Heinz Wolter (Bearb.): Die Synodalstatuten der Kölner Kirche im Spätmittelalter 1261-1513 (= Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde; Bd. LXXXIV), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2022, 918 S., ISBN 978-3-412-52211-7, EUR 100,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Wer sich mit Synodalstatuten der spätmittelalterlichen Reichskirche befasst, ist noch immer auf die 'Concilia Germaniae' angewiesen, die der Jesuit Hermann Joseph Hartzheim und seine Kölner Ordensbrüder zwischen 1759 und 1790 herausgaben. [1] Während die vom IV. Laterankonzil angestoßene Gesetzgebung der Erzbischöfe und Bischöfe, die päpstliche und konziliare Normen in partibus durchsetzen und den Niederklerus in seiner Amts- und Lebensführung anleiten sollte, in anderen Ländern schon weit aufgearbeitet ist, fehlt es für die Germania Sacra an einem koordinierten Editionsprogramm. [2] Jüngere Bearbeitungen widmeten sich meist nur einzelnen Statutensätzen, womit typische Merkmale der Gattung, vor allem ihre Selbstreferenzialität, nur schwer zu fassen sind. [3]
Heinz Wolter legt nun die erste kritischen Ansprüchen genügende Edition vor, die das spätmittelalterliche Synodalrecht einer deutschen Metropolitankirche vollständig aufarbeitet. Neben den für den Kölner Metropolitanverband geltenden Provinzialstatuten enthält sie überwiegend diözesane Satzungen. Dazu kommen die Reformstatuten der Kardinallegaten Branda da Castiglione (1423, Nr. 172) und Nikolaus von Kues (1452, Nr. 179, 180), die diese auf ihren Legationsreisen im Reich auch für die Kölner Kirche erlassen haben. Aufgenommen hat der Bearbeiter weitere "in den Statutenhandschriften überlieferten partikularrechtlichen Verfügungen der Kölner Erzbischöfe und ihrer Vertreter" (69) wie etwa die Statuten des Offizialatsgerichts von 1319/21 (Nr. 20), eine Geschäftsordnung der Kölner Kurie von 1356 (Nr. 89) oder die Münzordnung von 1372 (Nr. 139). So bietet die Edition insgesamt 209 Texte, von denen der größte Teil - rund 160 Nummern - aus dem 14. Jahrhundert stammt.
Dem voraus gehen eine Einführung, in der die Synodalpraxis der Kölner Bischöfe beschrieben und Besonderheiten ihrer Legislative skizziert werden (19-31). Es folgen Bemerkungen zur zeitgenössischen Verbreitung der Texte (32-37) sowie eine Beschreibung der zur Textkonstitution verwendeten Sammelhandschriften, Inkunabeln und Frühdrucke (38-67). Weitere Textzeugen wie die im Kölner Erzbistum relativ häufig überlieferten Ausfertigungen und notariellen Beglaubigungen einzelner Statuten werden bei den betreffenden Stücken selbst genannt.
Zuletzt hat Stefanie Unger, der die Edition an vielen Stellen verpflichtet ist, eine zentrale Frage der Statutenforschung, nämlich die nach der Rezeption konziliarer Reformen im partikularen Kirchenrecht, für das 13. und frühe 14. Jahrhundert unter anderem am Beispiel Kölns untersucht. [4] Wolter diskutiert dies zwar nicht weiter, ergänzt die Befunde Ungers jedoch mit dem Hinweis, dass die Synodalreformen des Basler Konzils von 1433 in Köln insgesamt "wenig Beachtung gefunden zu haben" scheinen (24). Weiter hebt er die während des gesamten Spätmittelalters auffallend geringe Zahl von Provinzialstatuten hervor, was mit dem Befund einhergeht, dass es kaum Hinweise auf eine Rezeption des Kölner Rechts in den Diözesanstatuten der Suffraganbistümer gibt. Damit kann "von einer Statutenlandschaft [...] im Falle der Kölner Gesetzgebung nicht ansatzweise die Rede sein" (31). Ein weiteres Kölner Charakteristikum stellt es dar, dass die Erzbischöfe "die Ausstellung der Statuten immer häufiger den ihnen an juristischer Bildung weit überlegenen Offizialen" übertrugen, so dass die "Statutengesetzgebung [...] gegen Ende des Mittelalters in Köln weitgehend zu einer Angelegenheit des Offizials geworden" war (21).
Darüber hinaus geht die Einleitung auf die Vorlagen der Statutengesetzgebung ein und streicht heraus, dass die Erzbischöfe, wie es für die Gattung in ganz Europa typisch ist, immer wieder Bestimmungen ihrer Vorgänger erneuert haben. Dank der Edition lässt sich dies nun erstmals auf kritischer Grundlage nachvollziehen. Betont wird ebenso, dass der Gesetzgeber mit seinen Verordnungen oft auf zeittypische Regelungsbedürfnisse reagierte. Dass in der Kölner Kirche vor allem in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts sehr häufig und in dichter Folge kurze, frühere Satzungen modifizierende Einzelstatuten erlassen wurden, unterstreicht den zeitweise ausgesprochen agilen Charakter ihrer Legislative. [5]
Auf die Typologie der spätmittelalterlichen Synodalstatuten, ihre Abgrenzung gegenüber älteren Formen bischöflicher Normsetzung und ihren Wandel im Zuge der katholischen Reform des 16. Jahrhunderts, mit anderen Worten: auf die Frage nach der zeitlichen Abgrenzung seiner Arbeit geht Wolter nicht weiter ein und lässt damit auch offen, warum seine Edition entgegen dem im Titel genannten Zeitrahmen bereits mit einer Verfügung Erzbischof Konrads von Hochstaden aus dem Jahr 1248 einsetzt.
Der textkritische Apparat ist umfangreich ausgefallen. Die Entscheidung des Bearbeiters, auch kleinere Abweichungen einzelner Textzeugen nachzuweisen, ist grundsätzlich richtig, da dies die gattungstypisch hohe Rezeptionsvarianz der kopialen Überlieferung belegt. Relevant wird dies unter anderem bei den Kapitelüberschriften, die in der synodalen Fassung oft noch nicht enthalten waren. Wolter hat sie meist in den Text übernommen, wobei hier eine besondere Kennzeichnung als späterer Zusatz sinnvoll gewesen wäre. Gewöhnungsbedürftig ist auch die Gestaltung des Apparats, der, um die große Zahl der Anmerkungen zu bewältigen, immer wieder zu Neuansätzen bei der Litterierung der Fußnoten greift, so dass manchmal mehrere Teilapparate auf einer Seite auftreten. Übersichtlicher wäre hier die Referenzierung mit einer Zeilenzählung gewesen.
In der Sachkommentierung war der Bearbeiter zurückhaltender. Fußnoten beschränken sich weitgehend auf den Nachweis von Vorlagen und Bezügen zu anderen Statuten. Dabei sind Zitate aus der Bibel stets auch durch Kursiv-, aus normativen Texten durch Petitdruck hervorgehoben, so dass vor allem die zahlreichen Übernahmen aus älteren Kölner Satzungen wie auch deren gezieltes aggiornamento sofort ins Auge fallen. Knappe Hinweise auf Sekundärliteratur gibt Wolter in den Vorbemerkungen der Texte. Für die Statuten Kardinal Brandas (Nr. 172) ist die Arbeit von Birgit Studt zu ergänzen. [6] Mehr hätte sich der Rezensent bei der Dokumentation der Quellen aus dem Umfeld der gesetzgebenden Synoden gewünscht. Die Kölner Erzbischofsregesten bieten sie in großer Zahl und ermöglichen so eine Kontextualisierung der bischöflichen Gesetzgebung, die nicht selten zu Widerständen im Klerus führte. Entsprechende Belege muss sich der Nutzer der Edition selbst erschließen.
Die Frage, ob die Erläuterung von Rechtsbegriffen von Fall zu Fall hilfreich gewesen wäre, sei immerhin gestellt, zielt eine Edition dieser Art doch angesichts des Quellenwertes der Gattung keineswegs nur auf den Rechtshistoriker. Der Sachindex, den Wolter seiner Ausgabe neben einem Namenregister beigefügt hat, liefert hier zwar einen gewissen Ersatz, verzichtet jedoch auf die Glossierung von Quellenbegriffen, wie sie etwa der "Index analytique" in der Ausgabe der Synodalstatuten von Tours durch Joseph Avril [7] bietet. Diese Edition bringt weitere Indizes (Konkordanzen, Zitate, Bezüge zu anderen Rechtstexten), die sich in ihrem Kölner Pendant ebenso wenig finden wie ein Gesamtverzeichnis der ungedruckten Quellen.
Dies soll den Verdienst, den sich Heinz Wolter mit seiner Veröffentlichung für die spätmittelalterliche Rechts-, Kirchen- und Landesgeschichte erworben hat, in keiner Weise schmälern. Mit seiner Edition hat er seine Kölner Wirkungsstätte - 250 Jahre nach Hartzheim - erneut in den Fokus der Synodalforschung gerückt. Sie untermauert einerseits das Bild einer Gesetzgebung, die über Jahrzehnte hinweg weitgehend unverändert tradiert wurde, andererseits aber zeigt sie, dass Synodalstatuten bei genauer textkritischer Betrachtung durchaus eine gewisse 'mouvance' auch in rechtsmaterieller Hinsicht aufweisen, was dazu veranlassen sollte, die lange Zeit vorherrschende Auffassung, es handele sich bei ihnen um statische Ausführungsbestimmungen, die dem bischöflichen Legislator mit ihrer strikten Orientierung am Dekretalenrecht keinen schöpferischen Spielraum gewährten, differenzierter zu betrachten. [8]
Anmerkungen:
[1] Johann Friedrich Schannat / Joseph Hartzheim (Hgg.): Concilia Germaniae, 11 Bde., Köln 1759-1790. Das Spätmittelalter betreffen die Bände 3-6.
[2] Johannes Helmrath: Partikularsynoden und Synodalstatuten des späteren Mittelalters im europäischen Vergleich, in: AHC 34 (2002), 57-99.
[3] Eine Ausnahme bildet die Bearbeitung des - nur lückenhaft überlieferten - Kamminer Statutenrechts: Peter Wiegand: Diözesansynoden und bischöfliche Statutengesetzgebung im Bistum Kammin. Zur Entwicklung des partikularen Kirchenrechts im spätmittelalterlichen Deutschland (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V 32), Köln / Weimar / Wien 1998. Als editorisch vorbildlich seien hier nur die in den Acta Cusana oder im von Arend Mindermann bearbeiteten Urkundenbuch der Bischöfe und des Domkapitels von Verden enthaltenen Statutendrucke genannt.
[4] Stephanie Unger: Generali concilio inhaerentes statuimus. Die Rezeption des Vierten Lateranum (1215) und des Zweiten Lugdunense (1274) in den Statuten der Erzbischöfe von Köln und Mainz bis zum Jahr 1310 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, 114), Mainz 2004.
[5] Vgl. dazu Wilhelm Janssen: Unbekannte Synodalstatuten der Kölner Erzbischöfe Heinrich von Virneburg (1306-1332) und Walram von Jülich (1332-1349), in: AHVN 172 (1970) 113-154, der S. 115 betont, dass die Kölner Satzungen des 14. Jahrhunderts oft auf "wirklichen Streitfragen, Mißbräuchen oder Irrtümern" beruhten.
[6] Birgit Studt: Papst Martin V. (1417-1431) und die Kirchenreform in Deutschland (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, 23), Köln / Weimar / Wien 2004, hier 565-676.
[7] Joseph Avril (Éd.): Les conciles de la province de Tours (XIIIe-XVe siècles) (= Sources d'Histoire Médiévale, 16), Paris 1987.
[8] Dazu etwa jüngst Rowan Dorin: The Bishop as Lawmaker in Late Medieval Europe, in: Past & Present 253 (2021) 45-82.
Peter Wiegand