Christophe Imbert (éd.): La Fortune de Cola di Rienzo. Du tribun médiéval à la légende moderne (= Rencontres; No. 578), Paris: Classiques Garnier 2023, 236 S., ISBN 978-2-406-14633-9, EUR 32,00
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Es handelt sich - mit einer Ausnahme (siehe unten, Beitrag von Anne-Laure Imbert) - um literaturwissenschaftliche Studien zur Figur des Cola di Rienzo in Geschichtsschreibung, Literatur und Comic des 18. bis 20. Jahrhunderts. Die Einleitung des Herausgebers (7-19) verortet in einem ersten, exemplarischen Durchgang Leben und Nachleben Colas zwischen zeitgenössischen Stimmen (Chronik des Anonimo Romano und Francesco Petrarca) und modernen Neudeutungen. Der selbsternannte "Tribun" entriss Rom 1347 für sieben Monate der Herrschaft des Stadtadels und kehrte 1354 als päpstlicher Senator zurück, bevor er zehn Wochen später gelyncht wurde. Da es unmöglich war, das von ihm erträumte alte Rom in der Realität des spätmittelalterlichen Italien wiederherzustellen, wurde er zum tragischen Helden und weckte dadurch (spätestens) seit dem 17. Jahrhundert die Aufmerksamkeit von Literaten, Politikern und Historikern. Diese theatralische Sendung Colas in der modernen europäischen Literatur zu verfolgen, ist Ziel des Buches.
A.-L. Imbert (21-65) analysiert Colas Einsatz von Propagandabildern. Diese temporären Bilder sind nicht erhalten, doch was zu sehen war, ist aus den Beschreibungen des Anonimo Romano bekannt. Der Aufsatz setzt sich gründlich mit der neueren Forschung (unter anderem Hans Belting) auseinander und interpretiert einige ikonografische Elemente neu, ohne freilich über den bisherigen Standard wesentlich hinauszugelangen.
Ein zweiter Beitrag des Herausgebers Christophe Imbert (67-80) thematisiert die Ambivalenz frühmoderner Deutungen des Tribunen, der einerseits als Pionier und Erneuerer (der politischen Freiheit, der Nation), andererseits als Kämpfer auf verlorenem Posten (letzter Römer, letzter Held der freien Kommune) gesehen wurde. Imbert verdeutlicht diese Spannung, indem er Giambattista Vico und Autoren des späten 18. und 19. Jahrhunderts (Edward Gibbon, Edward Bulwer-Lytton) gegenüberstellt. Vico sah in Cola einen Beleg für seine Theorie der ricorsi, hier die Wiederkehr eines heroischen Zeitalters. Für die Politik war diese zyklische Theorie produktiver als das der "Letzt"-Zuschreibung inhärente lineare Zeitkonzept.
Das 19. Jahrhundert war die heißeste Phase im Nachleben des Tribunen. Er kehrte nicht nur in historisch-politischen Abhandlungen, sondern auch in historischen Romanen und vor allem auf der Bühne wieder. Jean-Noël Pascal (80-97) stellt das französische Drama Rienzi (1826) und dessen Autor Gustave Drouineau vor, dem es vorwiegend um eine Kritik am Bonapartismus zu tun war. Christine Pouzoulet (99-123) rekonstruiert das Cola-Bild im Kreis um Madame de Staël (Groupe de Coppet). Im Zentrum stehen de Staëls Roman Corinne ou de l'Italie (1807) und die Histoire des républiques italiennes du Moyen Âge (1807-1818) des Historikers Jean de Sismondi, deren Bemerkungen zu Cola von Pouzoulet mit dem Italien-Werk (1848) des Publizisten und Historikers Edgar Quinet verglichen werden. Das ist aufschlussreich für die Diskussionen, die im juste milieu und liberalen Bürgertum über die Rolle der Geschichte für die Nationsbildung namentlich in Italien, über die Funktion der politischen Rhetorik und über die Notwendigkeit einer Imperialismuskritik geführt wurden. Colas Geschichte, von Sismondi nach der Chronik des Anonimo Romano ausführlich dargelegt, bot hierfür geeignete Stichwörter.
Mit dem Roman Rienzi the Last Tribune (1835) von Edward Bulwer-Lytton setzt sich Fiona McIntosh-Varjabédian (125-140) auseinander. Es geht hier vornehmlich um Fragen der Gattungsgrenzen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Der Roman wurde mehrfach ins Deutsche übersetzt und war für die Cola-Rezeption in Deutschland nicht zuletzt deshalb wichtig, weil er als Vorlage für Richard Wagners Libretto zu seiner Oper Rienzi (1842) diente. Mit diesem Libretto, vor allem aber mit der erstaunlichen Zahl von deutschen Theaterstücken zum selben Stoff - sieben allein zwischen 1831 und 1848 - beschäftigt sich Jean-François Candoni (141-163). Eines dieser Stücke ist ein zweites, allerdings nie aufgeführtes Opernlibretto: Sein Verfasser war der junge Friedrich Engels (1841). Die Figur Colas sprach dem liberalen und revolutionären Bürgertum aus der Seele: antiaristokratischer Kämpfer für Freiheit und Einheit der Nation, für Nationsbildung durch Wiedererweckung einer großen Vergangenheit, für eine Verfassung, für freien Handel - eine historische Person, in die man all dies hineinlesen konnte, war im Vormärz gut zu gebrauchen, auch wenn Colas tyrannische Versuchungen und sein Scheitern nicht verschwiegen wurden.
Die beiden letzten Beiträge wenden sich dem 20. Jahrhundert zu. Jan Nelis (165-179) geht der Cola-Rezeption im italienischen Faschismus nach, die trotz (oder eher: wegen) gewisser Parallelen im politischen Leben des Tribunen und des Duce wenig intensiv war. Nah an die Gegenwart führt das close reading, dem Philippe Maupeu (181-202) die im Spätmittelalter spielende Comic-Serie Vasco (1983-2009) von Gilles Chaillet unterzieht. In vier Bänden ist Cola di Rienzo die Hauptfigur; seine Geschichte wird präzise erzählt, wenn auch nicht ohne Zugeständnisse an verbreitete Mittelalterklischees. Allerdings scheint es Chaillet weder zeichnerisch noch in der Erzählung zu gelingen, Historie und Fiktion auf anregende Weise interagieren zu lassen, weil die von Colas Phantasmen repräsentierte fiktionale Perspektive stets vom Postulat korrekter historischer Rekonstruktion dominiert wird.
Die (vermutlich von Ch. Imbert verfasste) Conclusion (203-212) resümiert ausgewählte Ergebnisse unter den Aspekten "Geschichte", "Spektakuläres" (im Sinn von medialer Inszenierung und Theater) und "Literatur". Der Band dürfte vor allem Literaturwissenschaftler ansprechen, und auf diesem Feld sind die Beiträge von Ch. Imbert, Ch. Pouzoulet, J.-F. Candoni und - sofern man sich für Comics interessiert - Ph. Maupeu hervorzuheben. Für die Mittelaltergeschichte gibt er hingegen weniger her. Wer über die Mittelalterrezeption in der Moderne arbeitet, kann ohne Zweifel neues Material finden, denn die bisherigen Arbeiten zum Nachleben Colas hatten ihren Schwerpunkt auf Italien und Highlights wie Wagners Rienzi. [1]
Negativ zu Buche schlagen jedoch diverse handwerkliche Probleme. Abgesehen davon, dass der Band auf eine Tagung von 2013(!) zurückgeht und nur sehr wenige neuere Titel in die Bibliografien der Beiträge und in die Auswahlbibliografie am Ende aufgenommen wurden, und abgesehen von Druckfehlern und Lücken (z.B. fehlt das Buch von Gustav Seibt zum Anonimo Romano), ist vor allem der Umgang mit den historischen Hauptquellen zu monieren. Der Anonimo sollte ausschließlich nach der Edition von Giuseppe Porta und nicht nach älteren Teileditionen der Vita des Cola di Rienzo zitiert werden; die fünfbändige Edition der Cola-Briefe von Konrad Burdach und Paul Piur wird nicht ernsthaft benutzt, nur hin und wieder erwähnt und nur unvollständig bibliografisch nachgewiesen. Das Ausblenden der Briefzeugnisse ist ein Symptom dafür, dass der Begriff der 'historischen Quelle' von den Autoren des Bandes nicht gründlich reflektiert wird. Ihr Kronzeuge für die Realität des 14. Jahrhunderts ist die Chronik des Anonimo; sie allein, allenfalls sporadisch unterstützt von den Briefen Petrarcas an Cola, bürgt für den historischen Hintergrund, vor dem die späteren literarischen oder politischen Deutungen Colas zu lesen sind. Dabei hätten die modernen historischen Studien zu Cola, die in dem Band ja durchaus verwertet werden, viele Hinweise auf weitere Quellen bereitgehalten. Wenigstens hätte ein Fachhistoriker mit einem Resümee des neuesten historischen Forschungsstands zu Cola di Rienzo betraut werden können. Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass aus literaturwissenschaftlicher Perspektive nur jene historischen Quellen relevant seien, die den hier behandelten Autoren des 18.-20. Jahrhunderts tatsächlich bekannt waren. Aber dann hätte jeder Beitrag akribisch nachweisen müssen, auf welche Texte und welche Editionen sich die behandelten Dramen, Libretti, Romane oder Traktate stützen. Dies geschieht aber nur selten und nie mit der notwendigen Genauigkeit. Alles in allem mag La Fortune de Cola di Rienzo aus literaturwissenschaftlicher Sicht zumindest teilweise ein Gewinn sein; die Methodendiskussion um das Verhältnis von Geschichte und Literatur bringt der Band jedoch nicht voran.
Anmerkung:
[1] Für Tommaso Di Carpegna Falconieri: Cola di Rienzo, Roma 2002, 217-259, stimmt das nur bedingt, denn er beachtet neben historiografischen Studien nicht nur italienische, sondern auch deutsche und französische literarische Werke; ferner Cola di Rienzo. Dalla storia al mito, hg. von Gabriele Scalessa, Roma 2009.
Thomas Frank