treffend auf die sich politisierende Ausdeutung der Kommunikation über Fátima im Verlauf des Kalten Krieges.

Der klug gewählte frömmigkeitspolitische Fokus für den umfangreichen Teil zwei des Bandes wird eingeleitet von einem Beitrag von Tine van Osselaer zu Marienerscheinungen in Belgien und deren Bedeutung in den antikommunistischen Auseinandersetzungen, vor allem in der Nachkriegszeit. Der Perspektive dieses Kapitels auf unterschiedliche Regionen folgend, befassen sich William A. Christian Jr. und Marina Sanahuja Beltran mit der besonderen Situation in Spanien nach dem Ende des Bürgerkriegs. Sie verweisen auf die besondere ambivalente Ausprägung von Marienfrömmigkeit, die sich nicht nur - wenn auch vor allem - antikommunistisch gerierte, sondern auch vereinzelt grundsätzlich-antitotalitäre Ausdeutungen erfuhr und damit das faschistische Franco-Regime in den Blick nahm. Einen wohltuend differenzierten Blick hinter den Eisernen Vorhang werfen Agnieszka Halemba und Konrad Siekierski, die Marienerscheinungen in Polen analysieren. Sie verfallen dabei nicht in den Reflex, das Wirken der katholischen Kirche einfach nur als Antikommunismus zu deuten. Vielmehr kommen sie in ihrer Analyse zu dem nachvollziehbaren Schluss, dass Frömmigkeit und Spiritualität - als Grundfesten des polnischen Katholizismus - zwar keinerlei Affinität zum kommunistischen Staatsapparat aufweisen, daraus jedoch erst einmal keine formale Gegnerschaft abzulesen ist. Freilich verkennen beide nicht den darin eingelagerten performativen Antagonismus von katholischer Kirche und kommunistischem Staat. Die Beiträge von Thomas Kselman und Daniel Wojcik widmen sich der apokalyptisch aufgeladenen antikommunistischen Ausprägung und Kommunikation in der Marienfrömmigkeit in den USA. Wojcik fokussiert dabei lohnend die Nachkriegsentwicklungen und diagnostiziert einen Wandel hin zu einer triumphalistischen und teilweise antiliberalen Perspektive. Abgerundet wird das detaillierte und auf spezifische Andachtspraktiken und Ausdrucksformen des Antikommunismus in verschiedenen Ländern und zu unterschiedlichen Zeitpunkten des 20. Jahrhunderts ausgerichtete Kapitel durch den Beitrag Katharine Massams zu Australien.

Der dritte Abschnitt des Bandes befasst sich vor allem mit dem antikommunistischen Mobilisierungspotenzial, das auch auf der weltweiten Verbreitung der - auf die Jungfrau von Fátima zentrierte - Marienfrömmigkeit fußt. Der hier gewählte Fokus auf "Armeen und Kreuzzüge" verweist schon auf die teilweise martialische Intonation, die diese Prägung der von Fátima ausgehenden Marienverehrung aufweist. Monique Scheer stellt dies für die Bundesrepublik Deutschland dar. Ihre Analyse zeigt dabei das Spannungsfeld auf, das durch den katholischen Antikommunismus in einem Frontstaat des Kalten Krieges und dessen - nicht immer friktionsfreie - Rezeption in einem multikonfessionell geprägten politischen Raum entstand. Herausgeber Margry richtet den Blick in seinem Beitrag auf die Niederlande, auf die antikommunistische Mobilisierung durch marienfromme "Graswurzelbewegungen" und daraus entstehende regionale Netzwerke aus gläubigen Katholikinnen und Katholiken. Er zeigt exemplarisch auf, dass die teilweise überbordende Volksfrömmigkeit im Umfeld der Jungfrau von Fátima auch die Hierarchie der katholischen Kirche immer wieder vor Herausforderungen stellte, und derartige Bewegungen nicht immer die volle Unterstützung des ortskirchlichen Episkopats zuteilwurde. Abgeschlossen wird der letzte Teil des Werks mit einer Hinwendung zum Politischen in Marienverehrungen nach dem Ende des Kalten Krieges. Der Wert des Beitrags von Michael Agnew liegt darin, dass er die ambivalente Haltung des von Pater N. Gruner gegründeten Fátima Centers gegenüber den globalen demokratischen Entwicklungen thematisiert. Agnew verweist hierbei exemplarisch auf die teilweise russlandfreundliche Haltung, die gleichsam aus einer Frontstellung gegenüber liberalen Gesellschaftsentwürfen zu entstehen scheint. Die prägnante Zusammenfassung des Herausgebers rundet den Band sehr gut ab.

Mit dem von Margry präsentierten Werk liegt ein aktuelles und wegweisendes Kompendium wissenschaftlicher Aufsätze vor, das für die mentalitäts- und religionsgeschichtliche Kalter-Krieg-Forschung ausgesprochen wichtig und bereichernd ist. Es wird auf lange Zeit einen Meilenstein darstellen, an dem interessierte Forscherinnen und Forscher nicht vorbeikommen werden.

Roland Cerny-Werner