Cathleen Sarti: Deposing Monarchs. Domestic Conflict and State Formation, 1500-1700 (= Routledge Research in Early Modern History), London / New York: Routledge 2022, 230 S., ISBN 978-0-367-35980-5, GBP 130,00
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Nicht zuletzt infolge der Abkehr vom Absolutismus-Paradigma erfreuen sich Studien zur frühneuzeitlichen Staatsbildung seit gut drei Jahrzehnten einer beständigen Konjunktur. Etabliert hat sich dabei eine Interpretationsperspektive, die Staatsbildung als dynamischen und kontingenten kulturellen Prozess versteht. Dieser beruhte wesentlich auf der kommunikationsbasierten Interaktion zwischen Vertretern einer Obrigkeit, die weit von absoluter Erzwingungs- und Durchsetzungsmacht entfernt war, und Mitgliedern der lokalen Gesellschaften. Innerhalb dieses oft von Konflikten und Insubordination begleiteten und u.a. in Verhandlungen und Petitionen Gestalt annehmenden Wechselspiels zeichneten sich zugleich die normativen Grundlagen einer als "konsensual" und "akzeptanzorientiert" beschriebenen vor- und frühmodernen Herrschaftspraxis ab.
Von Verstößen gegen diesen partizipationsbasierten Wertekanon, von Legitimitätskrisen monarchischer Herrschaft und hieraus resultierenden, bis zur politischen Umgestaltung und Neuorientierung reichenden Reaktionen ist auch in der vorliegenden Studie von Cathleen Sarti - einer für die englische Fassung gekürzten und textlich teilweise neu arrangierten Mainzer Dissertation - oft die Rede. In Gestalt frühneuzeitlicher Herrscher:innenabsetzungen nimmt sich die Verfasserin eines ungewohnten Themas an - ist doch der grundsätzliche Vorbehalt, dass Absetzungen von Monarchen in der Frühmoderne als irreguläre Ausnahmen anzusehen und aufgrund der Herrschaftsvorstellung vom Gottesgnadentum eigentlich nicht denkbar, geschweige denn durchführbar gewesen seien, als Denk- und Forschungsbarriere nur schwer auszuräumen. Anlass zu latenter Skepsis gibt zudem die der Studie zugrunde liegende These, dass Monarchenabsetzungen und deren Bewertung über den semantischen Horizont von Unordnung und Instabilität hinausreichen und auch als Ferment frühneuzeitlicher Staatsbildungsprozesse betrachtet werden können.
Wie unbegründet derartige Vorbehalte sind, zeigt Sarti am Beispiel von zehn Absetzungen in verschiedenen europäischen Monarchien zwischen 1500 und 1700. Die Autorin verfolgt das Ziel, die Voraussetzungen, den Verlauf und die Folgen dieser politischen Umbrüche zu analysieren und ihre Bedeutung für die frühneuzeitliche Staatsbildung zu erörtern. Dabei greift sie auf ein breites Spektrum von Quellen und Literatur zurück und verbindet politik-, sozial- und kulturgeschichtliche Deutungsperspektiven.
Die durch ihre klare Struktur und schlüssige Argumentation überzeugende Studie gliedert sich in drei Teile: Der erste Teil bietet einen Überblick über die historischen Kontexte und Ereignisse der einzelnen Absetzungen, wobei der Fokus auf Skandinavien und den Britischen Inseln liegt. Darunter sind der Prozess und die Hinrichtung Karls I. 1649 sowie die Absetzung Jakobs II./VII. im Zuge der Glorious Revolution 1688/89 die prominentesten Fälle. Der zweite Teil widmet sich der vergleichenden Analyse der Absetzungen mit Blick auf vier Kernbereiche: den Akteuren, den Motiven, den Strategien und politischen Dynamiken des Absetzungsgeschehens und den Rechtfertigungen. Der dritte Teil diskutiert die Auswirkungen der Absetzungen auf die politische Kultur, die Verfassungsentwicklung und die internationale Ordnung.
Die Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung eines bisher wenig beachteten Phänomens der frühneuzeitlichen Politikgeschichte. Die Autorin zeigt, dass Monarchenabsetzungen keine isolierten oder zufälligen Ereignisse waren, sondern Teil eines komplexen Prozesses der politischen Kommunikation und Transformation, der sowohl von innen als auch von außen beeinflusst wurde. Sie zeigt auch, dass Absetzungen nicht nur Krisen oder Brüche darstellten, sondern auch Chancen oder Anlässe für Reformen und Innovationen boten. Sie macht schließlich deutlich, dass Entmachtungen nicht nur die Legitimität und Grenzen der monarchischen Herrschaft zur Debatte stellten, sondern auch die Grundlagen und Herausforderungen der europäischen Staatlichkeit reflektierten.
Die Stärke der Studie liegt in ihrer detaillierten Rekonstruktion und Analyse der Absetzungsprozesse, die sowohl die politischen, sozialen, religiösen als auch die kontingenten Faktoren berücksichtigt. Als zentral wird man die überzeugend präsentierte Erkenntnis werten können, dass in der Vor- und Frühmoderne Vorstellungen vom Gottesgnadentum in Konfliktsituationen eine deutlich geringere Rolle spielten als die Idee konsensualer Herrschaft. Die Untersuchung bietet zudem interessante Vergleiche zwischen den britischen und skandinavischen Königreichen, die trotz ihrer geographischen Nähe und kulturellen Verbindungen unterschiedliche Wege der Staatsbildung einschlugen. Die Studie macht deutlich, dass Absetzungen nicht zuletzt von den jeweiligen nationalen Traditionen und Gegebenheiten abhingen - in Skandinavien vor allem dissensbefrachtete dynastische Motive, in England der Konflikt zwischen königlicher und parlamentarischer Souveränität.
Die Schwäche der Studie liegt in ihrer etwas unklaren Begründung für die Auswahl des Zeitraums und der Vergleichsräume. Die Autorin argumentiert, dass Absetzungen in Nordeuropa zwischen 1500 und 1700 besonders häufig waren, aber sie erklärt nicht genau, warum das so war oder wie sich diese Absetzungen von denen in anderen Regionen oder Zeiten unterschieden. Auch geht sie nicht auf mögliche Kontraste oder Parallelen zu anderen Herrschaftsformen wie Republiken oder imperialen Ordnungen ein. Die Studie hätte von einer stärkeren theoretischen Einbettung und einer breiteren Perspektive profitieren können.
Insgesamt ist das Buch von Cathleen Sarti ein wichtiger und origineller Beitrag zur Erforschung von Herrscher:innenabsetzungen in der Frühen Neuzeit. Die Autorin bietet eine fundierte und facettenreiche Darstellung eines bisher wenig beachteten Phänomens, das für das Verständnis von politischen Konflikten und Transformationen in Nord- und Nordwesteuropa relevant ist. Vor allem macht die vermeintliche Gewissheiten kritisch hinterfragende Studie deutlich, dass die Monarchie zwischen 1500 und 1700 keine unangefochtene Form der Herrschaft war, sondern vielmehr einer ständigen Herausforderung unterlag.
Helmut Gabel