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Lucy Delap: So sieht Feminismus aus. Die Geschichte einer globalen Bewegung, München: Karl Blessing Verlag 2022, 447 S., ISBN 978-3-89667-712-9, EUR 18,00
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Rezension von:
Kerstin Wolff
AddF - Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel
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Kerstin Wolff: Rezension von: Lucy Delap: So sieht Feminismus aus. Die Geschichte einer globalen Bewegung, München: Karl Blessing Verlag 2022, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 11 [15.11.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/11/36932.html


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Lucy Delap: So sieht Feminismus aus

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Es ist sicher keine neue Erkenntnis, dass der Aufbruch der Frauen ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein globales Ereignis war. Weltweit entstanden Bewegungen, die sich mit der öffentlichen, privaten und politischen Stellung der Frau auseinandersetzten. Diese Bewegungen traten miteinander auf vielfältige Weise in Kontakt und schufen damit feministische Bündnisse, die sich - so Lucy Delap - durch die Generationen und Epochen zogen. Diese "unerwartete(n) Verbindungen und Resonanzen" aufzudecken und damit eine "andersgeartete Geschichte voller Konflikte und Spannungen" zu schreiben, die in ihrer globalen Dimension inspirierend für heutige Gesellschaften und heutige Akteurinnen und Akteure sein kann, ist das Anliegen dieses Buches.

Das ist ein durchaus ambitioniertes Unterfangen, vor allem deshalb, weil sich nicht alle Feministinnen und Feministen in allen Epochen und Regionen in ihren Forderungen einig waren. Dies sieht auch die Autorin so und erkennt einen roten Faden, der sich bis heute durch den Feminismus zieht. So kämpft dieser zwar für eine gleichberechtigte Integration von allen Frauen in alle gesellschaftlichen Bereiche, produziert aber in diesem Ringen seine eigenen Ausschlussmechanismen. Aber trotz aller Unterschiede feministischer Bewegungen plädiert Delap dafür, den verbindenden Kerngedanken (nämlich den Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen) ernst zu nehmen und den Feminismus als globale Bewegung zu verstehen. Nur eine globale Perspektive ermögliche es, die Priorität des europäischen Feminismus zu brechen und zudem transnationalen Ideentransfers auf die Spur zu kommen. Folgerichtig strebt Delap eine Verflechtungsgeschichte des Feminismus an.

Wie geht Delap vor, um diese Ansprüche einzulösen? Die Autorin nähert sich ihrem Thema durch acht Kapitel, die die letzten 250 Jahre umfassen und fünf Kontinente beleuchten. Im ersten Kapitel ("Träume") stehen die weltweiten Vorstellungen und Utopien des Feminismus im Zentrum. Welches Ziel sollte erreicht werden? Wer sprach sich für welche Idee aus, und wie entwickelten sich diese im Verlauf der Geschichte? Dabei richtet die Autorin den Fokus sowohl auf fiktionale Literatur als auch auf politische Schriften ausgewählter Feministinnen und Feministen, die sich mit einer geschlechtergerechten Gesellschaftsutopie beschäftigten. Im zweiten Kapitel ("Konzepte") stellt sie den Kampf gegen frauenfeindliche Theorien vor. Delap beleuchtet etwa die literarischen Versuche, die angenommene grundlegende Verschiedenheit der Geschlechter zu stören, oder die Debatten rund um das Konzept des Patriarchats.

Im dritten Kapitel befasst sich die Autorin mit den Räumen, die Feministinnen und Feministen nutzten, um zu schreiben, Aktionen zu planen oder auch einfach nur selbstbestimmt zu arbeiten und zu leben. Dazu gehören auch die Schaffung eigener Orte, wie z.B. Frauenzentren oder Salons, oder das Unterwandern von männlich besetzten Räumen wie exklusiven Clubs oder Wahllokalen. Im Kapitel "Objekte / Dinge / Gegenstände" wendet sich die Autorin den äußeren Zeichen des feministischen Kampfes zu wie Aufklebern, Ansteckern oder Transparenten. Dazu zählen auch Objekte, die am oder im Körper zum Einsatz kamen, wie das Spekulum, welches durch die Zweite Frauenbewegung als feministisches Objekt etikettiert wurde. Im Kapitel "Mode" geht es um einen feministischen "Look" wie z.B. den Pussyhat, den Frauen 2017 auf dem Washingtoner Protestmarsch gegen Donald Trump trugen. Delap fokussiert auf die "Neue Frau" in den 1920er-Jahren, Überlegungen zur "Reformkleidung" und schließt das Kapitel mit Überlegungen zur weiblichen Verschleierung ab. Das sechste Kapitel thematisiert Gefühle, die feministische Wut ebenso wie die Liebe und die Mutterschaft. "Aktivismus" ist das siebte Kapitel überschrieben. Hier treten die britischen Suffragetten mit ihren militanten Aktionen auf oder australische Aktivistinnen, die sich in den 1960er-Jahren an Bars anketteten, die sie als Frauen nicht besuchen durften. Das achte Kapitel ("Lieder / Parolen / Klänge") beschließt den thematischen Zugriff des Buches. Im Fazit stellt die Autorin fest, dass "das Ausmaß an Entlehnungen, grenzübergreifenden Einflüssen und gemeinsamem Austausch" ihre Erwartungen übertroffen habe (378) und dass die globalen Einflüsse nicht die Ausnahme, sondern die Regel gewesen seien. Ihr Ziel, den euro-amerikanisch zentrierten Darstellungen eine buntere und vielfältigere Lesart entgegenzusetzen, habe sich erfüllt.

Aber ist dies tatsächlich so? Zugegeben, das Buch erzählt vielfältige Geschichten aus Ländern, die scheinbar nicht im Mainstream der historischen Geschlechterforschung bzw. der globalen Frauenbewegungsgeschichte liegen, wie z.B. Japan oder Nigeria. Aber was erzählt sie aus diesen Ländern - zu welchen Geschichten hat sie überhaupt Zugang? Dies wird deutlich, wenn man sich ansieht, was Delap über die deutsche Frauenbewegung ausführt, z.B. über Helene Stöcker. Delap schreibt über Stöcker, dass diese "die rechtliche Gleichstellung als auch staatliche Unterstützung ehelicher und außerehelicher Kinder" durchgesetzt habe. Sie habe sich in der Weimarer Republik "für sexuelle Minderheiten in Deutschland" eingesetzt und sich "im Reichstag für die Entkriminalisierung lesbischer Frauen stark" gemacht (278).

Leider ist jede dieser Aussagen falsch. Eine rechtliche Gleichstellung unehelicher Kinder war ein mühsamer Weg, erst 1970 wurden diese in der Bundesrepublik grundsätzlich erbberechtigt. Die staatliche Unterstützung, die Delap anspricht, bezieht sich vermutlich auf die Zuschüsse, die Frauen im Ersten Weltkrieg für sich und ihre Kinder erhielten, wenn der Familienernährer im Feld war. In der Tat konnte Stöcker damals durchsetzen, dass dabei nicht zwischen ehelichen und unehelichen Kindern unterschieden wurde. Diese Regelung galt aber nur im Krieg, das Kindergeld - verstanden als staatliche Unterstützung - wurde erst sukzessive ab den 1950er-Jahren eingeführt. Was Stöckers Engagement für sexuelle Minderheiten in der Weimarer Republik angeht, so ist mir darüber nichts bekannt, zumindest focht sie nicht im Reichstag für diese. Sicher ist, dass sie sich für eine Entkriminalisierung von Homosexualität aussprach und entsprechende Petitionen unterzeichnete, aber in der Weimarer Republik verschob sich Stöckers Arbeitsfeld immer weiter von der Sexualpolitik zum Pazifismus.

Ich habe dieses Beispiel herangezogen, nicht um der Autorin ihre Fehler aufzuzählen, sondern um auf ein Problem aufmerksam zu machen, das im Kern eines globalgeschichtlichen Zugangs liegt: die Sprachbarriere. In Bezug auf Stöcker zeigt sich nämlich, dass Delap als einzige Quelle einen englischsprachigen Aufsatz anführt, der in den frühen 1990er-Jahren von einer US-amerikanischen Historikerin verfasst wurde, die aber Stöcker gar nicht erwähnte. [1] Überhaupt findet sich im Buch lediglich englischsprachige Literatur, was dazu führt, dass für alle im Buch behandelten Länder nur Forschungen herangezogen werden konnten, die nicht in der Muttersprache verfasst wurden. Was aber bleibt dann von reichen nationalen Forschungstraditionen übrig?

Delaps Buch ist ein erster Versuch, den weltweiten Frauenaufbruch, der spätestens seit 1800 einsetzte, als Ganzes zu erfassen. Diese Herangehensweise ist überaus verdienstvoll und sinnvoll. Das Ergebnis ist indes fraglich und sein Nutzen für die Wissenschaft beschränkt, auch wenn der Autorin durch den thematischen Zugang ein interessanter Blick auf die globalen Verschränkungen feministischer Aufbrüche gelungen ist. Einige Behauptungen sind mehr als bedenklich, so die einseitige Beschreibung des Kopftuches als feministisches Kleidungsstück. Die sperrige Übersetzung ins Deutsche behindert leider den Lesefluss, so dass ich das Buch lediglich denen empfehlen kann, die Spaß daran haben, ein buntes Kaleidoskop feministischer Aufbruchsgeschichten zu lesen.


Anmerkung:

[1] Vgl. Ann Taylor Allen: Maternalism in German Feminist Movements, in: Journal of Women's History 5 (1993) H. 2, 99-103.

Kerstin Wolff