Martin Krieger: Geschichte des Tees. Anbau, Handel und globale Genusskulturen, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2021, 302 S., 38 Abb., ISBN 978-3-412-52204-9, EUR 35,00
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Kulturgeschichtliche Überblicksdarstellungen erleben in den letzten Jahren eine markante Konjunktur, wobei das Qualitätsspektrum breit ist. Die hier zu besprechende Studie aus der Feder des Kieler Nordeuropahistorikers Martin Krieger liegt dabei klar im obersten Bereich, was nicht zuletzt der breiten Expertise des Autors für die asiatische Geschichte geschuldet ist.
Kriegers Teegeschichte ist wohltuend klassisch aufgebaut, dabei in erster Linie Lese- und in zweiter Linie Handbuch: "Eine Weltgeschichte in einer Tasse" (9) insofern, als Tee nicht nur ein Rohstoff, sondern auch ein Kulturgut ist, aufgeladen durch "Traditionen, Narrative und Mythen, die teils asiatischen, teils europäischen Ursprungs sind und deren Entschlüsselung ein bemerkenswertes Zeugnis weltweiter Transkulturalitäten liefert." In diesem Sinn soll Tee dann im Folgenden "als globales Getränk" (10) vorgestellt werden. Dabei stehen Fragen nach Kontinuitäten, Traditionen und Brüchen sowie nach Anbau- und Konsumentwicklungen im Fokus. Der Aufbau ist chronologisch, und er schlägt vor allem einen Bogen von Asien nach Europa, wobei die Perspektive eher europäisch als global ist.
Im ersten der insgesamt zwölf Kapitel geht es zunächst um die Botanik der Teepflanze Camellia sinensis und ihre frühe Kultivierung, die spätestens im ersten vorchristlichen Jahrtausend in China erfolgte, wo es bald zu einer Ausdifferenzierung von Anbau und kulturell determiniertem Konsum kam. Die physiologischen wie auch sensorischen Vorzüge waren früh bekannt und so groß, dass Tee sich weiter in den asiatischen Osten wie auch in den indischen und den persischen Raum ausbreitete. Vor allem die Erörterung der frühen Entdeckungsgeschichte aus europäischer Perspektive ist innovativ, zeigt sie doch auf, wie das Handelsgut Tee sowohl im Zentrum wissenschaftlichen als auch kommerziellen Interesses stand.
Im Weiteren geht es dann vor allem um Tee als globales Handels- und Kulturgut seit etwa 1600 und die spezifische Relevanz für Europa, wobei die kulturhistorischen immer wieder mit wissenschaftsgeschichtlichen Betrachtungen verschränkt werden.
Eine besondere Scharnierfunktion weist Krieger der Zeit um 1840 zu, als China, das den internationalen Markt zwei Jahrhunderte lang dominiert hatte, unterworfen wurde und an Bedeutung einbüßte. Nun globalisierte sich der Anbau, und das Gebiet zwischen Indien, wo Assam bald eine Spitzenposition einnahm, Ceylon, Indonesien und Ostafrika rückte mit den neuen Monokulturen, die man "Plantagen" nannte, in den Vordergrund. Als besonders markant sieht Krieger die Entdeckung und rasche Nutzbarmachung indischer Teepflanzen, die permanent weiterentwickelt wurden und bis heute den vorherrschenden Geschmack prägen.
Zwar werden die Bedingungen, denen die Arbeiter:innen auf den Teeplantagen ausgesetzt waren, immer wieder angeschnitten, zwar erfolgen Hinweise auf Ausbeutung und Sklaverei, aber eine Einbettung in die neuere Global- und Kolonialgeschichte bleibt rudimentär und wirkt streckenweise sehr traditionell: Etwa wenn frühen europäischen Konsument:innen breiter Raum gewidmet wird, denen "bestimmte Bergvölker im Nordosten Indiens oder in Burma" gegenüberstehen, die "Teeblätter heute zur Anregung kauen" (39f.). Aus Perspektive der Postcolonial Studies ist dieser Sichtweise entgegenzuhalten, dass hierdurch Träger:innen außereuropäischer Kulturen anonymisiert und folklorisiert werden. Indes erscheint die detaillierte Schilderung der Ausweitung des Anbaus in Asien und speziell in Indien innovativ und außergewöhnlich fundiert - das gilt auch für die Erfolgsgeschichte, die Tee seit dem 17. und beschleunigt seit dem 18. Jahrhundert in Europa nahm, vor allem in England und in den Niederlanden, bald auch im norddeutschen Raum. Krieger datiert dieses frühe Ausbreitungsstadium auf den Zeitraum zwischen 1630 und 1720.
Das Erstarken der Ostindienkompanien, aber gerade auch die Tatsache, dass immer mehr gelehrte Texte über Tee erschienen, die seit den 1660er-Jahren eine breite Leserschaft fanden, begünstigten die Ausbreitung des Tees in Europa. War Tee vor allem auf dem Kontinent lange ein Getränk, das jenen adeligen und bürgerlichen Schichten vorbehalten war, die überhaupt über Mittel verfügten, Kolonialwaren kaufen zu können, kam es vor allem seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu einer breiten Popularisierung: Die Dampfschifffahrt hatte die Preise gedrückt und den weltweiten Teehandel zwischen 1870 und dem Ende der 1930er-Jahre vervierfacht, und das Zeitalter der Hochindustrialisierung bahnte den Weg zum Massenkonsum.
Ausgehend von den deutschen Küstenregionen eroberte Tee den Kanon der alkoholfreien Heißgetränke. Während es in Ostfriesland früh zu einer weiten Verbreitung kam, blieb der Tee, je weiter wir nach Südosten schauen, ein Nischenprodukt. Erstaunlicherweise betrifft das auch Österreich, dessen Adelskultur sich ja sonst bewusst europäisch-zeitgeistig gab. Inwieweit auch geschlechtsspezifische Unterschiede im Konsum eine Rolle spielten, wird leider nicht diskutiert; die Existenz spezieller Teegeschirre beim frühen Konsum in Europa deutet auch auf weiblichen Konsum hin, während die im öffentlichen Raum befindlichen Konsumorte in vielen Teilen der Welt heute oft Männern vorbehalten sind.
Am Ende dieser überaus gelungenen kulturhistorischen Gesamtschau stehen Teekulturen im geteilten Deutschland und ein abschließendes Resümee. In der Summe muss das Fazit sehr positiv ausfallen, zumal die profunden Kenntnisse des Autors durchgehend hervorscheinen. Allerdings hätte gerade auch die Diskussion der sozialen Diffusion breiter ausfallen dürfen, denn sowohl der asiatische als auch der frühe europäische Konsum waren doch überwiegend Oberschichten vorbehalten, und insbesondere die frühen Formen einer Demokratisierung des Konsums hätte sich der Rezensent intensiver diskutiert gewünscht. Dass der globale Anspruch vor allem gegen Ende etwas auf der Strecke geblieben ist, dürfte nicht zuletzt der Tatsache geschuldet sein, dass auch Kulturgeschichten nur begrenzter Raum zur Verfügung steht, denn die Geschichte des Tees im zaristischen Russland und später in der Sowjetunion, der Anbau im Kaukasus und der Siegeszug des Tees in der arabischen Welt wären ja eigene Projekte, die wir hoffentlich von Martin Krieger noch erwarten dürfen.
Gunther Hirschfelder