Rezension über:

Paweł Gołyźniak: Engraved Gems and Propaganda in the Roman Republic and under Augustus (= Archaeopress Roman Archaeology; 65), Oxford: Archaeopress 2020, VIII + 606 S., 52 Kt., 1044 Farbabb., ISBN 978-1-78969-539-7, GBP 90,00
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Rezension von:
Jörn Lang
Universität Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Jörn Lang: Rezension von: Paweł Gołyźniak: Engraved Gems and Propaganda in the Roman Republic and under Augustus, Oxford: Archaeopress 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 11 [15.11.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/11/34845.html


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Paweł Gołyźniak: Engraved Gems and Propaganda in the Roman Republic and under Augustus

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Die offizielle Bildsprache zur Zeit der römischen Republik und vor allem der Versuch einer Bindung von Darstellungen an den ersten princeps Augustus gehören zu den vielfach untersuchten Aspekten des klassischen Altertums. [1] Werke der Glyptik wurden in diesem Zusammenhang zwar in die Betrachtungen einbezogen, doch stand eine systematische Analyse dieser Bildwerke aus. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass eine Annäherung an die Aussagekraft materieller Zeugnisse aus dem engsten Umfeld von Menschen methodisch deutlich komplexer ist, als bei solchen Werken, deren offizieller Charakter bereits einen Deutungsrahmen für Motive oder Bildfolgen bereithält.

Paweł Gołyźniak hat sich in seiner umfänglichen Dissertationsschrift mit ebendieser Problematik auseinandergesetzt. Er widmet sich geschnittenen Steinen unter dem Aspekt ihres "potential propagandistic value" (1). Auf Basis einer knappen Forschungsgeschichte und methodischen Einführung (Teil I, 2-21) nähert sich Gołyźniak diesem hoch gesteckten Ziel in zwei großen Abschnitten. Nach einem knapperen, begriffsgeschichtlich-theoretischen Teil zum Begriff Propaganda und ihrer Präsenz in Werken der Glyptik (Teil II, 22-43), wird das Material in chronologischer Folge präsentiert (Teil III, 45-249). Auf die umfängliche Zusammenfassung (250-330) folgen der Katalog (331-445) mit über 2900 Objekten sowie ein voluminöser Abbildungsapparat.

Allein die Quantität des Materials verbietet es, Einzelaspekte kritisch zu beleuchten bzw. Erkenntnisse zu würdigen. Es erfolgt daher eine Konzentration auf das thematische Kernfeld der vorliegenden Arbeit: die private Bilderwelt der Gemmen und ihren Stellenwert innerhalb einer unidirektionalen, gelenkten Kommunikation.

Die Schwierigkeit, diese beiden Aspekte konsistent zusammenzuführen, lässt bereits der methodische Ansatz (Kapitel 3) erkennen. Denn Propaganda ist nicht auf das Phänomen einer schlichten Verbreitung von Bildthemen zu reduzieren. In Absetzung von einem neutraleren Begriff der Kommunikation schwingt in allen konzeptionellen Schärfungen des Terminus immer der Aspekt einer gezielten Verbreitung mit. [2] Gołyźniak definiert für die Arbeit Propaganda als "form of communication between propagandist, who sends signals and target groups, which he aims to reach and influence" (19). Zugleich wird der private Charakter der Objekte selbst betont (z.B. 159, 207, 214). Dem Anspruch einer gesteuerten Platzierung von Botschaften steht das archäologische Material aus dem engen, privaten Umfeld einzelner Personen gegenüber. Gołyźniak setzt die Möglichkeit voraus, dass dies in Form einer bildlichen Kommunikation in den privaten Raum möglich war. Doch wäre diese Annahme vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Kommunikationsformen der späten Republik und Kaiserzeit überhaupt erst plausibel zu machen. Es bliebe jeweils im Detail zu untersuchen, inwiefern eine formal-bildliche Rezeption von Motiven öffentlicher Monumente auch mit einer inhaltlichen einher ginge und diese im privaten Bereich als Vehikel zielgerichteter politischer Aussagen zu betrachten wären. Ästhetische Beweggründe für die Wahl eines Motivs finden z.B. keinerlei Berücksichtigung. Dies stellt gerade für vielschichtige, private Artefakte wie Gemmen und Kameen eine bedenkliche Verengung des Blickwinkels dar. [3]

Die konzeptionelle Unschärfe setzt sich auf der begrifflichen Ebene fort (Kapitel 4, 5). Es fehlt an notwendiger Trennschärfe zwischen den Begriffen Propaganda und Repräsentation. [4] Dies bleibt für die Struktur der gesamten Arbeit nicht ohne Folgen. Gołyźniak geht davon aus, dass Gemmenmotive politische Motive reflektieren (32), bleibt aber eine Konkretisierung, welche Themen Potenzial zur Verwendung im politischen Bereich besaßen, schuldig. Damit fehlen der Arbeit nachvollziehbare Kriterien, nach denen die Auswahl des archäologischen Materials erfolgte.

Die materiellen Hinterlassenschaften werden im Anschluss in einer chronologischen Reihenfolge präsentiert. Der Ausgangspunkt der Betrachtung ist mit dem 3. / 2. Jahrhundert v.Chr. (Kapitel 6) gut begründet, da sich in dieser Zeit aus etruskischen und griechisch-hellenistischen Traditionen heraus neue Formen der Produktion geschnittener Steine im italischen Raum formten. Politisch zu deutende Motive sind für diesen Zeitraum kaum greifbar. Diese Schwierigkeit zieht nach sich, dass die wenigen Zeugnisse in Hinsicht auf ihre Aussagekraft überstrapaziert werden. So deutet das Tragen einer Toga keineswegs auf eine Zugehörigkeit zur Gruppe der Senatoren hin, sondern markiert eine Person als römischen Bürger. [5] Und Porträts wie dasjenige des sog. Scipio Africanus als Beispiel eines politischen "personal branding" (so z.B. 62) heranzuziehen ist erklärungsbedürftig. Denn sein Bildnis muss aufgrund des Fehlens einer gesicherten oder zumindest plausiblen Identifizierungsmöglichkeit unbenannt bleiben.

Dichter wird die Überlieferung im 1. Jahrhundert v.Chr. (Kapitel 7). Hier offenbart die Arbeit Schwächen im Umgang mit den wieder ins Zentrum gerückten Bildnissen. So verliert sich Gołyźniak in den Diskussionen um Benennungen wie diejenige Sullas. Dessen Portrait ist jedoch nicht sicher identifiziert. Ohne Vorlage detaillierter Formvergleiche von Gemmen und einer Diskussion von Beispielen der Münzprägung als Beispiel politischer, zielgerichteter Kommunikation ist es daher nicht belastbar. Ausgangspunkt für eine Untersuchung eines "personal branding" von bekannten Personen könnten hier Gemmenporträts mit Repliken darstellen, die bisher nicht zusammenfassend untersucht wurden. [6]

Einen ersten Höhepunkt in der - auch bildlich ausgetragenen - Auseinandersetzung politischer Konkurrenten erlebte die römische Republik in der coitio zwischen C. Iulius Caesar, M. Licinius Crassus und Cn. Pompeius Magnus (Kapitel 8). Gołyźniak zeichnet die Auseinandersetzung auf Ebene der Bildnisse und politischen Symbole nach, bewegt sich aber etwa im Bereich der imitatio Alexandri (108f.) nicht auf dem aktuellen Stand der Forschung. [7]

Gesteigert wurde die Auseinandersetzung zur Zeit des Triumvirats zwischen C. Octavius, M. Aemilius Lepidus und Marcus Antonius (Kapitel 9). Auch hier erfolgt eine breite Auseinandersetzung mit den Motiven, durch die Leser:innen einen Überblick über die vorherrschenden Themen der Glyptik im späten 1. Jahrhundert v.Chr. erhalten. [8] Gołyźniak ist sich bewusst, dass nicht jede Darstellung eines Capricornus auf den späteren princeps Augustus verweist, doch hätte dieser Aspekt nach Auffassung des Rezensenten deutlicher herausgestellt und motivgeschichtlich eingebettet werden können.

Den Abschluss der chronologischen Entwicklung bildet die augusteische Zeit (Kapitel 10), für die Gołyźniak ebenfalls einen verlässlichen Überblick über die verbreiteten Themen bietet. Gerade vor dem Hintergrund des Fokus der vorliegenden Arbeit fehlt jedoch eine konkrete Verbindung zwischen der politischen Ebene mit den grundlegenden Aspekten augusteischer Herrschaft und den in der Glyptik verwendeten Bildmotiven dieser Zeit. [9]

In drei abschließenden Kapiteln (11-13) werden die Ergebnisse unter den Aspekten von Fundort, Sammlungsherkunft und Produktion aufbereitet. Die sehr ausführliche Auseinandersetzung mit Fundorten und Angaben zur Herkunft in den Sammlungen ergibt das Bild, dass die betrachteten Motive vor allem im italischen Raum produziert wurden (269) und bis an die Grenzen des Imperium Romanum Verbreitung fanden. Eine Konzentration ist entlang des Limes zu beobachten. Dies fügt sich in das generelle Spektrum glyptischer Produktion ein, das in ebendiesem Raum zu suchen ist. Für die statistische Zusammenfassung unterstreicht Gołyźniak selbst den hypothetischen Charakter, doch verfestigen die Schaubilder die fragwürdige Auffassung, die betrachteten Motive als Zeugnisse von Propaganda anzusehen. So sind die Motive nicht nur sprachlich als "propaganda gems" zusammengefasst (250), sondern werden tabellarisch (Table 1) als "propaganda and self-representation" und "not propaganda" gegenübergestellt. In Bezug auf Augustus wird gar ein "great success in his political agenda" konstatiert (270). Dadurch werden die zum Teil differenzierteren Beobachtungen in den Kapiteln selbst verwischt. Die Statistiken geben einen guten Überblick über die in der Arbeit betrachteten Motive, ihre Aussagekraft in Hinsicht auf den Aspekt Propaganda ist dagegen eingeschränkt. Dies bildet auch die abschließende Zusammenfassung ab, in der weniger die Ergebnisse präsentiert als vielmehr unterschiedliche Aspekte der Funktion von Gemmen thematisiert werden. [10]

Der Katalog (331-445) ist das Ergebnis eines sammlerischen Kraftakts. So sind alle der etwa 2900 Objekte mit grundlegenden Angaben aufgeführt und zu einem signifikanten Teil auch abgebildet. Es ist ebendiese enorme Materialsammlung, die den Eindruck hinterlässt, dass alle zusammengetragenen Objekte gleichermaßen berücksichtigt werden sollten. Dadurch stehen letztlich Motive, die mit dem Aspekt Propaganda in Verbindung gebracht werden können, neben solchen, für die eine derartige Verbindung fragwürdig bleibt.

Im Ergebnis liegt mit dem vorliegenden Band somit ein umfassendes Kompendium zu einem Motivspektrum innerhalb der Glyptik vor, das von der bisherigen Forschung mit politischen Themen der späten Republik und frühen Kaiserzeit verbunden wurde. Der Herausforderung einer Analyse des komplexen Problemfeldes einer Propagierung politischer Themen im Rahmen einer engen persönlichen Bilderwelt wird man sich auf Basis des vorliegenden Bandes erneut stellen müssen.


Anmerkungen:

[1] Vgl. etwa M. C. Pimentel u.a. (eds.): Augustan Papers. New Approaches to the Age of Augustus of the Bimillennium of his Death, Hildesheim 2020; R. von den Hoff / W. Stroh / M. Zimmermann: Divus Augustus. Der erste römische Kaiser und seine Welt, München 2014.

[2] Vgl. Th. Bussemer: Propaganda. Konzepte und Theorien, Stuttgart 2005.

[3] Vgl. zu dieser Komplexität etwa M. Flecker / A. Haug (Hgg.): Bildwanderungen - Bildtransporte. Die augusteische Bilderwelt jenseits der Alpen, Regensburg 2011 für die augusteische Zeit.

[4] Hierzu begrifflich klar A. Eich: Die Idealtypen "Propaganda" und "Repräsentation" als heuristische Mittel bei der Bestimmung gesellschaftlicher Konvergenzen und Divergenzen von Moderne und römischer Kaiserzeit, in: Propaganda - Selbstdarstellung - Repräsentation im römischen Kaiserreich des 1. Jhs. n. Chr., hg. von G. Weber / M. Zimmermann, Stuttgart 2003, 41-81.

[5] Vgl. dazu bereits H.-R. Goette: Studien zu römischen Togadarstellungen, Mainz 1990.

[6] Vgl. vorläufig J. Lang: Bekannte Unbekannte. Bildniswiederholungen in der spätrepublikanischen Glyptik, in: Figurationen des Porträts. Festschrift für Dietrich Boschung, hg. von M. Roussell / Th. Greub, München 2018, 163-188.

[7] Vgl. differenzierter bereits D. Villani: Pompée et l'universalisme romain, Pallas 90, 2012, 335-350.

[8] Dies geht auch zu Lasten einer präzisen Auseinandersetzung mit den Objekten selbst, wenn etwa S. 166 cat. no. 9.531 eine Inschrift schlichtweg für nachantik erklärt wird, ohne auf die Argumente für eine antike Entstehung einzugehen. Vgl. zum Objekt ausführlich bereits E. Zwierlein-Diehl: Glaspasten im Martin-von-Wagner-Museum der Universität Würzburg, München 1986, 208f. Nr. 560.

[9] Vgl. etwa E. Zwierlein-Diehl: Griechische Gemmenschneider und augusteische Glyptik, AA 1990, 539-557.

[10] Mit der Berücksichtigung der sog. Staatskameen (326 f.) und Kameogefäßen wird eine Kategorie von Objekten betrachtet, die explizit nicht in den privaten Bereich fällt. Vgl. E. Zwierlein-Diehl: Antike Gemmen und ihr Nachleben, Berlin 2007, 146-180.

Jörn Lang