Rezension über:

David Stefan Doddington / Enrico Dal Lago (eds.): Writing the History of Slavery (= Writing History), London: Bloomsbury 2022, XII + 462 S., ISBN 978-1-4742-8557-5, GBP 81,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Stephan Conermann
Bonn Center of Dependency and Slavery Studies, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Paul Blickle
Empfohlene Zitierweise:
Stephan Conermann: Rezension von: David Stefan Doddington / Enrico Dal Lago (eds.): Writing the History of Slavery, London: Bloomsbury 2022, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 10 [15.10.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/10/37497.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

David Stefan Doddington / Enrico Dal Lago (eds.): Writing the History of Slavery

Textgröße: A A A

Es mangelt nicht an Einführungen in die globale Geschichte der Sklaverei. Neben den Klassikern von Orlando Patterson, Joseph Miller, Joel Quirk und Michael Zeuske [1], den umfangreichen Anthologien von Gad Heuman und Trevor Burnard einerseits und Damian Alan Pargas und Felicia Roşu andererseits [2] sowie Handbüchern wie der Macmillan Encyclopedia of World Slavery, der Cambridge World History of Slavery oder der Routledge History of Slavery [3] liegen auch einige Sammelbände vor, die den Leser*innen einen Überblick über das Forschungsfeld verschaffen wollen. [4] Nun haben David Stefan Doddington (Senior Lecturer in North American History, Cardiff University, UK) und Enrico Dal Lago (Professor of American History, National University of Ireland Galway, Ireland) erneut einen konzeptionell angelegten Band zum Thema veröffentlicht. Wie schon seine Vorgänger bietet er keine vollkommen überzeugende, in sich geschlossene Auswahl. Allerdings haben sich die beiden Herausgeber sehr große Mühe gegeben, ein möglichst breites Spektrum von Schlüsselthemen abzudecken.

In dem ersten - "Global Approaches" überschriebenen Teil - finden sich sechs Beiträge, die von einigen der bekanntesten zurzeit tätigen Sklavereiforschern verfasst worden sind. Kommt David Lewis am Ende seiner Betrachtungen zu den unterschiedlichen Definitionen von "Sklaverei" ("Defining Slavery in a Global Perspective") zu dem Ergebnis, dass sich die traditionelle Eigentumsdefinition für vergleichende historische Studien zur globalen Sklaverei weiterhin durchaus eignet, so schildert Michael Zeuske in einem autobiographisch gefärbten Text ("Writing Global Histories of Slaveries") seinen (exemplarischen) Weg von der Regionalstudie zur Globalgeschichte. In dem vorläufigen Endprodukt seiner persönlichen Entwicklung, dem oben genannten Handbuch, teilt er die Geschichte der Sklaverei(en) von 20.000 vor unserer Zeit bis in die Gegenwart ganz überzeugend in sechs Phasen ein. Trevor Burnard befasst sich in seinem Kapitel ("Slavery and Empire") mit der Frage, welche Rolle die Sklaverei bei der Entstehung, Aufrechterhaltung und Entwicklung von Imperien spielte. Letztlich muss man vor allem die Expansionserfolge europäischer Imperialmächte, so sein Fazit, in einen engen Zusammenhang mit dem großräumigen Handel von Menschen stellen. Die Verbindung von Sklaverei und kapitalistischer Wirtschaftsweise und der damit einhergehenden zunehmenden Dominanz europäischer Kolonialstaaten seit dem 16. Jahrhundert bleibt, wie Dale Tomich insbesondere an den Debatten um die Werke von Eric Williams, Robert E. Fogel, Stanley E. Engerman und Kenneth Pomerantz darzustellen weiß, ein in der Forschung heiß umstrittenes Thema. ("The 'Great Divergence'. Slavery, Capitalism and World-Economy") Auf eine Übersicht über die verschiedenen Antisklavereibewegungen auf der Welt durch Seymour Drescher ("Approaches to Global Antislavery") folgt abschließend Enrico Dal Lago Abriss einiger der wichtigeren vergleichenden Ansätze in der Sklavereiforschung ("Comparative and Transnational Histories of Slavery").

Der zweite Teil des Bandes ("Themes and Methods") umfasst 13 Artikel, die zentrale Aspekte und jüngere theoretische und methodische Ansätze der Slavery Studies abdecken. Dabei kommen spannende Themen wie die Verbindung der Sklaverei- zur Rassismus- und Geschlechterforschung (Jacquelin Jones: "What Historians of Slavery Write About When We Write About Race" und David Stefan Doddington: "Gender History and Slavery") ebenso zur Sprache wie neuere psychohistorische und kliometrische Ansätze (Patrick H. Breen: "Psychohistory and Slavery" und Andrea Livesay: "Quantitative Histories of Slavery") sowie der ethisch und vor allem epistemologisch bisweilen sehr heikle Zugang zu dem in der Regel nicht von den versklavten Personen selbst verfassten Quellenmaterial in den Archiven. (Marisa J. Fuentes / Elizabeth Maeve Barnes: "Dispossessed Lives: Enslaved Women, Violence and the Archive") Diese Problematik greift auch Andrea Major in ihrem Kapitel über den Postkolonialismus und seine Auswirkungen auf die Interpretation von Archivquellen im Hinblick auf die Wahrnehmung und die Realität der Sklaverei am Beispiel von Britisch-Indien auf ("Slavery, Postcolonialism and the Colonial Archive").

Angesichts der seit geraumer Zeit in vielen Gesellschaften intensiv betriebenen Auseinandersetzung mit dem schweren Erbe der Sklaverei hat die Zahl erinnerungskultureller Annäherungen an das große Thema in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen. Nationale Sichtweisen prägen dabei immer noch stark nicht nur das kollektive Gedächtnis europäischer Staaten, sondern ebenfalls die Geschichtsschreibung in den einzelnen Ländern (Lewis Eliot: "Writing National Histories of Slavery"). Wie schwierig der memoriale Umgang mit der Sklaverei sein kann, führt uns Marcus Woood am Beispiel der in der Nähe von New Orleans gelegenen Whitney Plantation deutlich vor Augen ("Re-tooling Memory and Memory Tools. America's Ongoing Re-memory of Slavery"). Eine Möglichkeit, das Unsagbare am Ende doch auszudrücken, bieten eventuell fiktionale Texte wie etwa Toni Morrisons berühmter Roman Beloved aus dem Jahre 1987 (Raquel Kennon: "Slavery and the Cultural Turn"). Recht neu ist der Beitrag von Untersuchungsmethoden und Ansätzen aus der Archäologie zur Erforschung vergangener Sklav*innengesellschaften. In ihrem Aufsatz untersucht Lydia Wilson Marshall, wie Wissenschaftler*innen sowohl anthropologische als auch archäologische Methoden anwenden, um zu einem besseren Verständnis des Sklav*innenlebens in verschiedenen sozialen Domänen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten der Welt zu entwickeln ("Material Culture, Archaeology and Slavery").

Es bleiben noch drei Beiträge übrig, die sich zum einen mit einem Fallbeispiel, nämlich der römischen Sklaverei und den Möglichkeiten ihrer Erforschung befassen (Keith R. Bradley: "Imagining Slavery in Roman Antiquity"). Zum anderen widmet sich Sue Peabody der Frage, bis zu welchem Grad es uns historische Aufzeichnungen, Dokumente und Urkunden ermöglichen, die politische und rechtliche Geschichte der Sklaverei zu rekonstruieren ("Political and Legal Histories of Slavery"). Matt Childs skizziert schließlich die Forschung zur Religiosität und zur Religion der versklavten Menschen. Im Mittelpunkt des Interesses von Anthropolog*innen und Historiker*innen standen bislang insbesondere synkretistische Religionen wie Kubas Santería, Brasiliens Candomblé und Haitis Vodun ("Writing the Religious History of the Enslaved in the Atlantic World").

Der Sammelband wird alles in allem seinem Anspruch, einen einführenden Überblick über viele wichtige Bereiche der Sklavereiforschung zu geben, durchaus gerecht.


Anmerkungen:

[1] Orlando Patterson: Slavery and Social Death. A Comparative Study, Cambridge 1982; Joseph C. Miller: The Problem of Slavery as History. A Global Approach, New Haven 2012; Joel Quirk: Unfinished Business. A Comparative Survey of Historical Contemporary Slavery, Paris 2009; Michael Zeuske: Handbuch Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von Anfängen bis zur Gegenwart, 2. Aufl. Boston 2019 und ders.: Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute, Ditzingen 2021.

[2] Gad Heuman / Trevor Burnard (Hgg.): Slavery. Critical concepts in historical studies, 4 Bände, London 2014; Damian Alan Pargas / Felicia Roşu (Hgg.): Critical Readings on Global Slavery, 4 Bände, Leiden / Boston 2017.

[3] Paul Finkelman / Joseph C. Miller (Hgg.): Macmillan Encyclopedia of World Slavery, New York 1998; Gad Heuman / Trevor Burnard (Hgg.): The Routledge History of Slavery, London 2011; Keith Bradley / Paul Cartledge (Hgg.): The Cambridge World History of Slavery, vol. 1: The Ancient Mediterranean World, Cambridge 2011; Craig Perry / David Eltis / Stanley L. Engerman (Hgg.): The Cambridge World History of Slavery, vol. 2: AD 500 - AD 1420, Cambridge 2021; David Eltis / Stanley L. Engerman (Hgg.): The Cambridge World History of Slavery, vol. 3: AD 1420 - AD 1804, Cambridge 2016; David Eltis / Stanley L. Engerman / Seymour Drescher / David Richardson (Hgg.): The Cambridge World History of Slavery, vol. 4: AD 1804 - AD 2016, Cambridge 2017.

[4] Genannt seien nur Jeff Fynn-Paul / Damian Alan Pargas (Hgg.): Slaving Zones. Cultural Identities, Ideologies, and Institutions in the Evolution of Global Slavery, Leiden / Boston 2018 und Noel E. Lenski / Catherine M. Cameron (Hgg.): What Is a Slave Society? The Practice of Slavery in Global Perspective, Cambridge 2018.

Stephan Conermann