Isabelle Brian / Stefano Simiz (Hgg.): Les habits de la foi. Vêtements, costumes et religions du Moyen Âge à nos jours (= Art & Société), Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2022, 322 S., ISBN 978-2-7535-8641-3, EUR 30,00
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Der Band situiert sich an der Schnittstelle zweier Forschungsthemen - der Religionsgeschichte und der materiellen Kultur, er handelt vom Zusammenhang zwischen den Praktiken des Glaubens und den Praktiken des (Sich-)Bekleidens. Die Herausgeber erheben den Anspruch, in einer kulturvergleichenden Perspektive Studien zu Phänomenen aus dem Christentum, dem Judentum und dem Islam vom Mittelalter bis zur Gegenwart zu vereinen. Dabei geht es ihnen besonders um das Verhältnis von Norm und sinnenfälligem Ausdruck, sie fragen nach der Funktion von textilen Zeichen religiöser Zugehörigkeit und sakraler Rollen überall dort, wo Identitäten in Frage gestellt oder neu ausgehandelt werden, wo es gilt, eine Bekehrung oder den rituellen Vollzug eines Standeswechsels manifest zu machen.
Die Beiträge jener, die sich zur Mitwirkung an diesem Projekt bereit gefunden haben, repräsentieren das intendierte sehr breite thematische Spektrum allerdings eher punktuell: Von 18 Beiträgen (ohne Einleitung und Schlusswort) haben elf christliche Kontexte im Frankreich der Neuzeit zum Gegenstand (mit einem deutlichen Schwerpunkt auf dem 17.-19. Jahrhundert), nur drei das Mittelalter (zwei davon den Schleier), einer das Judentum (39-54), einer Schuluniformen in Italien (261-275), einer christliche Sklaven der frühen Neuzeit, die aus der Gewalt von Muslimen freigekauft wurden (115-125) [1], und einer schließlich Jugendkulturen in den französischen Vorstädten der Gegenwart (277-286). Zudem handelt es sich überwiegend um Fallstudien, die dem angestrebten Abstraktionsgrad der Publikation in unterschiedlichem Maße gerecht werden. Insgesamt wirkt der Band daher ein wenig wie eine Mischung aus Äpfeln und Birnen.
Das Buch zerfällt in vier Abschnitte (1. Gewänder, Rollen und Liturgie; 2. Sakralisierung durch Gewänder und Paramente; 3. Religiöse Identitäten, Gender und Gesellschaft; 4. Religiöse und soziale Identitäten), deren Abgrenzung von- und Verhältnis zueinander nicht recht deutlich werden, auch ist ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den Artikeln, die jeweils zu einem der vier Abschnitte vereint wurden, untereinander nicht wirklich erkennbar. Das tut der Qualität vieler Beiträge aber keinen Abbruch.
Eine Reihe von Situationen sind für die Fragestellung des Bandes besonders erhellend. Dazu gehören natürlich die 'rites de passage' und darunter besonders die Einkleidung beim Eintritt in eine Ordensgemeinschaft. Mit dem Gewand der Novizen in der Zwischenzeit zwischen der Aufnahme und den Gelübden, seiner Gestalt (häufig war es weiß und kürzer als dasjenige der Professen) und mit der Frage, wer es beschaffte und bezahlte, setzt sich Jean-Marc Lejuste auseinander. Er stützt sich dabei hauptsächlich auf Beispiele des 18. Jahrhunderts aus verschiedenen Kongregationen, die in Lothringen bestanden (55-67).
Um die Einkleidung und die Tracht der Vinzentinerinnen geht es in dem Aufsatz von Anne Jusseaume. Die Schwestern wirkten (und wirken bis heute) in der Kranken- und Altenpflege, ihr Habit gereichte ihnen zur "tragbaren Klausur" (251). Dem (himmel-)blauen Gewand der Coelestinerinnen widmet sich Marie-Élisabeth Henneau. Der Mutterkonvent zu Genua hatte den Schwestern in Vesoul 1612 eine kleine Puppe als Vorbild geschickt, nach dem sie ihre Ordenstracht anfertigen sollten (220).
Die sackartigen Gewänder und spitzen 'cagoules' (die kapuzenartigen Masken) der südfranzösischen Büßer-Bruderschaften behandelt Estelle Martinazzo, sie konfrontiert normative Texte der Vereinigungen mit erhaltenen Abbildungen. Die Aufnahme in die Bruderschaft beinhaltete eine Einkleidung, ähnlich wie der Eintritt in eine Ordensgemeinschaft, doch verblieben die Gewänder in der Regel in der Kapelle, die Mitglieder trugen sie nur zu den gruppeninternen Zusammenkünften und zu den öffentlichen Prozessionen durch die Stadt. Sie konnten auch in ihrem Habit bestattet werden (103-114).
Der Text-Bild-Zusammenhang spielt in dem Artikel von Fabienne Henryot eine wichtige Rolle, sie widmet ihn der 1714-1719 erschienenen 'Histoire des ordres monastiques' des Franziskaners Hippolyte Hélyot mit ihren 833 Abbildungen von Vertretern der verschiedenen Orden in ihren jeweiligen Gewändern. Besonders gelingt es ihr, aufzuzeigen, auf welche ikonographischen Traditionen Hélyot in seinem Werk Bezug nimmt, und welche Ordnungskriterien und Neuerungen, etwa hinsichtlich der Seiteneinrichtung, sich umgekehrt ihm selbst verdanken (156-161). Während frühere, auf den ersten Blick ähnliche Publikationen in erster Linie ein hagiographisch-erbauliches Interesse verfolgten, ist Hélyot Historiker und Apologet, es geht ihm darum, die dargestellten Ordensleute in einen geschichtlichen Kontext einzuordnen, deshalb nimmt der Text bei ihm einen erheblich größeren Raum ein als bei seinen Vorgängern, während seine Abbildungen umgekehrt auf die Darstellung der charakteristischen Attribute bestimmter Ordensheiliger und auf architektonisches Dekor verzichten (161-163). Mit seinem systematischen Ansatz und durchgängig erkennbaren roten Faden ist Henryots Artikel sicherlich einer der Höhepunkte des Bandes.
Von Interesse sind weiter auch Situationen der Ambivalenz religiöser Standestracht, zum Beispiel im 17. Jahrhundert, als die calvinistischen Prediger sich eine schwarze Soutane mit weißem Beffchen zugelegt hatten und den katholischen Klerikern (sehr zu deren Verdruss) nun auffallend ähnlich sahen - offenbar mit dem Erfolg, dass die Grenzen verwischt wurden: Im Jahre 1621 verprügelten Halunken zu Charenton zwei katholische Geistliche, weil sie dieselben gerade aufgrund ihrer schwarzen Talare mit Protestanten verwechselt hatten (Julien Léonard, 30).
Ausdrücklich als distinktives Merkmal, das geeignet ist, einen sozialen Unterschied zum Ausdruck zu bringen, der sich aus einem religiösen Status schöpft (127), spricht Nicole Pellegrin die Gewänder der Ordensleute und Kleriker an. Sie untersucht, was aus ihnen - und aus ihren Trägern - wurde, als die Rollen in der französischen Revolution und anschließend in der Restauration neu sortiert wurden, und geht dabei besonders auf zeitgenössische Karikaturen ein.
Von den drei mediävistischen Aufsätzen beschäftigt sich einer mit den archäologischen Möglichkeiten, Reste von Schleiern in Bestattungen nachzuweisen (191-200), von Interesse sind hier besonders die Nadeln, mit denen die Textilien fixiert wurden. Ein weiterer würdigt den Schleier als Instrument weiblicher Resilienz - ursprünglich dazu bestimmt, sie zu verhüllen, diente er, das meint zumindest Maria-Giuseppina Muzzarelli, Frauen im Spätmittelalter dazu, ihren Reichtum zur Schau zu stellen und verführerische Akzente zu setzen, zudem habe die Herstellung von modischen Kopfbedeckungen Frauen eine berufliche Perspektive eröffnet (201-209). Um die Gestalt der Tiara der Päpste während des Exils in Avignon und nach ihrer Rückkehr nach Rom geht es in dem Aufsatz von Claudia Alberto (91-102).
Zwei Artikel haben die Produktion von liturgischen Gewändern im 19. und 20. Jahrhundert zum Gegenstand. Mireille-Bénédicte Bouvet stellt Paramenten-Produzenten vor, die in Lothringen zum Teil bis in die jüngste Vergangenheit aktiv waren (171-188). Der Werkstatt für liturgische Gewänder, die in den 1930er Jahren in der Abtei Saint-Wandrille gegründet wurde, widmet sich Pascal Pradié - zu einer Zeit "als die Sakristeischränke noch von der Neogotik überschwemmt wurden" (72) studierte man dort Ausstellungskataloge im Stile des 'art déco' (73), um Kaseln und Dalmatiken für die Messe zu entwerfen, die nach der Aussage ihres Schöpfers, Pater Courbet, wie Theaterverkleidungen aussehen sollten (71), während einige Mitbrüder sie eher als Bademäntel bezeichneten (74).
Anmerkung:
[1] Ins Auge fällt in diesem Aufsatz (von Giovanni Ricci) die Behauptung, die Sklaven europäischen Ursprunges hätten sich unter ihren muslimischen Herren "häufig freiwillig oder halb-freiwillig" zum Islam bekehrt (116). Sklaverei und Gefangenschaft sind naturgemäß Situationen der Unfreiheit, daher sollte man mit solchen Urteilen sehr vorsichtig sein.
Philipp Stenzig