Rezension über:

Kerstin Pinther: Die Kunst Afrikas, München: C.H.Beck 2022, 128 S., 19 Farb-, 45 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-78807-9, EUR 12,00
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Rezension von:
Fiona Siegenthaler
Linden Museum, Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Katharina Jörder
Empfohlene Zitierweise:
Fiona Siegenthaler: Rezension von: Kerstin Pinther: Die Kunst Afrikas, München: C.H.Beck 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 7/8 [15.07.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/07/37430.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Kerstin Pinther: Die Kunst Afrikas

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Die Kunst Afrikas ist ein überraschend kleines Büchlein: Auf gerade mal 128 knapp über DIN A6 großen Seiten unternimmt es Kerstin Pinther, ausgewiesene Wissenschaftlerin im Bereich der afrikanischen Künste und Kuratorin für moderne und zeitgenössische Kunst im globalen Kontext an den Staatlichen Museen Berlin, in die Kunst eines ganzen Kontinents einzuführen. Auf diesem begrenzten Raum finden sogar zahlreiche Farb- und Schwarz-Weiß-Abbildungen sowie ein Epilog, eine Auswahlbibliografie, die Bildnachweise und eine Landkarte ihren Platz. Das entspricht dem kompakten Format der C.H.Beck Wissen-Reihe, die "gesichertes Wissen und konzentrierte Information über die wichtigsten Gebiete aus den Kultur- und Naturwissenschaften" [1] vermitteln will. Wie schafft es die Autorin, die Kunstgeschichte(n) eines Kontinents in einer solchen Kürze widerzugeben?

Sie tut dies, indem sie einerseits Einführung und Epilog als Plattformen nutzt, die allgemeinere Forschungsgeschichte und wichtige wissenschaftliche Diskussionen der letzten Jahrzehnte schlaglichtartig zu beleuchten. Andererseits beschränkt sie sich trotz Anspruch auf einen "prägnanten Überblick über die historischen Kunstentwicklungen Afrikas" (8) auf exemplarische Gattungs- und Objektbeispiele. Die Einführung legt hierfür eine wichtige Grundlage, da sie die Grenzen des Kunstbegriffs im Umgang mit Erzeugnissen aufzeigt, die in afrikanischen Sprachen einer erweiterten oder anders gelagerten Semantik unterstehen. Schlüsselkonzepte von Ästhetiken, Performanzen, spiritueller Wirkmacht, aber auch der Repräsentation, der Einschreibung künstlerischer Ausdrucksformen in zyklischen Ereignissen, sowie Architekturtraditionen und der Kontext jahrhundertelanger regionaler und transkontinentaler Austauschbeziehungen werden hier vorgestellt. Diese folgen weder einer chronologischen noch einer regionalen Struktur, sondern gliedern sich nach künstlerischen Praxisformen und kulturellen Bedeutungs- und Wirkungskontexten. So werden im ersten Kapitel Gestaltungsmittel und ästhetische Konventionen anhand ausgesuchter Werke von West- und Zentralafrika vorgestellt. Ein Schwerpunkt gilt wirkmächtigen Objekten wie Minkisi, die zu rituellen, sakralen, juristischen und anderen Zwecken im Einsatz waren und teilweise noch sind. Doch auch die Textilgestaltung erfährt eine besondere Aufmerksamkeit, womit die Autorin den Blick auf die Geschlechtsspezifik von Kunstformen sowie die Künste des südlichen und östlichen Afrikas lenkt, die oft weniger figural und stärker im Design und in der Alltagskultur als kreatives und vielfältiges Kommunikationsmittel eingebunden sind. Das zweite Kapitel ist den repräsentativen Künsten der Königshöfe wie beispielsweise der Asante, der Kuba oder dem Benin Königreich gewidmet, in denen sich spirituelle und politische Funktionen und Wirkungsweisen nicht trennen lassen und deren Ästhetik von transregionalen und transkontinentalen Handelsbeziehungen geprägt sind. Das dritte Kapitel zu "Künstlerische[n] Praktiken, Kunsthandeln und kulturelle[m] Erbe" stellt einen Höhepunkt im Buch dar, reflektiert es doch die Bedeutung des Ephemeren, der Performanz und des Prozesshaften - alles Eigenschaften afrikanischer Künste, die in den letzten 50 Jahren vertieft erforscht und theoretisiert wurden. Pinther weist dabei auch auf heute kontrovers diskutierte Themen hin, wie beispielsweise der Kontrast zwischen der Bewahrungsagenda des westlichen Kulturerbe-Verständnisses und dem Verfallsimperativ, das zahlreichen rituellen Objekten eingeschriebenen ist. Das Kapitel thematisiert zudem die gegenseitige Beeinflussung, Inspiration und Appropriation kultureller Praxis und Darstellungsformen in der Kolonialzeit sowie deren Fortwirken in der Gegenwart.

Im Epilog schließlich kommt die Autorin auf die aktuellen öffentlichen Debatten um koloniales Kulturgut in westlichen Museen zu sprechen. Sie betont die Wichtigkeit der historischen Aufarbeitung von kolonialen Gewaltkontexten, ebenso wie die Gefahr, dass dadurch ein eurozentristischer Blick perpetuiert und den vielstimmigen Perspektiven afrikanischer und anderer Akteure kein Platz eingeräumt wird. Damit riskiert man auch, die zur Diskussion stehenden Objekte ihrer ontologischen und (trans-)kulturellen Bedeutung und Mehrschichtigkeit zu berauben.

Das Büchlein kann nicht als neues Standardwerk zur Kunst Afrikas bezeichnet werden. Das nördliche Afrika ist fast völlig ausgeschlossen, und das südliche und östliche Afrika tendenziell unterrepräsentiert - eine bewusste Entscheidung der Autorin. Auch genealogische oder chronologische Narrative sowie vergleichende Diskussionen und größere kulturhistorische Einordnungen der vorgestellten Beispiele fehlen. Dennoch erreicht die Autorin eine überraschende Dichte an Themen, gibt eine Vielzahl aktueller und vergangener Fachdiskurse wieder und schafft es, die Künste Afrikas in ihrer Vielfalt als Praxis erfahrbar zu machen. Obwohl sich die Kapitel unter anderem an klassischen Objektkategorien und Schwerpunkten der afrikanischen Kunstgeschichtsschreibung orientieren, gelingt es der Autorin mit Leichtigkeit, ihre Kontinuitäten in der modernen und zeitgenössischen Kunstproduktion deutlich zu machen.

Pinther spricht aufgrund deren Vielfalt und Komplexität dezidiert von "den historischen Künsten Afrikas" mit Betonung auf den Plural (9). Dies steht im Widerspruch zum Buchtitel, der auf die "Kunst Afrikas" im Singular verweist. Dieser Widerspruch erscheint symptomatisch für einen Kompromiss zwischen wissenschaftlichem Anspruch und verlegerischer Priorisierung, zwischen wissenschaftlicher Dichte und einführender Kürze, der sich durch das ganze Buch zieht. Das Risiko einer "summarische[n] Darstellung" und einer Essentialisierung zugunsten der Kürze benennt die Autorin selbst (37).

Tatsächlich sind einzelne Darstellungen verkürzt oder gar verwirrend, so beispielsweise, wenn Hans Himmelhebers langjährige Forschungen und Untersuchungen zum künstlerischen Selbstverständnis mit dem einzigen Satz zusammengefasst wird, dass er "erste Feldstudien in Westafrika zur Frage der Kunstschaffenden" durchführte (24). Auch bleibt für nicht-Spezialist*innen unklar, wo und von wem die mulalani errichtet wurden (109), und manche*r Leser*in wäre bei der Diskussion des "experimentierfreudigen Königs" in Fumban für seine namentliche Nennung - Njoya - dankbar (119). Diese Schwächen werden dagegen mit der reichen und gut referenzierten Bebilderung - u.a. mit Farbfotografien - ausgeglichen.

Es gelingt der Autorin auf überzeugende Weise, über kanonische Darstellungen hinaus vielfältige Perspektiven einzubringen. Dies sowie ihre Fähigkeit, trotz der Kürze komplexe Zusammenhänge zu vermitteln, sind für ein Buch dieser bescheidenen Größe überraschend und beeindruckend. Dennoch bleibt der Eindruck, dass Die Kunst Afrikas nur bedingt als Einführung in die Künste Afrikas dienen kann und dass etwas Vorwissen vorausgesetzt wird. Deshalb eignet sich das Buch wohl weniger als Einführung denn als Begleitliteratur zu einer Vorlesungsreihe, die die Auseinandersetzung mit den Objektbeispielen und ihrem jeweiligen kulturellen und historischen Kontext vertieft.


Anmerkung:

[1] https://www.beck-shop.de/reihen/chbeck-wissen/233?adword=google&gclid=Cj0KCQjwwISlBhD6ARIsAESAmp77Lu7lk4jyICLsrqhoG4VRzjViwZEQ_yQVjB5SwvTv9rzAVj0NtyUaAjAgEALw_wcB, letzter Zugang 3.7.2023.

Fiona Siegenthaler