Philipp Lintner: Im Kampf an der Seite Napoleons. Erfahrungen bayerischer Soldaten in den Napoleonischen Kriegen (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte; Bd. 175), München: C.H.Beck 2021, IX + 349 S., ISBN 978-3-406-10790-0, EUR 47,00
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"Erfahrungen bayerischer Soldaten in den Napoleonischen Kriegen" klingt nicht gerade nach einem originellen Thema, wenn man die Studien von Julia Murken [1] oder Tobias Friedrich Kroeger [2] kennt. Die Veröffentlichung von Philipp Lintners Dissertation aus dem Jahr 2017 zeigt sogar das gleiche Coverbild wie Kroegers Buch: "Napoleons Ansprache an die bayerischen Truppen vor der Schlacht von Abensberg, 20. April 1809".
Immerhin wählt der Verfasser einen deutlich breiteren Ansatz als Murken oder Kroeger, die sich auf bayerische Erfahrungen im Jahr 1812 bzw. das bayerische Offizierskorps fokussiert haben. Im vorliegenden Band geht es um den Alltag militärischer Kooperation von 1805 bis 1813 - in allen Einzelheiten. Untersucht werden dabei nicht nur die bayerisch-französische Zusammenarbeit, sondern auch die des bayerischen Militärs mit anderen Rheinbundkontingenten. Quellengrundlage sind Erinnerungen und offizielle Berichte bzw. Korrespondenzen aus dem Bestand des Bayerischen Kriegsarchivs sowie aus anderen deutschen, österreichischen und französischen Archiven.
Vor der eigentlichen Darstellung der Erfahrungen skizziert der Autor "die Organisation, die Zusammensetzung, aber auch die Kommandostruktur der bayerischen Armee" in der Zeit der Revolutionskriege bzw. der napoleonischen Feldzüge (15). Die konkreten Schritte zur Eingliederung des bayerischen Kontingents in die "Grande Armée" schildert Lintner in allen bürokratischen Einzelheiten. Details aus dem Bündnisalltag werden ebenfalls angesprochen, etwa Sprachprobleme im Hinblick auf die Zusammenarbeit in den Stäben, wofür nur Französisch sprechende Bayern in Frage kamen (62), oder zwischen den einfachen Soldaten, beispielsweise wenn es um die Festlegung von Tagesparolen ging (40).
Neuralgische Punkte zwischen Bayern und Franzosen listet Lintner mit entsprechenden Quellenbelegen minutiös auf: die "Versorgung mit Lebensmitteln" (74), den "Missbrauch von Vorspanndiensten" (77) oder die Konkurrenz um geeignete Unterkünfte auf dem Marsch (78). Auf der Ebene der höheren Offiziere gab es wiederum Streit zwischen Bayern und Franzosen um Kompetenzen oder Kommandogewalt, etwa auf dem Rückzug aus Russland 1812 (220). Die Darstellung ist dabei deutlich detailreicher als bei Kroeger, liefert jedoch keine Erkenntnisse, die über Kroegers Befunde hinausgehen. Lintner kommt wie Kroeger zu dem Schluss, dass Konflikte ebenso wie Erfahrungen guter oder gar freundschaftlicher Kooperation zwischen den verbündeten Soldaten "situationsbedingt" waren und keine Rückschlüsse auf eine generelle Einstellung zum Bündnis zu lassen (91). [3]
Neben situativen spielten individuelle Faktoren eine Rolle, etwa die Persönlichkeit der französischen Oberbefehlshaber über die bayerischen Truppen. Marschall Jean Baptiste Bernadotte und Jérôme Bonaparte, die die bayerischen Truppen in den Feldzügen 1805 und 1806/1807 kommandierten, gelang es offenbar, ein Vertrauensverhältnis zu ihren bayerischen Untergebenen aufzubauen, wenngleich Lintner belegen kann, dass Jérôme keine hohe Meinung von der Kampfkraft der bayerischen Soldaten hatte (146f.). Dafür vergab der Kaiserbruder reichlich Ehrenzeichen und gab sich äußerlich betont "zuvorkommend und freundlich" (151) gegenüber den Bayern. Marschall François-Joseph Lefebvre, der die Bayern 1809 im Kampf gegen die Tiroler Aufständischen befehligte, leistete sich hingegen verbale Ausfälle und versuchte, den bayerischen Einheiten die Schuld an militärischen Rückschlägen zuzuschieben (158). Auch während des Russlandfeldzugs 1812 kam es zu Konflikten zwischen bayerischen Offizieren und ihrem Vorgesetzten, General Gouvion Saint-Cyr. So berichtete der bayerische Hauptmann Mailinger von Streit zwischen Saint-Cyr und dem bayerischen General Wrede bezüglich eines in einem Keller gefundenen Weinbestandes (172). Lintner betont jedoch, dass diese Konflikte weder das "offizielle Bild einer effektiven bayerisch-französischen Kooperation" noch die tatsächliche Zusammenarbeit gefährdet hätten, in "maßgeblichen Sachfragen" habe es kaum Streit gegeben (175).
Selbst 1813, als das Bündnis politisch seinem Ende entgegenging, funktionierte das militärische Zusammenspiel. Der neue Befehlshaber, Marschall Charles Nicolas Oudinot, versuchte laut Lintner gezielt und erfolgreich, die Bayern durch gute Versorgung und höfliche Behandlung bei der Stange zu halten (184f.).
Ohne strukturelle Auswirkungen blieben offenbar auch Konflikte zwischen bayerischen Truppen und den Einheiten anderer Rheinbundstaaten. Bayern und Württemberg etwa konkurrierten auf der politischen Eben um Territorien und die Gunst Napoleons und dies färbte offenbar auf die Beziehungen zwischen den Militärs ab. Bayerische Kommandeure gaben sich zum Beispiel keine Mühe, ihre Geringschätzung der militärischen Fähigkeiten der Württemberger zu verbergen (231). Doch diese Animositäten "verdrängten nie das gemeinsame Ziel der Bezwingung des Feindes", erklärt Lintner (237).
Zu den Sachsen hätten die Bayern 1806 und 1807 ein sehr schlechtes Verhältnis gehabt, das ganz von der anfänglichen Rolle Sachsens als mit Preußen verbündeter Feind geprägt gewesen sei. 1811 sei dies dann weitgehend vergessen gewesen und Bayern und Sachsen hätten beispielsweise als gemischte Garnison der Festung Danzig gut harmoniert. Bayern, Sachsen und Württemberger machten in Danzig auch gemeinsame Sache bei Streitigkeiten mit polnischen Einheiten (255) - einer der seltenen Belege für eine Art "deutsches" Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Rheinbundtruppen.
Von einer generellen "Vorliebe" für die "teutschen" Partner (322) konnte aber anscheinend keine Rede sein. "Mangelnde Zusammenarbeit gegen den Feind, fehlende Kampfbereitschaft und Moral" hätten die Bayern in ihren Berichten und Erinnerungen den deutschen Alliierten viel öfter vorgeworfen als den französischen, eventuell wegen der "Konkurrenz um die Gunst Napoleons". (317) Eine "Identifikation mit dem Rheinbund" (322) habe es nicht gegeben, ebenso wenig jedoch mit Napoleons Sache. Letztlich sei die "Selbstverortung" der Truppen stets auf Bayern fokussiert gewesen (323).
Das Fazit der vorliegenden Arbeit ist demnach, dass ideologische Überlegungen - etwa nationalistische Überzeugungen - für das Zusammenwirken bayerischer Truppen mit französischen oder rheinbündischen Einheiten praktisch keine Rolle spielten. Im Kern kann der Verfasser demnach Kroegers Werk nichts Neues hinzufügen. Kroeger kam bereits 2013 zu dem Schluss, dass bayerische Offizierskorps sei "unpolitisch" gewesen und habe sich allein an den "Vorgaben ihres Monarchen" orientiert. [4] Dank ihres breiten Ansatzes und vor allem wegen ihres quellengestützten Detailreichtums kann Lintners Studie dennoch interessante Anregungen für weitere Studien über die praktischen Aspekte von Militärbündnissen geben.
Anmerkungen:
[1] Sebastian Dörfler: Rezension von: Julia Murken: Bayerische Soldaten im Russlandfeldzug 1812. Ihre Kriegserfahrung und deren Umdeutungen im 19. und 20. Jahrhundert, München 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 5 [15.05.2007], URL: http://www.sehepunkte.de/2007/05/10058.html
[2] Tobias Friedrich Kroeger: Zwischen eigenstaatlicher Souveränität und napoleonischem Imperialismus. Das bayerische Offizierskorps 1799-1815, München 2013.
[3] Kroeger, 336.
[4] Kroeger, 336f.
Sebastian Dörfler