Brian Richardson: Women and the Circulation of Texts in Renaissance Italy, Cambridge: Cambridge University Press 2020, XX + 277 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-1-108-47769-7, GBP 75,00
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Galt die Geschichte der Bildung und Textproduktion in Mittelalter und Renaissance lange vorwiegend als eine "Männerdomäne", welche der Scholastik und der mittelalterlichen Universitätskultur den Weg ebneten, so ist in den letzten Jahrzehnten gebildeten Frauen verstärkt Interesse entgegengebracht worden; im deutschsprachigen Raum mit teils spektakulären Ergebnissen. [1] Im Bereich der Renaissanceforschung ist das Thema unter anderem schon von Joan Kelly und Paul Oskar Kristeller kurz angeschnitten worden, und noch vor knapp 20 Jahren hat Erich Meuthen eine Liste an Forschungsdesideraten benannt, die bisher keineswegs alle eingelöst worden sind. [2]
Der renommierte Italianist und Buchwissenschaftler Brian Richardson (Leeds) hat nun - basierend auf einer Vortragsreihe aus dem Jahr 2012 - einen lesenswerten neuen Überblick vorgelegt, der auf das Italien des 15. und vor allem 16. Jahrhunderts abzielt. Wie er in einer kompakten Hinführung erläutert, ist sein Ziel, im Sinne des "social turn" die Themenfelder "Frauen in der Renaissance" und "Buchgeschichte" bzw. "Textkulturen" zusammenzuführen. Er versteht mit Robert Darnton die Buchproduktion und -rezeption als einen Kommunikationsprozess, für den er verdeutlichen will, an welchen seiner Scharnierstellen Frauen nachweisbar sind und welche Bedeutung ihnen zukam, mit Blick vor allem auf literarische und theologische Werke und unter Berücksichtigung von Handschriften und Druckwerken. Er tut dies in drei Schritten.
Kapitel 1 ("Publishing Texts") ist der Frage gewidmet, wie gelehrte Frauen publizistisch hervortraten. Entweder veröffentlichten sie ihre eigenen Werke (dabei werden die Problematik des Auftretens als Autorin im öffentlichen Raum, die Möglichkeiten - etwa durch Co-Autorschaft - und eine stärkere Selbstinszenierung im 16. Jahrhundert, etwa in Form von Dedikationen oder Impresen erläutert) oder jene von männlichen Autoren, wobei sie oftmals eine vermittelnde Funktion "hinter den Kulissen" (34) zwischen Autor und Verleger einnahmen. Da die gelehrten Frauen - so der Autor - vor allem der "sozialen Elite" (36) entstammten, lässt sich dieses Wirken oft in Widmungen an sie nachweisen, in denen sie oft als edel, klug und tugendhaft erscheinen, häufig in Werken mit spezifischen Sujets wie jenem der heiligen Frau oder der Ehefrau.
Kapitel 2 ("Making and Selling Books") bringt zunächst einige Beispiele vor allem adeliger Frauen, die Briefe oder Handschriften schrieben [3], nennt dann einige nicht-adelige Frauen und ist nachfolgend mit dem großen Thema der Konvente beschäftigt. Nachfolgend wird das Modell für den Buchdruck und -handel vorgestellt, ein Feld, das noch wenig erforscht ist und noch viel Potenzial hat. Richardson hebt vor allem darauf ab, dass Töchter und Witwen oft eine entscheidende Rolle für das Fortleben von "Druckerdynastien" und Verlagshäusern hatten; weniger geht er auf die oft wichtige Rolle der Frauen als Kapitalgeberinnen ein; sodann werden Konvente wie jener berühmte dominikanische in Bagno a Ripoli als Standorte und Produktionsstätten der Frühdrucker vorgestellt.
Kapitel 3 ("Access to Texts") thematisiert die Frage, wie Frauen Zugang zu Texten bekamen und sieht hier die Möglichkeiten der Schenkung, Vererbung oder Ausleihe, oder aber aktiv in Gestalt von Auftraggeberschaft oder Ankauf. Ein interessanter Teilaspekt betrifft den Punkt, dass Texte auch durch Zuhören rezipiert und später verschriftlicht werden konnten. Eine abschließende Fallstudie stellt dann die als Bibliophile berühmte Isabella d'Este vor.
In der Zusammenfassung diskutiert Richardson die "Agency" der vielen vorgestellten Frauen, denen er im 16. Jahrhundert größere Spielräume beimisst.
Wie schon angedeutet, handelt es sich um ein Überblickswerk, zu dem man als solches gerne greifen wird, insbesondere, was die großen Renaissancehöfe Norditaliens im 16. Jahrhundert und Druckwerke der Zeit angeht. Manche Aspekte sind weniger präsent; gerne mehr erfahren hätte man beispielsweise über Schreiberinnen und Illuminatorinnen im Bereich der Universitäten. [4] Jedenfalls sollte das Buch Historiker*innen anspornen, nun auch weniger bekannte Fälle als jene der Isotta Nogarola, Isabella d'Este oder Vittoria Colonna vertieft und unter Hinzuziehung archivalischer Studien neu zu bearbeiten, denn wie nun auch Richardson mit seinem Buch zeigt, gibt es hier noch viel zu tun.
Anmerkungen:
[1] Etwa die Projekte von Eva Schlotheuber, siehe:
http://diglib.hab.de/edoc/ed000248/start.htm und https://www.geschichte.hhu.de/abteilungen/mittelalterliche-geschichte/unsere-forschung/womens-practical-literacy. Siehe ferner: Andrea von Hülsen-Esch: Frauen an der Universität? Überlegungen anlässlich einer Gegenüberstellung von mittelalterlichen Bildzeugnissen und Texten, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24,3 (1997), 315-345; Hedwig Röckelein: Weibliche Gelehrsamkeit im Mittelalter, in: Der Weg an die Universität. Höhere Frauenstudien vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, hg. von Trude Maurer, Göttingen 2010, 23-47; Dies.: Studentinnen im Mittelalter? Diskontinuitäten europäischer Universitäten, in: Wissenschaft mit Zukunft. Die alte Kölner Universität im Kontext, hgg. Von Andreas Speer / Andreas Berger, Köln 2016, 137-172; Gabriela Signori (Hg.): Die lesende Frau, Wiesbaden 2009; Eva Schlotheuber: "Gelehrte Bräute Christi". Geistliche Frauen in der mittelalterlichen Gesellschaft, Tübingen 2018.
[2] Joan Kelley: Did Women Have a Renaissance?, in: Becoming Visible. Women in European History, hg. von Renate Bridenthal / Claudia Koonz, Boston 1977, 137-164; Paul Oskar Kristeller: Learned Women of Early Modern Italy. Humanists and University Scholars, in: Beyond Their Sex. Learned Women of the European Past, ed. by Patricia H. Labalme, New York 1980, 91-116; Erich Meuthen: Der Frauenanteil an der literarischen Produktion im deutschen 15. Jahrhundert und im italienischen Quattrocento. Ein Vergleich, in: Studien zur Geschichte des Mittelalters. Jürgen Petersohn zum 65. Geburtstag, hgg. von Matthias Thumser / Annegret Wenz-Haubfleisch / Peter Wiegand, Stuttgart 2000, 311-334. Ein Kompendium auch bei Ursula Meyer: Humanistinnen, Aachen 2014.
[3] Anzuführen wären auch die Briefwechsel der Gonzaga-Frauen im 15. Jahrhundert, siehe: Christina Antenhofer: Briefe zwischen Süd und Nord. Die Hochzeit und Ehe von Paula de Gonzaga und Leonhard von Görz im Spiegel der fürstlichen Kommunikation, 1473-1500, Innsbruck 2007; Barbara Gonzaga: Die Briefe / Le Lettere (1455-1508). Edition und Kommentar deutsch / italienisch, bearb. von Christina Antenhofer / Axel Behne / Daniela Ferrari / Jürgen Herold / Peter Rückert, Stuttgart 2013. Ferner auch die Briefe der Margarethe von Savoyen. Dazu jetzt: Die Tochter des Papstes: Margarethe von Savoyen. Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, hgg. von Peter Rückert / Anja Thaller / Klaus Oschema, Stuttgart 2020, sowie:
https://www.landesarchiv-bw.de/de/aktuelles/ausstellungen/73683.
[4] Beispielsweise: Francesco Filippini / Guido Zucchini: Miniatori e pittori a Bologna. Documenti dei secoli XIII e XIV, Florenz 1947, 65 und 68f. Vgl. Richard Hunter Rouse / Mary A. Rouse: The Dissemination of Texts in Pecia at Bologna and Paris, in: Rationalisierung der Buchherstellung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Ergebnisse eines buchgeschichtlichen Seminars, Wolfenbüttel 12.-14. November 1990, hgg. von Peter Rück / Martin Boghardt, Marburg a. d. Lahn 1994, 69-77, hier 76.
Tobias Daniels