Rezension über:

Gaëlle Fisher: Resettlers and Survivors. Bukovina and the Politics of Belonging in West Germany and Israel, 1945-1989 (= Worlds of Memory; Vol. 3), New York / Oxford: Berghahn Books 2020, X + 291 S., ISBN 978-1-78920-667-8, USD 149,00
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Rezension von:
Mariana Hausleitner
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Paul Blickle
Empfohlene Zitierweise:
Mariana Hausleitner: Rezension von: Gaëlle Fisher: Resettlers and Survivors. Bukovina and the Politics of Belonging in West Germany and Israel, 1945-1989, New York / Oxford: Berghahn Books 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 12 [15.12.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/12/37261.html


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Gaëlle Fisher: Resettlers and Survivors

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Das 300 Seiten umfassende Buch ist die überarbeitete Dissertation der in London ausgebildeten Historikerin. Die Autorin forschte vor allem in Abteilungen des Bundesarchivs in Koblenz, Berlin und Bayreuth sowie in Bukarester Archiven. In der kurzen Einleitung nennt Fisher als ihr Ziel, dass sie die soziale, politische und kulturelle Integration von aus der Bukowina stammenden Deutschen und Juden in ihren neuen Heimaten untersuche. Wie haben sie ihre Zugehörigkeit nach den Erfahrungen des Kriegs und Holocaust dargestellt? Mit welchen Teilen ihrer Geschichte haben sie sich auseinandergesetzt? Es handle sich um eine "histoire croisée", weil beide Gruppen sich in ihren Geschichtsdarstellungen auf dasselbe Gebiet bezogen haben. Einige suchten nach 1945 eine neue Verortung in zwei Bukowiner Landsmannschaften. Im Mittelpunkt stehe die Frage: Was ist das Besondere der nach 1945 entstandenen Diaspora-Gruppen der Bukowiner in der BRD und Israel?

Das Buch ist in drei Teile gegliedert, wobei der erste Teil "Backgrounds" 30 Seiten umfasst, in denen bestehende Forschungsergebnisse über die Lage der Deutschen und Juden in der Bukowina vor 1945 zusammengefasst werden. Die Volkszählungen in der Habsburger Zeit wiesen beide Gruppen als Deutschsprachige aus, aber 1910 hatten 103.000 Personen die mosaische Religion angeben und 70.000 Deutschsprachige andere Religionen. Deutsch war die Amtssprache in der Bukowina und die meisten Juden besuchten deutsche Schulen. Sie lebten vor allem in den Städten, dagegen viele Deutsche auch in ländlichen Siedlungen. Nach dem Anschluss der Bukowina an Großrumänien 1918 gerieten die 55,5% Nichtrumänen unter Druck. Vertreter der Deutschen und Juden setzten sich in den 1920er Jahren für deutsche Schulen ein. In den 1930er Jahren nahm der Antisemitismus bei Deutschen und Rumänen stark zu. Im Juni 1940 okkupierte die Sowjetunion die Nordbukowina und die Deutschen wurden zumeist in vom Deutschen Reich besetzte Gebiete Polens umgesiedelt. Von dort mussten sie Anfang 1945 fliehen und ließen sich zumeist in Süddeutschland nieder. Die Nordbukowina mit Czernowitz wurde im Juli 1941 von der rumänischen Armee zurückerobert und etwa 60.000 Juden in das rumänische Besatzungsgebiet Transnistrien deportiert. Dort starb etwa die Hälfte an Hunger und Mangelkrankheiten. Von den Überlebenden und den etwa 15.000 in Czernowitz 1941 zurückgebliebenen Juden emigrierten viele nach 1945 in Richtung Palästina / Israel.

Im zweiten Teil "Establishments" von 94 Seiten stellt Fisher in zwei etwa gleich langen Kapiteln die Geschichte der deutschen Umsiedler und die der jüdischen Auswanderer nach 1945 dar. Um 1952 schätzte das Innenministerium der BRD den Zuzug von Bukowinern auf 59.000 Deutsche, in der DDR lebten etwa 10.000, in Österreich 9.000 und in Rumänien nur noch 3.000. In den westlichen Besatzungszonen hausten die zum zweiten Mal Entwurzelten lange in behelfsmäßigen Unterkünften. Die 1949 gegründete Landsmannschaft der Buchenlanddeutschen setzte sich zusammen mit anderen Organisationen der Vertriebenen für staatliche Integrationshilfen ein. 1952 wurde mit dem "Lastenausgleichgesetz" die Grundlage geschaffen, dass sich die Bukowiner mit ihren Einlagen an genossenschaftlichen Wohnungsprojekten beteiligen konnten. Die Landsmannschaft beanspruchte alle ehemaligen Bukowiner zu vertreten, doch beteiligten sich nur etwa 1.200 Personen gelegentlich an ihren Treffen. Als Sprecher trat vor allem der Abgeordnete Rudolf Wagner hervor, der als Stabsleiter bei der Umsiedlung mitgewirkt hatte. Er war unter den Initiatoren des seit 1953 publizierten Mitteilungsblattes "Der Südostdeutsche", in dem außer praktischen Hinweisen gleichzeitig die Geschichte der Bukowiner als kontinuierliche Leidensweg interpretiert wurde. Darin und in einigen Publikationen von Angehörigen der Landsmannschaft wurden die Bukowiner als deutsche "Abendländer" dargestellt, die wegen der sowjetischen Okkupation ihre Heimat verlassen mussten.

In den 46 Seiten über die Lage der Bukowiner in Israel skizziert Fisher, dass aus Rumänien Zehntausende Juden zwischen 1947 und 1949 auswandern konnten. Der seit 1944 in Palästina lebende ehemalige Bukowiner Abgeordnete Manfred Reifer gründete noch im selben Jahr den Einwandererverein "Chug Olej Bukovina". Er gab das deutsche Informationsblatt "Die Stimme der Oleh" heraus. Darin wurde den Einwanderern empfohlen möglichst schnell Hebräisch zu lernen, um sich zu integrieren. Deutschsprechende wurden damals in Palästina / Israel aufgrund der Massenmorde der Nazis mit Distanz behandelt. Die Alten und Traumatisierten hatten es besonders schwer, während die Jungen die hebräische Staatssprache erlernten. Reifer betonte die Rolle der deutschen Zionisten, die von 1919 bis 1937 die "Ostjüdische Zeitung" herausgegeben hatten. Im Kreis um ihn entstand das Projekt, die Geschichte der Juden aus der Bukowina durch Zeitzeugen festzuhalten. Die von Hugo Gold in Tel Aviv 1958 und 1961 herausgegebenen Bände enthielten viele Beiträge über die Tätigkeit von zionistischen Vereinen und wenige zum Leiden der Deportierten in Transnistrien, wobei die deutsche Verantwortung dafür unterstrichen wurde.

Im 3. Teil mit dem Titel "Entanglements" geht es auf 50 Seiten um die Kämpfe der Bukowiner Juden für eine Kompensation ihrer verlorenen Habe. Auf Initiative der Abgeordneten der deutschen Vertriebenenverbände wurde 1952 im Bundestag mit knapper Mehrheit das "Lastenausgleichgesetz" verabschiedet. Obwohl es eigentlich die Integration der etwa 12 Millionen Flüchtlinge in der BRD ermöglichen sollte, beantragten nun auf Anregung der Landsmannschaft aus Israel sehr viele Bukowiner eine Entschädigung. Dafür mussten sie die Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis betonen. Über die Annahme der Anträge entschieden Gerichte. Diese ließen die Angaben der Antragsteller von den Heimatauskunftstellen überprüfen. Die Prüfer waren zumeist Angehörige der Landsmannschaft der Buchenlanddeutschen, unter denen auch ehemalige Nazis waren. Der Leiter der Heimatauskunftstelle Rumänien Erhard Plesch betonte 1957, dass die Übersiedlung Zehntausender Juden nach Israel keine Vertreibung war und dass Deutsche aus Rumänien nur selten ausreisen dürften. Den Gerichten lag seit 1957 ein Gutachten über die rumänische Judenpolitik von Martin Broszat vom Münchner Institut für Zeitgeschichte vor. In der 1965 publizierten Version schrieb er, dass etwa 60% der älteren Juden Deutschsprachige waren und die Angehörigen des sozialdemokratischen Jüdischen Arbeiterbundes in Jiddisch kommunizierten. Viele Anträge von Juden auf Zahlungen nach dem "Lastenausgleichgesetz" wurden abgewiesen, sie erhielten aber Kompensationen nach dem "Bundesentschädigungsgesetz". Inwieweit sich die soziale Lage dieser Personen durch Zusatzrenten verbesserte, untersucht Fisher nicht. Aufgrund des 6-Tage-Krieges in Israel vom Juni 1967 und der unsicheren Lage danach ließen sich viele jüdische Auswanderer aus Rumänien in der BRD nieder. Auch sie beantragten finanzielle Kompensationen. Fisher erläutert, wie die Auslegung des "Lastenausgleichgesetzes" verändert wurde: seit 1970 war kein Nachweis der deutschen Volkszugehörigkeit mehr nötig. Aus Rumänien zugewanderte Juden wurden ab 1980 als Aussiedler anerkannt, wodurch sie Unterstützung erhielten.

Das letzte Kapitel von über 40 Seiten trägt den Titel: "Versunkene Kulturlandschaft": Neues Bild der Bukowina durch die Blickwinkel der Literatur. Es geht um jüdische Autoren wie Paul Celan und Rose Ausländer, durch deren deutschsprachige Werke die Bukowina seit den 1980er Jahren in der BRD bekannt wurde. Anhand der Forschungen von Germanisten skizziert Fisher, wie umfangreich diese "5. deutsche Literatur" war. Zusammenfassend unterstreicht sie ihr wichtigstes Anliegen: Die Bezugnahmen auf die Bukowina und die Erinnerungen hätten sich ständig verändert, weil sie in die Zeitumstände eingebettet waren.

Der Vergleich der behandelten Themen in den Publikationen der beiden Landsmannschaften ist das wichtigste Verdienst der Autorin, denn bisher hatte das niemand getan. Die soziale Schichtung der Diaspora-Gruppen wird nur ansatzweise untersucht. Das Besondere wird nicht klar benannt. Der Verein der Bukowiner in Israel wurde von jenen Zionisten getragen, die seit 1930 die Separierung von den Deutschen vorangetrieben hatten. Sie empfahlen bei der Volkszählung Jiddisch als Muttersprache einzutragen. Nach 1955 rieten sie den Antragsteller beim "Lastenausgleichgesetz" sich als Zugehörige zum "deutschen Kulturkreis" zu erklären. Die Ablehnung vieler Anträge lastet Fisher dem Gutachten von Fritz Schellhorn an, in dem der pensionierte deutsche Konsul von Czernowitz 1957 auf das Ergebnis jener Volkszählung verwiesen hatte. Da es sich um sehr viele Anträge handelte, dürfte für die Gerichte aber das gleichzeitig erstellte Gutachten von Martin Broszat entscheidend gewesen sein, weil sein Institut dafür zuständig war. Die Gerichte lehnten oft Kompensationen mit dem Hinweis ab, dass der rumänische Staatsführer 1941 die Deportationen befahl und Transnistrien kein vom Deutschen Reich besetztes Gebiet war. Fisher untersucht nicht, inwieweit die Forderungen nach Entschädigung an die BRD die Aufarbeitung des rumänischen Holocaust in Israel behinderten. Die von ihr kurz erwähnte dreibändige Dokumentensammlung "Schwarzbuch. Die Leiden der Juden aus Rumänien" publizierte Matatias Carp 1946-1948 in Bukarest und sie verschwand dort Anfang der 1950er Jahre aufgrund der antisemitischen Politik von Stalin. Sie wurde in Israel nicht aufgelegt, weil ihr zu entnehmen war, dass die Deportationen nach Transnistrien eine rumänische Initiative waren. In Rumänien wurde über Transnistrien vor 1990 nicht geforscht und Dokumente im ukrainischen Archiv von Czernowitz waren ausländischen Forschern erst nach 1991 zugänglich.

Mariana Hausleitner