Jan Lanicek / Jan Lambertz (eds.): More than Parcels. Wartime Aid for Jews in Nazi-Era Camps and Ghettos, Detroit, MI: Wayne State University Press 2022, IX +367 S., ISBN 978-0-8143-4922-9, USD 39,99
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Katarzyna Person: Warsaw Ghetto police: the Jewish Order Service during the Nazi occupation. Translated by Zygmunt Nowak-Soliński, Ithaca / London: Cornell University Press 2021
Christoph Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1941-1944, Göttingen: Wallstein 2011
Ivan Lefkovits (Hg.): »Mit meiner Vergangenheit lebe ich«. Memoiren von Holocaust-Überlebenden, Berlin: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 2016
Artur Czuczka wurde im Februar 1941 aus Wien nach Opole im besetzten Polen deportiert. Die Möglichkeit, seinem Bruder und dessen Familie in die USA zu folgen, hatte er lange nicht genutzt, da er seine Mutter nicht allein in Wien lassen wollte. Als seine Mutter Anfang 1941 starb, gelang es nicht mehr, Artur die Ausreise zu ermöglichen. Völlig allein fand er sich in Opole wieder, der größte emotionale Halt war für ihn in dieser Situation der briefliche Kontakt mit seinen Verwandten. Am 2. März 1941 schrieb er ihnen einige Zeilen, die so sicherlich für zahlreiche der aus der Heimat Deportierten stehen können. Die Post von ihnen sei "eine unbedingte Lebensnotwendigkeit für mich", da er außer ihnen niemanden mehr habe und "mich hier furchtbar verlassen & einsam fühle. [...], mein einziger & letzter Halt seid Ihr, meine Lieben und Ihr seid so unendlich weit von mir und die Aussichten zu Euch kommen zu können, sind jetzt durch meine Verbannung geringer und aussichtsloser denn je." Nicht nur in emotionaler Hinsicht waren Sendungen aus der Ferne von entscheidender Bedeutung: Die Unterstützung aus der Heimat war buchstäblich die einzige Überlebensmöglichkeit für viele. So schrieb Artur Czuczka am 20. Mai 1941: "Es kommen täglich eine Unmenge Pakete an aber für mich leider seit 29.3. keines und das gerade jetzt, wo sich unsere Lage hier so sehr verschlechtert hat (durch das geschaffene Getto), dass wir ohne Pakete tatsächlich hungern. [...] Ich schäme mich nicht, direkte Bettelbriefe zu schreiben, habe aber leider nur wenige Leute, an die ich mich wenden kann". [1]
In diesen zwei Briefen eines deportierten Juden, der sich unter katastrophalen Bedingungen in einem Ghetto im besetzten Polen wiederfand (und der den Holocaust nicht überlebt hat), ist die psychische und physische Bedeutung von Korrespondenz und materieller Unterstützung für Jüdinnen und Juden in Lagern und Ghettos bereits eindrucksvoll umrissen. Diesem wichtigen Thema widmet sich der Sammelband von Jan Láníček und Jan Lambertz. Während es bei Artur Czuczka besonders um private Postsendungen ging, beleuchten die Autorinnen und Autoren ein breites Spektrum vor allem auch von organisierten Hilfsaktionen in und aus verschiedenen Ländern. Sie zeigen eindrucksvoll, wie ungeheuer kompliziert und mit wie vielen Schwierigkeiten es verbunden war, den eingesperrten Verfolgten humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, und wie es dann, als es endlich geklappt hat, in vielen Fällen schon zu spät war.
In den meisten hier dargestellten Fällen geht es um materielle Hilfe, um Pakete mit Lebensmitteln, Medikamenten oder Kleidung, die den Jüdinnen und Juden in Ghettos und Lagern einerseits moralischen Halt, das Gefühl, nicht vergessen zu sein, geben konnten, ihnen andererseits aber vor allem ganz konkret dabei halfen, ihre Gesundheit zu verbessern und ihr Leben zu verlängern, zumindest für einen Moment. Je nach Zeitpunkt konnte diese Hilfe lebensrettend sein.
Jan Lambertz stellt in ihrer kenntnisreichen Einleitung fest, dass diese Hilfsaktionen in der historischen Forschung oft ein wenig untergegangen sind zugunsten von Erzählungen über einzelne Rettungsaktionen, in denen Jüdinnen und Juden versteckt wurden oder jemand ihnen Fluchthilfe leistete. Sie betont sehr zu Recht: "Yet the parallel story of relief shipments is not less important. References to and requests for food parcels permeate wartime correspondence sent from inside Nazi detention sites" (1).
Jeder einzelne Hilfsversuch war mit Schwierigkeiten verbunden, außerdem änderten sich die Bedingungen durch die Kriegslage ständig, und Versuche zu helfen, mussten entsprechend angepasst und verändert werden. Auch war es für Hilfsorganisationen und für Einzelpersonen, die helfen wollten, äußerst schwierig, verlässliche Informationen aus den Ghettos und Lagern und über die dort Eingeschlossenen zu bekommen. Die alliierte Wirtschaftsblockade, die verhindern sollte, dass Güter in die Hände der Nationalsozialisten fielen und ihnen und ihrem Krieg halfen, tat ihr übriges, ebenso schwierige und sich verändernde Transportwege, Zensur und teilweise vollständige Postverbote. Die Beiträge des Bandes zeigen zudem, wie nationale und lokale Kontexte die Arbeit der verschiedenen Hilfsorganisationen beeinflussten.
Gerald J. Steinacher weist in seinem Beitrag über die Aktivitäten des Roten Kreuzes darauf hin, dass die Genfer Konventionen nur auf Soldaten und Kriegsgefangene Anwendung fanden und jüdische Zivilisten davon ausgenommen waren. Es war viel einfacher, Kriegsgefangenen Hilfe zukommen zu lassen, als jüdischen zivilen Häftlingen. Auch gab es innerhalb der Hilfsorganisationen Unstimmigkeiten und Spannungen. So diskutierten die Aktivisten, wie die Hilfen organisiert und in welche Ghettos oder Lager sie geschickt werden sollten.
Bei der Lektüre einiger der Beiträge möchte man fast verzweifeln angesichts der unfassbaren Mühen, die dahinterstanden, dass ein Häftling am Ende nach monatelanger Vorbereitung ein einziges Paket bekam - oder eben auch nicht mehr, weil es zu spät war. So schildert Rebecca Erbelding die Bemühungen des amerikanischen War Refugee Boards, das erst nach fast einem Jahr der komplizierten Verhandlungen und Vorbereitungen 300.000 Pakete in Konzentrationslager schicken konnte, die im Frühjahr 1945 ihre Empfänger erreichten. Und doch: Die Bedeutung dieses einen Paketes konnte, wie geschildert, in vielerlei Hinsicht unendlich groß sein. So betont Eliyana R. Adler in ihrem Beitrag über die Hilfe aus dem Ausland für polnische Jüdinnen und Juden im Gebiet der Sowjetunion, "that the psychological significance, especially of packages sent by friends and family, was ultimately greater than any demonstrable physical effects" (24f.).
Die Autorinnen und Autoren schildern diese Unterstützungsbemühungen sehr facettenreich und für verschiedene Länder und Regionen. Anne Lepper zeichnet die Bemühungen der in Genf beheimateten Hilfsorganisation RELICO nach, Pontus Rudberg die eindrucksvollen in Schweden organisierten Unterstützungen und Mit-Herausgeber Jan Láníček geht auf verschiedene internationale Bemühungen und die zahlreichen Hindernisse und Probleme, mit denen Exilregierungen und Hilfsorganisationen dabei konfrontiert waren, ein.
Diesen Beiträgen, die Hilfsleistungen seitens der Alliierten und aus neutralen Staaten zum Thema haben, folgen der Aufsatz von Laurie A. Drake zur Unterstützung für Häftlinge in Vichys Internierungslagern im unbesetzten Süden Frankreichs und der von Stefan Cristian Ionescu über Hilfe für nach Transnistrien Deportierte. Im letzten Teil des Sammelbandes widmen sich Katarzyna Person dem Warschauer Ghetto und Alicja Jarkowska den Aktivitäten der im Generalgouvernement tätigen Jüdischen Sozialen Selbsthilfe im besetzten Krakau. Silvia Goldbaum Tarabini Fracapane stellt die große Bedeutung von Paketen aus Dänemark für die dänischen Häftlinge im Ghetto Theresienstadt dar. Dieser thematische Block widmet sich also Aktivitäten, die unter NS-Besatzung organisiert wurden.
Trotz aller Schwierigkeiten und obwohl diese Hilfe nie ausreichend sein konnte, haben teilweise doch erstaunlich viele Sendungen die Verfolgten erreicht, und es erscheint verwunderlich, wie sehr phasenweise doch Kontakte möglich waren, selbst mit Orten, die oft eher als abgeschlossen von der Außenwelt angenommen werden. Dies ist oft nicht mehr genau nachzuverfolgen, doch aus Katarzyna Persons Beitrag lernen wir beispielweise, dass allein in der ersten Maihälfte 1941 113.697 Briefe in das Warschauer Ghetto geliefert und dort zugestellt wurden und die Bewohner des Ghettos im Laufe dieses Jahres 877.491 Lebensmittelpakete erhielten. Besonders betont Person die emotionale Bedeutung von Briefen zwischen durch Krieg und Verfolgung getrennten Familien, die sich niemals wiedersehen sollten, wie dies ja auch bei Artur Czuczka der Fall war: "They represent the last chapter in these family histories, for the correspondents were doomed never to be reunited physically" (269).
"More than Parcels" ist ein eindrucksvoller und lesenswerter Sammelband über einen Themenbereich, der in der historischen Forschung lange keine große Rolle gespielt hat und im Schatten anderer Rettungsaktionen für Jüdinnen und Juden stand: individuelle und institutionelle Unterstützungen in Form von Briefen und Paketen für die in Ghettos oder Lager eingeschlossenen Verfolgten, die mitunter nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten, vor denen diejenigen standen, die helfen wollten, aber auch die ungeheure physische und vor allem psychische Bedeutung für die Eingeschlossenen, wenn diese Sendungen, die zugleich ein Zeichen der Solidarität und Verbundenheit waren, sie in nahezu aussichtsloser Lage erreichten.
Anmerkung:
[1] USHMM, 2015.174.1, Czuczka family correspondence, fol. 2, Briefe Artur Czuczka vom 2. März 1941 und 20. Mai 1941.
Andrea Löw