Geschenktipps (nicht nur) zu Weihnachten

Gül Şen (Universität Bonn)


Elife Biçer-Deveci / Philippe Bourmaud (Hrsg.): Alcohol in the Maghreb and the Middle East since Nineteenth Century: Disputes, Policies and Practices (Palgrave Macmillan St. Antony's Series), Cham 2021.

Der Alkoholgenuss ist - entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung - auch in nahöstlichen Gesellschaften schon immer ein fester Bestandteil von Geschichte, Kultur und Alltag gewesen. Ungeachtet dieses Umstands hat es in der bisherigen Forschung bisher kaum Ansätze gegeben, dieses Thema jenseits seiner religiös-theologischen Dimension zu betrachten. Biçer-Deveci und Bourmaud haben sich nun dieser Aufgabe dankenswerterweise angenommen und einen Sammelband vorgelegt, in dem dieses Thema in seinen mannigfaltigen Facetten anschaulich und einsichtsvoll erörtert wird. Ganz besonders wird in den verschiedenen Beiträgen deutlich, dass der Alkoholkonsum nicht allein ein Problem islamischer Theologen und Sittenwächter, sondern auch ein wichtiges Motiv weltlicher Machtkämpfe gewesen ist. Schon im ersten Aufsatz wird deutlich, dass die Abstinenzbewegung in der neugegründeten Republik Türkei der 1920er Jahre hauptsächlich von der globalen Anti-Alkohol-Bewegung inspiriert war, die zur gleichen Zeit die Prohibition in den USA durchgesetzt hatte. Es ist die große Leistung dieses Bandes, auch in den folgenden Beiträgen das Thema im Kontext der Erfahrung islamisch geprägter Gesellschaften im Angesicht der kolonialen Kolonisation und der Frage der Reaktion der Betroffenen zu behandeln. Die untersuchten Fallbeispiele decken dabei geographisch den gesamten Raum von Marokko bis zur Levante und zeitlich die gesamte Periode vom frühen 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart ab. Abgerundet wir der Band durch einen Beitrag des Iranisten Rudi Matthee, der abschließend eine informative Übersicht zum Thema bietet und mit Nachdruck dafür plädiert, die Geschichte des Alkoholkonsums im Islam einmal jenseits von Poesie und Mystik aufzuarbeiten. Dieser Sammelband ist nicht nur für Islamwissenschaftler von Interesse, sondern auch für all diejenigen, die Einblicke in die jüngere Geschichte Nordafrikas und des Nahen Ostens jenseits etablierter Mythen und Klischees gewinnen möchten.


Suraiya Faroqhi: Women in the Ottoman Empire. A Social and Political History. I.B. Tauris (Januar 2023)

Suraiya Faroqhi gilt zu Recht als die Altmeisterin der osmanischen Sozialgeschichte mit besonderem Interesse für Bevölkerungsgruppen jenseits der Elite (wie Handwerker und Sklaven); ihre Veröffentlichungen gehören inzwischen zu den in Forschung und Lehre allgemein rezipierten Standardwerken. Mit ihrer neuesten Arbeit hat sie nun eine umfassende Untersuchung zur Sozialgeschichte der Frauen in der osmanischen Welt vorgelegt, in der sie den Zeitraum von 1500 bis zum Ende des osmanischen Staates behandelt. Sie greift dabei den mittlerweile in der sozialgeschichtlichen Forschung oft rezipierten Ansatz der agency auf, der sich vor allem bei der Betrachtung unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen und ihre Handlungsmöglichkeiten als überaus aufschlussreich erwiesen hat. Die von ihr gewählten Fallbeispiele betreffen nicht allein Frauen aus der herrschenden Elite, die in der bisherigen Forschung bereits einige Beachtung gefunden haben, sondern vornehmlich die Situation unterprivilegierter Frauen (ordinary women). Dabei erfahren wir viel über die Lebenswelten sowohl von Angehörigen der höfischen Elite, aber besonders von Sklavinnen, Dichterinnen und Mystikerinnen, Feministinnen, Lehrerinnen, Journalistinnen und Schauspielerinnen, von ihren alltäglichen Sorgen, aber auch von ihren Erfahrungen während der Hungernöte und Vertreibungen im und nach dem Ersten Weltkrieges. Ihre Darstellung beschränkt sich dabei nicht allein auf muslimische Frauen, sondern auch Angehörige anderer religiöser Gemeinschaften, wie Jüdinnen, Armenierinnen und christlich-orthodoxe Frauen. Auch geographisch wird ein großer Bogen geschlagen, wobei besonders die in der Forschung bislang kaum sichtbaren Frauen in den arabischsprachigen Provinzen des Reiches Beachtung finden. Anhand von Fällen, in denen Frauen (unabhängig von ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit) beim örtlichen Kadi ihr Recht suchten, betont Faroqi nicht allein die Möglichkeiten der agency unterprivilegierter Frauen, sondern auch die Bedeutung der Gerichtsakten für unser Verständnis der osmanischen Sozialgeschichte.


Podcast: Tell me a History/Erzähl mir eine Geschichte (https://tellmeahistory.net/)

Jenseits der traditionellen Medien haben sich im Zuge der digitalen Revolution neue Möglichkeiten der Informationsverbreitung etabliert. Formate wie Podcasts eröffnen dabei neue Wege, Forschungserkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Der Podcast Tell me a History/Erzähl mir eine Geschichte (https://tellmeahistory.net/), verdeutlicht die Möglichkeiten solcher Formate, akademische Forschung und die breite Öffentlichkeit einander näher zu bringen. Die Berliner Islamwissenschaftlerin Nadja Danilenko behandelt hier im Gespräch mit ausgewiesenen Expert*innen jeden Monat einen Themenbereich der islamischen Kultur- und Politikgeschichte, wobei sich der Bogen zeitlich von den Anfängen des Islam bis in die Gegenwart erstreckt. Die einzelnen Themen werden dabei zwar im lockeren Gespräch, aber fundiert und anschaulich behandelt. ein Podcast für ein allgemeines Publikum in monatlichen Folgen anzubieten. Zunächst werden dabei die Grundzüge islamischer Geschichte vorgestellt, um daran anschließend einzelne Aspekte anhand ausgewählter Ereignisse oder Persönlichkeiten vertieft zu behandeln. Dass durchweg Gesprächspartner*innen aus dem deutschsprachigen Raum zu Wort kommen, ermöglicht zudem Einblicke in den aktuellen Forschungs- und Diskussionsstand der Orientwissenschaften in Deutschland und seinen Nachbarländern. Es bleibt also nur noch, bei der nächsten Auto- oder Bahnfahrt den entsprechenden Link anzuklicken und etwa mit der Frage der Ambiguität im Islam neue, spannende Einblicke in Kulturgeschichte der islamischen Welt zu gewinnen.