Sven Externbrink: Ludwig XIV. König im großen Welttheater, Paderborn: Brill / Ferdinand Schöningh 2021, XII + 470 S., ISBN 978-3-506-70331-6, EUR 49,90
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Sven Externbrinks Biographie Ludwigs XIV. strebt an, ein vollständiges Bild des "Sonnenkönigs" in seiner Zeit zu liefern und, das "wahre Leben hinter dem roten Samtvorhang" zu schildern. Sie ist hierfür nicht chronologisch aufgebaut, sondern in drei inhaltlich getrennte Abschnitte gegliedert. Erstens geht es um den Lebenslauf als solchen, zweitens um den Staatsaufbau und die innere Regierung Frankreichs, drittens um die außenpolitischen Konflikte. Der Untertitel ist passend gewählt - die Theatralik barocker Staatshandlungen ist ja nur schwer zu übersehen - und der inhaltliche Aufbau des Buches will dem entsprechen: "Vorspiel" und "Prolog" folgen drei "Akte", unterbrochen von zwei "Entreakten", abgeschlossen vom "Finale". Dies zielt, ganz zu Recht, darauf, Ludwig als jemanden zu zeichnen, der die ihm zugewiesene Rolle in Gänze annahm und perfekt verkörperte. Das Individuum verschmolz mit der Rolle.
Inhaltlich beginnt Externbrink ("Vorspiel") mit dem Tod des Vaters, Ludwigs XIII., um den Übergang von einem Regime zum nächsten zu zeichnen, wobei dieser zunächst auf eine konfliktreiche Regentschaft hinauslief. Der "Prolog" ist der Fronde gewidmet, verstanden als "Lehrjahre eines Königs". Zunächst im Rückgriff widmet sich der "Erste Akt" dann der Biographie, also etwa dem elterlichen Ehedesaster, der überraschenden Schwangerschaft der Mutter, der dynastischen Situation im Ganzen. Ludwig soll als Mensch fassbar gemacht werden. Wir erfahren also etwas über seinen Geschmack (und Appetit) bei Tisch wie im Bett. Interessanter ist die daran anschließende tour d'horizon der einschlägigen Quellen. Der Autor kennt sie wie kaum jemand in Deutschland. Der Überblick dient dazu, Gemeinsamkeiten in der Einschätzung der Zeitgenossen herauszuarbeiten: Ludwigs Verschlossenheit und Fähigkeit zur Verstellung ("dissimulation"). Undurchsichtigkeit war eine Tugend der Regierenden - wahrscheinlich ist sie es noch immer -, und an diese schloss sich allerdings vorzüglich das gesellschaftliche Ideal der Zeit an: Der "honnête homme" hatte, im Glück wie im Unglück, Gleichmut zu bewahren. In dieser Hinsicht gab Ludwig in der Tat ein Beispiel. Ihn "als Mensch" zu fassen, gelingt dabei auch Externbrink nur bedingt; der König wäre zufrieden.
Der erste "Entreakt" ist der (zweiten) Regierungsübernahme Ludwigs gewidmet: 1661 starb, sechs Jahre nach Volljährigkeit und Salbung des Königs, der Kardinal Mazarin. Ludwigs öffentlich gemachte Bekundung, fortan ohne ersten Minister regieren zu wollen, wurde vom Publikum als ersehnte Rückkehr zur (imaginierten) Normalität aufgefasst. In der Auswahl der Quellen und Zitate zeigt sich hier (wie dann in der Folge) eine der Stärken des Buches.
Der "Zweite Akt", "Ludwig XIV. und 20 Millionen Franzosen", nimmt den König im Verhältnis zu Land und Untertanen in den Blick. Die französische Adelsgesellschaft wird umrissen, die Staatsinstitutionen und die Staatsfinanzierung. Im Hintergrund steht die Frage des "Absolutismus" bzw. des tatsächlichen Gehalts der "absoluten" Monarchie. Dazu gehören substanzielle Ausführungen zu den Ministerdynastien des "selbstregierenden" Königs im Allgemeinen und zu Jean-Baptiste Colbert im Besonderen, was freilich im Hinblick auf den angeblichen oder tatsächlichen "Ministerabsolutismus" nicht problematisiert wird. Das besondere Augenmerk des Verfassers gilt aber dem Hof, seinen realen Einrichtungen wie seiner Ausstrahlung und Symbolik. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass "Versailles" eine Chiffre für Ludwigs Herrschaft sein mag, aber erst 1682 bezogen wurde. Der Glanz des Hofes Ludwigs entfaltete sich deutlich früher. In einem bitteren, sinnvollen Kontrast wird dieser Glanz gespiegelt in Ausführungen zu den Krisen- und Katastrophenjahren Ludwigs, vor allem 1692/94 und 1709: Klimaphänomene, Missernten, militärische Niederlagen.
Nachdem der zweite "Entreakt" die Annahme des auf Bewahrung der Einheit der spanischen Monarchie zielenden Testaments Karls II. geschildert hat - von den vorhergehenden Teilungsplänen, die die Sache diffizil machten, ist nicht die Rede - widmet sich der "Dritte Akt" dem Thema "Ludwig XIV. und Europa" oder, mit anderen Worten, den Eroberungskriegen zwischen 1667 und 1697, sodann dem Kampf um das spanische Erbe.
Dies wird dies eingebettet in Ausführungen zur außenpolitischen Situation Frankreich auf der Basis des Westfälischen Friedens - ob 1648 tatsächlich "das Elsass" erworben war, sei einmal dahingestellt - um den Primat der königlichen Ehre - der völlig legitime Kriegsgründe liefern konnte - oder um die Machtmittel des "Großen Königs": das Heer, "Gigant des Großen Jahrhunderts" (John Lynn), und die Flotte, die bezeichnenderweise bis heute "La Royale" genannt wird, wiewohl der eigentliche Gründungsvater Colbert war. Nüchtern wird sodann das Kriegsgeschehen referiert, verbunden mit Reflexionen über das historiographische Konstrukt der deutsch-französischen "Erbfeindschaft". Der Begriff war natürlich schon den Zeitgenossen geläufig, allerdings wohl als Konzept nicht verinnerlicht. Auch an der Verwüstung der Pfalz nahm man bereits in der Zeit selbst Anstoß, was auch für einige daran beteiligte Offiziere oder Versailler Höflinge galt. Die Letztverantwortung dafür lag natürlich beim König, auch wenn sein sinistrer Kriegsminister - one does not speak his name... - die Befehle ausgearbeitet haben mochte. Das Vorgehen stand in der Logik des "pré carré", des unbedingten Schutzes der eigenen Grenzen durch Vorfeldverteidigung (oder eben -zerstörung), und des "faire crier les peuples", des Versuchs, den Krieg für den Gegner schmerzhaft zu gestalten, um ihn so möglichst abzukürzen. Unter beiden Gesichtspunkten war, militärisch wie politisch, die "désolation du Palatinat" allerdings eines der großen Fehlkalküle des Königs bzw. seiner Berater.
Zwar sympathisiert der Rezensent mit dem "theatralischen" Interpretament des Verfassers, die darauf bezogene Gliederung des Buches erscheint jedoch etwas artifiziell. "Akte" dienen im Schauspiel dazu, eine fortschreitende Handlung aufzuteilen. Hier sind sachlich getrennte Themenbereiche damit gemeint. Und ist es nötig, außer für die Statik einer solchen Gliederung, "Entreakte" einzurücken, die etwa den Spanischen Erbfolgekrieg evozieren, bevor dann - drei Schritte zurück - der folgende "Akt" mit dem ersten der Eroberungskriege beginnt? Daraus folgt nur Redundanz.
Zusammenfassend scheint es dem Rezensenten, dass hier weniger eine Biographie vorliegt als vielmehr ein kunstvoll aufgebautes Handbuch zur Geschichte Frankreichs im Zeitalter Ludwigs XIV.; orientiert also an Olivier Chaline, aber natürlich nicht in der gleichen Tiefe. Für deutsche Leser ist dies damit eine wertvolle Informationsgrundlage und Verständnishilfe. Die dichten Quellenzitate, sehr willkommen, geben dem Buch aber zuweilen auch fast den Charakter einer Anthologie. Thesenbildung, Pointierung, erfolgt kaum, sieht man von dem sehr sinnvollen Hinweis ab, dass Ludwig nicht zuletzt (sondern wohl zuerst) Dynast war, dem es um das "Haus Frankreich" ging und um dessen "Krone" natürlich bzw. deren "Ehre", weniger ums Land oder - durchaus als solche bereits vorgestellt und vorhanden - um die Nation. Einem Handbuch mag das angemessen sein. "Anstoß" erregt es nicht; Anstöße, allerdings, werden auch nicht gegeben. Worin Ludwigs "Größe" eigentlich bestand, bleibt offen. Sorge um die Qualität heutiger deutsch-französischer Beziehungen, die Externbrink äußert, erscheint dem Rezensenten durchaus berechtigt, wenn auch weniger mit Blick auf eventuell fortwirkende Ressentiments im tiefen deutschen Südwesten, sondern eher ob des überragenden Selbstgefühls einer Pariser Elite, das dem des "Sonnenkönigs" wohl nicht gleichkommt, diesem aber doch einiges verdankt.
Martin Wrede