Randolf Helmstetter: Unerlaubte Kunst. Der öffentliche Raum als künstlerische Arena (= Image; Bd. 206), Bielefeld: transcript 2022, 272 S., 56 Abb., ISBN 978-3-8376-6072-2, EUR 42,00
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Der Reiz des Verbotenen, der kalkulierte Rechts- und Tabubruch waren schon immer ein Thema in den Künsten, wurden aber in der Geschichte der Kunst selten so positiv bewertet wie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Unter dem Titel "Unerlaubte Kunst" fasst die vorliegende Studie von Randolf Helmstetter, die als kulturwissenschaftliche Abschlussarbeit an der Kunstuniversität Linz entstanden ist, künstlerische Praktiken im öffentlichen Raum zusammen, die potenziell im Konflikt mit dem Gesetz stehen, erläutert ihre ästhetische Konzeption und die Parameter ihrer Rezeption. Es geht um Graffiti, Street Art, künstlerischen Aktivismus und kreative Interventionen, für die der Autor den zusammenfassenden Begriff der "Unauthorized Public Art" einführt. Er versucht, das Feld abzustecken und dabei vor allem die verschiedenen Aspekte zu benennen, die für eine Analyse des Themas relevant sind: die Definition des öffentlichen Raums, die Typologie der "unerlaubten Kunst", die Produktionsbedingungen, die Rolle der Medien und Technologien bei der Verbreitung und Rezeption dieser Kunst und die juristischen Gesichtspunkte. Er beleuchtet Grenzbereiche wie Prank, Urban Exploration und Guerilla Marketing (die sich natürlich auch problemlos unter die Kategorie der kreativen Interventionen subsumieren ließen) und wirft exemplarisch ein Licht auf illegale künstlerische Aktionen in Russland.
Der Autor argumentiert aus einer szenenahen Perspektive, er gibt an, selbst eine Sprühervergangenheit zu haben, und verweist auf einschlägige Kontakte im künstlerischen Feld. Anders als Rafael Schacter in seiner vielbeachteten Studie Ornament and Order. Graffiti, Street Art and the Parergon (Farnham 2014), für die dieser ein spanisches Street-Art-Kollektiv auf seinen Touren begleitete, hat sich Randolf Helmstetter für seine Untersuchung allerdings nicht direkt ins Feld begeben. Und anders auch als Mitja Velikonja in seiner theoretisch-methodisch nicht minder ambitionierten Arbeit Post-Socialist Political Graffiti in the Balkans and Central Europe (London 2020) geht es ihm nicht in erster Linie um die ausführliche Dokumentation und Analyse konkreter, historisch genau definierter künstlerischer bzw. kultureller Phänomene und Entwicklungen, sondern darum, das Phänomen der nichtautorisierten Kunst im öffentlichen Raum grundsätzlich in den Griff zu bekommen und einen Ansatz für ihre Analyse zu entwickeln. Das Verdienst der Arbeit besteht vor allem darin, auf die Komplexität und den Aspektereichtum von "unerlaubten" künstlerischen und kulturellen Formen hinzuweisen, die im Allgemeinen als nicht besonders vielschichtig gelten.
Was in dem Bemühen, dem Thema unter möglichst vielen Gesichtspunkten gerecht werden zu können, in den Hintergrund tritt, ist die Historisierung und Konkretisierung der künstlerischen Formen, um die es eigentlich gehen sollte. Die Historisierung des Phänomens hätte bedeutet, die gesellschaftlichen Verhältnisse, zu denen die "unerlaubte" Kunst explizit oder implizit, dezidiert oder weniger artikuliert Stellung bezieht, stärker in die Untersuchungsperspektive einzubeziehen. Konkretisierung hieße, etwa im Bereich des Graffiti einzelne, konkrete Werke in den Blick zu nehmen und zu analysieren, statt losgelöst von Beispielen über das Phänomen an sich zu sprechen. Gerade in der Graffiti-Forschung ist das ein Problem, das nicht nur in der Kunstgeschichte, sondern über Fachgrenzen hinweg besteht.
Das Verhältnis von Kunst und Recht könnte man dagegen auf einer grundsätzlicheren Ebene diskutieren. Graffiti, Street Art und kritische Performances im öffentlichen Raum sind ja nicht generell "unerlaubt" (zumindest nicht in demokratischen Rechtssystemen), sondern genießen - wenn sie als Kunst und/oder als freie Meinungsäußerung wahrgenommen werden - in der Regel sogar einen besonderen rechtlichen Schutz. Illegal werden künstlerische Äußerungen und Aktionen erst dann, wenn sie mit anderen Rechten in Konflikt geraten, sich z.B. über Eigentums- oder Persönlichkeitsrechte hinwegsetzen. Einzuräumen ist allerdings, dass, wenn es im Konfliktfall darum geht, die verschiedenen Rechte gegeneinander abzuwägen, der Schutz der Kunst gegenüber dem Schutz des Eigentums vor Gericht meistens den Kürzeren zieht.
Ein potenzieller, sich in Zukunft vermutlich noch zuspitzender Konflikt - zwischen staatlichen Behörden und dem Kulturbetrieb - scheint schließlich auch in den unterschiedlichen Auffassungen darüber zu bestehen, was eigentlich Kunst ist und wie sie zu sein hat. Zu den gängigsten Zuschreibungen, die der Kunst aktuell seitens des Feuilletons und der Katalogliteratur zuteilwerden, nicht selten in bewundernder, ehrfurchtsvoller Geste, gehört, dass sich Kunst "über Regeln hinwegsetzt", dass sie "Grenzen überschreitet" oder "an Tabus rührt". Der transgressive Charakter von Kunst und Kultur, ihr widerständiges, unangepasstes, rebellisches Image, das als Ausdruck von Freiheit begriffen wird, gehört inzwischen beinahe zum guten Ton. Dabei sind es oft nicht mehr als Floskeln und Stereotypen, die weder den Artefakten und Performances gerecht werden, noch zu ihrer Analyse taugen. Das Konstrukt einer widerständigen, regelverletzenden Kunst, wie es zurzeit en vogue ist, scheint eher ein Komplementärphänomen zu einer in vielen Bereichen überregulierten, von vermeintlichen Zwängen bestimmten Alltags- und Berufswelt zu sein. Je rebellischer die Kunst zu sein hat, mit der man sich umgibt und beschäftigt, desto größer sind vermutlich die erbrachten sozialen und politischen Anpassungsleistungen, die mit ihr kompensiert werden sollen - könnte man meinen. Den Wert der vorliegenden Studie schmälert das aber natürlich nicht.
Martin Papenbrock