Ghazzal Dabiri (ed.): Narrating Power and Authority in Late Antique and Medieval Hagiography across East and West (= Fabulae; Vol. 1), Turnhout: Brepols 2021, 217 S., ISBN 978-2-503-59065-3, EUR 75,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Lars Kjaer / Gustavs Strenga (eds.): Gift-Giving and Materiality in Europe, 1300-1600. Gifts as Objects, London: Bloomsbury 2022
Pavlína Rychterová / Jan Odstrčilík (eds.): Medieval Translations and Their Readers, Turnhout: Brepols 2023
Gábor Klaniczay / Ildikó Csepregi (eds.): The Sanctity of the Leaders. Holy Kings, Princes, Bishops, and Abbots from Central Europe (Eleventh to Thirteenth Centuries), Budapest: Central European University Press 2023
Diese Aufsatzsammlung untersucht die Darstellung von Macht und Autorität in einer Vielzahl spätantiker und mittelalterlicher hagiographischer Erzählungen (Viten, Märtyrertaten, Traum- und Wunderberichte). Die behandelten Berichte sind in einigen der wichtigsten Sprachen der islamischen Welt sowie des christlichen Ostens und des christlichen Westens verfasst (Arabisch, Armenisch, Georgisch, Griechisch, Latein, Mittelpersisch, Osmanisch-Türkisch und Persisch) und zeichnen sich durch ein großes Spektrum historischer Ereignisse und fiktiver Figuren aus unterschiedlichsten Teilen der Gesellschaft aus - von weiblichen Laienheiligen in Italien über Zoroastrier im sassanidischen und islamischen Iran bis hin zu Aposteln und Bischöfen sowie Kaisern und Kalifen.
In jedem Kapitel wird untersucht, wie Macht und Autorität von oben (Höfe/Heilige) und von unten (Heilige/Laien) erzählt und im weiteren Sinne in verschiedenen Gemeinschaften gesteuert wurden. Während sich jedes Kapitel mit der spezifischen literarischen und sozialen Szene einer bestimmten Zeit, eines bestimmten Ortes oder eines Hagiographen befasst, bietet der Band als Ganzes einen umfassenden Überblick. Er rückt wichtige gemeinsame literatur- und sozialhistorische Aspekte in den Vordergrund, etwa die möglichen Reiserouten populärer Erzählungen und Motive in ganz Eurasien und allgemein verbreitete Vorstellungen in den religiös-politischen Gedankenwelten von Hagiographen und ihren Gemeinschaften. Durch genaue Lektüre und vielfältige Analysen trägt diese Sammlung dem wachsenden Interesse an Hagiographie als Literatur Rechnung und bietet gleichzeitig neue Perspektiven auf die Sozial- und Religionsgeschichte spätantiker und mittelalterlicher Gemeinschaften.
Der Band ist in vier Teile gegliedert (I. Saints at the Courts of Rulers; II. Authority at the Cross-Sections of Society; III. Mapping the Terrain of Power; IV. Negotiating Power and Authority). Petros Tsagkaropoulos und Damien Labadie konzentrieren sich auf hagiographische Erzählungen, die zur Kategorie derjenigen Erzählungen gehören, die allgemein als "christliche Heilige am Hof des muslimischen Kalifen" bekannt sind. Tsagkaropoulos untersucht sowohl die griechische als auch die arabische Version des Lebens des Johannes von Damaskus. Sowohl diese Vita (Tsagkaropoulos) als auch das Leben des Johannes von Edessa (Labadie) gehen von einer kooperativen Beziehung zwischen dem Kalifen und dem Heiligen aus. Wie Tsagkaropoulos zeigt, zeichnet das griechische Leben des Johannes von Damaskus die dunkleren Konturen der komplexen Beziehung zwischen Heiligem und Kalifen nach. Das georgische Leben des Johannes von Edessa bietet dagegen eine optimistischere Sicht auf die Beziehung zwischen Heiligem und Kalifen. Wie Labadie bemerkt, sind Johannes von Edessa und Harun al-Raschid (gestorben 809) demnach gleichberechtigte Empfänger göttlicher Macht und Autorität, und beide sind sich dieser Tatsache und der Unterschiede in ihren Funktionen voll bewusst.
Wie Maria Conterno zeigt, könnten die detaillierten Darstellungen der intimen, symbiotischen Beziehung zwischen dem Patriarchen von Alexandria, Theophilus (gestorben 412), und Kaiser Theodosius I. (347-395) als eine Art Handbuch gedacht gewesen sein, das der koptischen Gemeinschaft, die unter muslimischer Herrschaft lebte, einen Weg in die Zukunft aufzeigte.
Die von Federica Boldrini und Carlo Cereti verfassten ersten beiden Beiträge des zweiten Teils vertiefen die sonst eher zurückhaltenden Reaktionen der mittelalterlichen Laienheiligen in Italien bzw. der zoroastrischen Gemeinschaft im Iran auf gesellschaftliche Zwänge. In seinem eigenen Beitrag erläutert der Herausgeber des Bandes, Ghazzal Dabiri, wie ʿAṭṭār in seinem wenig beachteten Ilāhīnāmah (Buch des Göttlichen) die Macht der Laien als Alltagsheilige demonstriert, die manchmal sowohl Herrscher als auch prominente, angesehene Heilige übertreffen. Der Beitrag von Maïeul Rouquette beschäftigt sich mit zwei hagiographischen Erzählungen zypriotischen Ursprungs. Die beiden konkurrierenden Gründungshagiographien der Kirche von Salamis und der Kirche von Tamasos zeugen vom Streit um die eigene Vorrangstellung. Nikoloz Aleksidze zeigt, wie georgische hagiografische Erzählungen aus dem zehnten bis elften Jahrhundert wie das Leben des Grigol, das Leben des Ilarion, das Leben des Johannes und des Euthymios und das Leben Georgs des Hagioriten Entfremdung, Fremdheit und moralische Autorität im Kontext geografischer und politischer Isolation thematisieren.
Jason Moralee untersucht in seinem Beitrag das 'imaginäre Rom' der Märtyrerakten. Er analysiert die Beziehung der Hagiographie zur Staatsmacht und die Art und Weise, wie sich kommunale Identitäten (christlich, römisch) durch 'Reiserouten der Macht' bildeten. Der Beitrag von Sibel Kocaer befasst sich mit den Erzählungen des legendären Derwischs Saltuk, die auf dem Balkan, an den westlichen Grenzen des Osmanischen Reiches, verortet sind. Wie Sibel Kocaer zeigt, stellen die Geschichten, in denen Saltuk sich als Christ verkleidet, eine Verhandlung zwischen sich selbst und dem anderen dar. Im Leben des heiligen Daniel des Styliten ist Daniel (409-493) ein rhetorisch geschickter Mönch, der durch seine Prophezeiungen die Sorgen Leos I. (gestorben 474) über die inneren und äußeren Konflikte des Reiches und der Kirche zu lindern vermag. Wie Fabrizio Petorella bemerkt, wird die ideologische Ausrichtung des Hagiographen deutlich, wenn die Prophezeiungen zusammengefügt werden. Sie zeigt, dass die Jungfrau Maria in zwei eher amüsanten Erzählungen der Legenda Aurea (Goldene Legende) ihre Macht und Autorität für einen Moment aussetzt, um es den glühendsten Verehrern zu ermöglichen, mit ihr um die Kontrolle über ein gewünschtes Ergebnis zu verhandeln. Wie Lasquety-Reyes außerdem betont, wurden solche punktuellen Machtverzichte der Himmelskönigin auch in flämischen Gemälden auf dem Höhepunkt der Popularität der Legenda Aurea dargestellt.
Ein Aspekt, der seltsam unterbeleuchtet bleibt, ist die Frage danach, wie Hagiographen selbst die Wechselfälle des spätantiken und mittelalterlichen Lebens interpretierten, bewältigten und artikulierten - wie sie darauf reagierten. Tatsächlich bieten Hagiographen unter Verwendung gemeinsamer Erzählmotive und -themen ihre einzigartigen Perspektiven auf eine Vielzahl von Ereignissen wie die seismischen und schleichenden Veränderungen in der Gesellschaft, die durch Kriege und Eroberungen sowie Veränderungen in Allianzen, Ideologien und Territorien verursacht werden. Alles durch Geschichten ihrer auserwählten Heiligen.
Insgesamt veranschaulichen die Kapitel in diesem Band die verschiedenen Arten, wie Macht und Autorität in spätantiken und mittelalterlichen Hagiographien im gesamten sozialen Spektrum artikuliert, gesteuert und ausgehandelt wurden. Die zur Diskussion stehenden Hagiographien weisen sicherlich unterschiedlich ausgeprägte Verwandtschaften untereinander und mit ähnlichen Erzählungen aus ihren eigenen Sprachtraditionen auf. Dennoch zeigt jede Studie, in welchem Ausmaß Hagiographen diese ähnlichen (manchmal sogar gemeinsamen) Themen und Motive für ihr ganz eigenes Ziel nutzten. So wie jede Studie, auch wenn sie auf akribischer Wissenschaft beruht, mit neuen Perspektiven Aspekte in den Vordergrund gerückt hat, die zuvor in einigen der am häufigsten untersuchten Hagiographien übersehen wurden.
Da eine Untersuchung nicht jede sprachliche Tradition abdecken, jedes Thema oder Motiv analysieren oder jede Stadt und jeden Hof in ganz Eurasien abdecken kann, verknüpft sich mit diesem Band die Hoffnung, nicht nur neue Perspektiven auf spätantike und mittelalterliche Hagiographen und ihre Gemeinschaften zu vermitteln, sondern Ausgangspunkt weiterführender Forschungen zu sein.
Spyridon P. Panagopoulos