Rezension über:

Matthias Sieberkrob: Sprachbildung und historisches Lernen - aber wie? Ziele, Professionalisierung, Umsetzung (= Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik; Bd. 29), Göttingen: V&R unipress 2023, 409 S., ISBN 978-3-7370-1539-4, EUR 65,00
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Rezension von:
Charlotte Husemann
Historisches Institut, Universität Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Charlotte Husemann: Rezension von: Matthias Sieberkrob: Sprachbildung und historisches Lernen - aber wie? Ziele, Professionalisierung, Umsetzung, Göttingen: V&R unipress 2023, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 9 [15.09.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/09/38281.html


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Matthias Sieberkrob: Sprachbildung und historisches Lernen - aber wie?

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Sprachbildung im Fach Geschichte kann, dem grundlegenden Zusammenhang von Sprache und Geschichte entsprechend, als "Schlüsselaufgabe für Geschichtslehrerinnen" [1] betrachtet werden. Trotz der attestierten Bedeutung für das historische Lernen ist nicht eindeutig spezifiziert, was fachliche Sprachbildung bezeichnet. Auch die Frage, wie (angehende) Geschichtslehrer*innen sprachbildenden Geschichtsunterricht planen (sollen), ist geschichtsdidaktisch nicht geklärt. Diesem Desiderat widmet sich Matthias Sieberkrob in seiner 2023 publizierten Dissertation.

Ausgehend von der Einleitung (I) setzt Sieberkrob sich mit dem Konzept der Durchgängigen Sprachbildung auseinander (II) und reflektiert Sprache anschließend im Machtgefüge der Institution Schule. Er berücksichtigt verschiedene Perspektiven auf die Konzepte Sprachbildung und Bildungssprache und führt diese konzise zusammen. Die Abgrenzung von sprachbildendem und sprachsensiblen Fachunterricht leistet dabei einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum geschichtsdidaktischen Diskurs, werden die Begriffe doch vielfach synonym verwendet. Klarheit und Präzision des Ausdrucks zeigen, dass der Autor Sprache nicht nur zum Gegenstand seiner Arbeit erkoren hat, sondern sich kritisch mit dem Medium auseinandersetzt. Auf wesentliche Überlegungen zur historischen Fachsprache geht er erst im Anschluss an die durchgeführte Untersuchung dezidierter ein (VIII).

In einer intersektionalen, diversitätssensiblen und machtkritischen Annäherung diskutiert Sieberkrob Sprachbildung anschließend als emanzipatorisches Konzept (III) und macht das sozialwissenschaftliche Prinzip der Agency für den Erwerb von Bildungssprache nutzbar. Unter Berücksichtigung des historischen Lernbegriffs legt er dar, dass "Bildungssprache [...] ein Element [ist], mit dem Subjekte ihre möglicherweise nachteilhaften Handlungs- und Lebensbedingungen verändern können" (75). Diskutiert werden könnte hier, in welchem Verhältnis die Begriffe Agency und Kompetenz stehen und inwiefern Begriffe wie Orientierungs- und Handlungskompetenz als geschichtsdidaktisch verfügbares Vokabular Berücksichtigung finden könnten.

Trotz der theoretisch zugeschriebenen Bedeutung besitzt die durchgängige Sprachbildung, wie Sieberkrob in einer kurzen Meta-Studie zeigen kann, in universitären Curricula im Bereich Lehrer*innenbildung nur einen geringen Stellenwert. Diese Erkenntnis bildet den Ausgangspunkt für weitere Überlegungen zur (fachlichen) Professionalisierung von Lehrer*innen (IV).

Aufbauend auf der umfassenden theoretischen Hinführung geht Sieberkrob in seiner Untersuchung (V) der Frage nach, welche Möglichkeiten und Anwendungen sprachbildender Aspekte Student*innen in Planungsgesprächen von sprachbildendem Geschichtsunterricht benennen, wie sich die benannten Aspekte während des Moduls "Schulpraktische Studien" verändern und inwiefern sich Unterschiede zwischen Student*innen, die ein Seminar mit dem Schwerpunkt "Narrativität" belegt haben (2. Kohorte) und solchen, die dieses Schwerpunktthema nicht behandelt haben (1. Kohorte), nachweisen lassen. Konzise beschreibt er das Erkenntnisinteresse, Studiendesign, die Methodik und Datengrundlage der Arbeit. Letztgenannte umfasst die transkribierten Planungsgespräche von studentischen Tandems, die zu drei (1. Kohorte) bzw. zwei (2. Kohorte) Erhebungszeitpunkten videografiert wurden. Ausgewählt wurden dafür Student*innen (n = 12) im Master Lehramt Geschichte an der Freien Universität Berlin. Als Auswertungsmethode wählt Sieberkrob einen qualitativ-inhaltsanalytischen Zugriff, der sowohl die Entwicklungseffekte deutlich werden lässt als auch differenzierte Einblicke in das Planungshandeln der Student*innen ermöglicht. Neben den Planungsgesprächen bezieht er auch Interviews mit den Dozent*innen der Lehrveranstaltungen ein. Eine weitere Aufschlüsselung der Ergebnisse wäre durch den Einbezug von Faktoren wie den Unterrichtserfahrungen und Sprachbiographien der Student*innen, ihrer Einstellung zur Sprachbildung und ihren Studienfächern denkbar gewesen, auf die Sieberkrob, wohl angesichts des umfangreichen Datenmaterials, verzichtet.

Die Ergebnisse der Untersuchung (VI) zeigen dennoch eindrücklich Stärken und wiederkehrend Schwächen in der Planung sprachbildenden Geschichtsunterrichts auf. In den Planungsgesprächen thematisieren die Student*innen vor allem Unterstützungsmaßnahmen zur Sprachrezeption. An zweiter Stelle, jedoch deutlich seltener, werden Maßnahmen zur Sprachproduktion behandelt. Sowohl das Lesen als auch das Schreiben werden nicht als didaktisch zu gestaltende Prozesse betrachtet. Sprachbildende Methoden, wie z.B. die Wortschatzarbeit oder der Einbezug von Formulierungshilfen, werden nicht mit längerfristigen Zielsetzungen verbunden. Prinzipien historischen Lernens stehen in der Unterrichtsplanung kaum in Zusammenhang mit sprachbildenden Aspekten, weshalb die Unterstützungsmaßnahmen häufig unkonkret und nur selten fachspezifisch geplant werden. Wenngleich die Nennung unterschiedlicher Methoden zwischen den Erhebungspunkten tendenziell zunimmt, zeigen sich auf qualitativer Ebene kaum Veränderungen in den Planungsgesprächen. Auch zwischen den Kohorten lassen sich nur marginale Unterschiede nachweisen.

Ausgehend von den Untersuchungsergebnissen plädiert Sieberkrob für die Profilierung sprachbildenden Geschichtsunterrichts (VII). Entsprechend seiner Untersuchungsergebnisse bezieht er weitere Grundlegungen fachsprachlichen historischen Lernens ein (VIII) und entwickelt in der Verknüpfung von Theorie und Empirie das praxeologisch ausgerichtete "Rahmenmodell für Sprachbildenden Geschichtsunterricht" (IX). Das Modell adressiert Agency als Ziel sprachbildenden Geschichtsunterrichts und verbindet, aufbauend auf dem Kompetenzmodell der FUER-Gruppe, den Lernaufgabenansatz mit dem Ansatz generischen Geschichtslernens. Exemplarisch zeigt Sieberkrob schließlich auf, wie Förderansätze und Methoden, zum Beispiel das von Handro (2018) entwickelte "Modell zum Einsatz von Lesestrategien im Geschichtsunterricht" [2], dem Rahmenmodell entsprechend in den Geschichtsunterricht integriert werden können.

Sieberkrobs Arbeit betont die Bedeutung einer systematischen, fachbezogenen Sprachbildung für das historische Lernen in Universität und Schule. Insbesondere der empirische Teil der Untersuchung unterstreicht die Notwendigkeit eines rahmenden Modells für die erste Phase der Lehrer*innenbildung. Der Autor erkennt dieses Desiderat und legt, aufbauend auf einer umfassenden Auseinandersetzung mit emanzipatorischen und fachdidaktischen Aspekten der Durchgängigen Sprachbildung, ein Rahmenmodell vor, welches einen Ausgangspunkt zur Gestaltung sprachbildenden Geschichtsunterrichts bieten kann.


Anmerkungen:

[1] Martin Schlutow: Sprachsensibler Geschichtsunterricht in der Geschichtslehrer*innenbildung. Einführung in die Sektion, in: Sprache(n) des Geschichtsunterrichts. Sprachliche Vielfalt und historisches Lernen, hg. von Thomas Sandkühler / Markus Bernhardt, Göttingen 2020 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 21), 47-57, hier 47.

[2] Saskia Handro: Geschichte lesen, aber wie? Plädoyer für eine geschichtsdidaktische Profilierung von Lesestrategien, in: Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert. Eine geschichtsdidaktische Standortbestimmung, hg. von Thomas Sandkühler / Charlotte Bühl-Gramer / Anke John / Astrid Schwabe / Markus Bernhardt, Göttingen 2018 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 17), 275-293.

Charlotte Husemann