Rebecca Großmann: Moving Memories. Erinnerungsfilme und die Trans-Nationalisierung der Erinnerungskultur in Deutschland und Polen (= Beiträge zur Geschichtskultur; Bd. 42), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2021, 401 S., ISBN 978-3-412-52246-9, EUR 55,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Rebecca Großmanns Buch ist in der von Jörn Rüsen gegründeten Reihe Beiträge zur Geschichtskultur erschienen. Obwohl die Autorin im Titel den Begriff "Erinnerungskultur" nennt, fügt sich ihre Arbeit gut in Rüsens Konzept ein. Anders als viele Forscher:innen, die sich mit Erinnerungskulturen befassen, interessiert sich Großmann nämlich nicht nur für mediale Repräsentationen von Geschichte, sondern auch - ganz im Sinne von Rüsen - für gesellschaftliche Praktiken, die mit dem Medium Film verbunden sind, allen voran für die Herstellung und Nutzung von Geschichte im Kino beziehungsweise Fernsehen. Nach der informativen und nicht (wie ansonsten bei Dissertationen häufig der Fall) theorieüberladenen Einführung präsentiert Großmann die Produktions-, Narrations- und Rezeptionskontexte von drei Filmen: der deutschen Miniserie "Unsere Mütter, unsere Väter" (2013), des polnischen Blockbusters "Warschau '44" sowie der deutsch-polnischen Koproduktion "Unser letzter Sommer" (2015). Sie legt den Fokus also auf Filme, die den Zweiten Weltkrieg darstellen. "Unsere Mütter, unsere Väter" erzählt von fünf deutschen Freund:innen, darunter einem Juden, die es während des Krieges nach Polen und in die Sowjetunion verschlägt - sei es als Soldat, als Flüchtling oder gar als Künstlerin. Die Miniserie hatte bereits vor ihrer offiziellen Premiere für Unmut in Polen gesorgt, da eine etwa zwanzigminütige Szene polnische Partisan:innen so darstellt, als seien sie antisemitisch eingestellt. Die Protagonist:innen von "Warschau '44" sind ebenfalls junge Männer und Frauen, die im Krieg kämpfen müssen, allerdings handelt der Film von polnischen Kämpfer:innen, die am Warschauer Aufstand beteiligt waren. Mit der Wahl von "Unser letzter Sommer" als letzter Fallstudie beweist Großmann die Konsequenz ihrer Arbeitsweise, denn auch die Autor:innen von diesem Film stellen junge Leute in den Mittelpunkt des Narrativs. Er handelt von einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem polnischen Jungen und einem deutschen Soldaten.
Während sich die meisten Arbeiten zur Geschichte im Film auf Darstellungsmodi konzentrieren, wagt Großmann einen "Blick hinter die Kulissen von Erinnerungsfilmen" (142). Sie nutzt eine Vielzahl an Quellen, um deren Entstehungskontexte zu rekonstruieren. Angesichts der zeitlichen Nähe ist dies keine leichte Aufgabe, denn die entsprechenden Dokumente sind noch nicht in Archiven verfügbar. Die Ziele, Umstände, Kosten und Schwierigkeiten der jeweiligen Filmproduktion müssen also anhand von Interviews, Pressekonferenzen, Werbematerialien usw. mühsam zusammengestellt werden. Dabei folgt Großmann dem Konzept "Erinnerungsfilm" von Astrid Erll und Stephanie Wodianka - die Forscherinnen betonen, dass die Untersuchung von Filmen als Erinnerungsmedien sich auf ihre Nutzung konzentrieren solle. Allein die Tatsache, dass Geschichte im Film präsentiert wird, reiche nicht aus, um von Erinnerungsfilmen zu sprechen - vielmehr ginge es um die Wiederholungen bestimmter Motive, die Reaktionen des Publikums oder Vermarktungsstrategien. "Kein Film wird allein deswegen als Erinnerungsfilm bewertet, weil er sich eines historischen Themas annimmt" - betont Großmann, an Erll und Wodianka anknüpfend, zu Recht (259). Dementsprechend bedeutend ist das Kapitel über die Rezeptionskontexte von "Unsere Mütter, unsere Väter", "Warschau '44" und "Unser letzter Sommer". Darin konzentriert sich Großmann auf das Medienecho, das alle drei Filme in Deutschland und Polen auslösten, und rekonstruiert die diskursiven Schemata, die in den jeweiligen Rezeptionsprozessen dominierten.
Einen wichtigen Teil von Großmanns Argumentation stellen Überlegungen zu Authentisierungsstrategien dar - ihnen ist das Kapitel zu Narrationskontexten gewidmet. Dabei folgt die Verfasserin einer Tradition von Forschung, in der es die Nutzer:innen der Geschichtskultur sind, die über Authentizität bestimmen. Demnach gilt eine Darstellung von Geschichte nicht deswegen als "authentisch", weil sie "wahr" oder "getreu" den wissenschaftlichen Erkenntnissen ist, sondern weil sie als solche wahrgenommen wird. Einerseits präsentiert Großmann eine überzeugende Analyse der verwendeten Filmmittel, die zur Authentizität beitragen sollen (Verwendung von Requisiten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, Nutzung von zeitgenössischen Fotografien und so weiter.), andererseits stellt sie die jeweiligen Bilder, Motive und Symbole in den Kontext öffentlicher Debatten und visueller Diskurse in beiden Ländern. Auf diese Weise zeigt sie auf, welche Erwartungen die Zuschauer:innen an die Filme stellten.
Parallel zu den Überlegungen über die Herstellung und Nutzung von authentisch wirkenden Erinnerungsfilmen in Deutschland und Polen reflektiert Großmann die transnationale Ebene der Erinnerungskultur in beiden Ländern. Besonders überzeugend fallen die Passagen über die Koproduktionsmodelle und internationalen Vermarktungsstrategien der Produktionsfirmen aus. Diese sind gezwungen, international lesbare Motive und Narrative zu verwenden, damit die Filme internationale Finanzierung erhalten und weltweit gezeigt werden können - kaum eine europäische Produktionsfirma kann sich heute erlauben, ausschließlich für den nationalen Markt zu drehen. Dies führt zwangsläufig zu einer Schematisierung und Stereotypisierung der Erinnerungskultur, wie Großmann argumentiert.
Großmanns Buch ist ein wichtiger Beitrag zur transdisziplinären Erinnerungsforschung, die Film- und Geschichtswissenschaft sowie Diskursanalyse erfolgreich miteinander verknüpft. Zudem erklärt die Verfasserin kompetent allerlei Kontexte, die das Verstehen der komplexen Vor- und Nachgeschichten der jeweiligen Filme ermöglichen. Das Buch ist ferner klar strukturiert und in einem lesefreundlichen Stil verfasst. Die wenigen Kritikpunkte, die man nennen kann, sind das allgemeine und wenig informative Fazit sowie der (zu) große Umfang des Buches. Eine gekürzte Neuausgabe könnte zur besseren Kenntnis der nicht ganz einfachen deutsch-polnischen Erinnerung wesentlich beitragen.
Magdalena Saryusz-Wolska