Gregor Hofmann: Mitspieler der "Volksgemeinschaft". Der FC Bayern und der Nationalsozialismus, Göttingen: Wallstein 2022, 525 S., 19 Abb., 12 Tbl., ISBN 978-3-8353-5261-2, EUR 28,00
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Trotz der sportlichen wie finanziellen Dominanz, die der FC Bayern München seit Jahrzehnten im deutschen Fußball ausübt, gab es einen Bereich, in dem er im Vergleich zur sportlichen Konkurrenz allenfalls zweitklassig war. Während der DFB und große Clubs ab der Jahrtausendwende damit begannen, ihre eigene Geschichte in der NS-Zeit aufarbeiten zu lassen, erachtete es der deutsche Rekordmeister lange Zeit als nicht erforderlich, sich in wissenschaftlicher Form diesem Kapitel seiner Geschichte zuzuwenden. Zu schlagend schienen die Anhaltspunkte dafür zu sein, dass der FC Bayern nichts aufzuarbeiten hatte. Aufgrund einiger Juden, die bis 1933 Führungspositionen bekleideten, war es Konsens, dass er zu den "Opfern" des NS-Regimes gehörte: Weitgehend frei von NSDAP-Mitgliedern und als "Judenclub" gebrandmarkt, sei er gegenüber dem Lokalrivalen TSV München von 1860 stark benachteiligt worden.
Markwart Herzog, Direktor der Schwabenakademie Irsee, fand hingegen in einigen Archiven starke Indizien dafür, dass es sich hierbei um einen der vielen politischen Fußball-Mythen handelt. Ab 2016 von ihm veröffentlichte Erkenntnisse [1] erregten derart große Aufmerksamkeit, dass der FC Bayern in die für ihn ungewohnte Defensive geriet. Er befreite sich daraus, indem er das Institut für Zeitgeschichte beauftragte, seine Geschichte in jener Zeit auf wissenschaftlicher Grundlage zu erforschen. Gregor Hofmann erhielt dadurch die Möglichkeit, dieses Thema im Rahmen eines rund dreijährigen Dissertationsprojektes zu bearbeiten.
Das nun vorliegende Buch ist insofern spannend, als Hofmann in den Archiven viele unbekannte Dokumente ausgegraben hat, durch die es ihm gelingt, in sieben dichten Kapiteln das Narrativ vom liberalen "Judenclub" und systematisch diskriminierten "Opfer" des NS-Regimes zu dekonstruieren. 1900 aus der Münchner Stadtgesellschaft entstanden, pflegte der Verein ein kulturelles Leitbild, das von "Bürgerlichkeit" (29) gekennzeichnet war. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte er sich zu beachtlicher Größe. 1928 zählte der FC Bayern mehr als 1600 Mitglieder, die dort nicht nur dem Fußballspiel, sondern auch anderen Sportarten wie dem Turnen oder dem Skifahren nachgingen. Der Anteil der Juden im FC Bayern lag 1933 mit etwa 10 Prozent über dem Münchner Bevölkerungsdurchschnitt. Der Bekannteste unter ihnen war Kurt Landauer, der als Präsident des Vereins in den 1920er Jahren wesentlich zur "Professionalisierung auf und neben dem Platz" (42) und damit zur ersten deutschen Meisterschaft (1932) beitrug.
Dennoch verhielt sich der Verein, in dem viele bereits vor 1933 der NSDAP angehörten, zum NS-Regime ähnlich wie der DFB oder die anderen in ihm organisierten Vereine. Zwar ging der FC Bayern später als manch anderer Club dazu über, seine jüdischen Mitglieder auszuschließen. Dennoch hatte auch er schon im Frühjahr 1933 mit der "Selbstmobilisierung im Zeichen der 'Volksgemeinschaft'" (107) begonnen. Sie äußerte sich beispielsweise in zahllosen Sympathiebekundungen für die neuen Machthaber und in der frühen Übernahme des "Führerprinzips". Zwar litt der Verein insofern unter den neuen Verhältnissen, als ihm durch den Ausschluss seiner Juden wichtige menschliche Ressourcen verloren gingen. Aber für eine besondere Benachteiligung seitens der NS-Behörden oder der örtlichen Presse fand Hofmann keine Anhaltspunkte, stattdessen Belege für Wohlwollen und Förderung.
Die Studie zeichnet sich nicht nur durch die überzeugende Dekonstruktion des Opfer-Narrativs aus, sondern auch durch einen Detailreichtum, mit dem die große Bandbreite teilweise sehr unterschiedlicher Verhaltensweisen der Bayern-Mitglieder unter dem NS-Regime veranschaulicht wird. Damit einher geht allerdings eine Überbetonung damaliger "Handlungsspielräume", die Hofmann aus der privilegierten Position eines Historikers beschreibt, der um die gesamte Geschichte weiß. So pädagogisch wichtig und richtig dies auch sein mag, führt es bisweilen zu einer ahistorischen Perspektive, die "rückprojizierte Muster" verwendet und dadurch damalige Horizonte ignoriert. [2]
Symptomatisch für diese Verkennung damaliger Horizonte und anderer Orientierungsmuster ist Hofmanns schroffe Zurückweisung des "Eigenwelt"-Begriffs, den Christiane Eisenberg unter anderem mit Blick auf die Olympischen Spiele von 1936 in die Sportgeschichte eingeführt hat. [3] Er missversteht ihn als die Vorstellung von einem "unpolitischen" Sport, der "sich den Bedeutungszusammenhängen der umgebenden Welt zu entziehen vermag" (17). Dabei bringt "Eigenwelt" lediglich zum Ausdruck, dass Sportakteure anderen Vorstellungen, Regeln und Zielen folgen als (partei-)politische Akteure, die vor allem in totalitären Systemen danach streben, den Sport für "unsportliche" Ziele zu vereinnahmen. Plastischer ausgedrückt: Ein Spieler oder Funktionär geht seiner Tätigkeit im Spitzenfußball nicht in der primären Absicht nach, politische Programme oder gesellschaftliche Leitbilder zu verwirklichen, sondern um zum Sieg seines Clubs auf dem Platz beizutragen.
Aufgrund dieses fehlenden Verständnisses für eine vorrangig auf Höchstleistung und Erfolg ausgerichtete Mentalität neigt Hofmann an manchen Stellen dazu, die Protagonisten des runden Leders auf das Politisch-Weltanschauliche zu reduzieren. Daraus ergibt sich beispielsweise seine Fehlinterpretation des Streites um die Einführung des Profifußballs, der Anfang der 1930er Jahre in Deutschland mit harten Bandagen geführt wurde. Diesen Konflikt als "Auseinandersetzung um den Sinn des Sports" (58) zu deuten und ihn dadurch auf eine transzendente Ebene zu heben, ist allein deshalb nicht haltbar, weil jede Seite ihre profanen Motive unmissverständlich formulierte: Die Vorstände und Geschäftsführer der großen Clubs waren mehrheitlich für die offizielle Zulassung des auch in Deutschland längst existierenden Berufsfußballs, um in der Schattenwirtschaft der Profispieler nicht mit dem Strafrecht in Konflikt zu geraten; die wirklichen Hobbyspieler in den großen und kleinen Vereinen sowie der DFB sprachen sich dagegen aus, weil sie für sie mit dem Verlust der Gemeinnützigkeit, der Streichung von Steuerprivilegien sowie der Gefahr einer weiteren organisatorischen Zersplitterung des deutschen Fußballs verbunden gewesen wäre. [4] Die Annahme, dass die Vereine mit ihren hohen Personal- und Sachkosten fundamentale Entscheidungen über ihre finanziellen und rechtlichen Grundlagen von der metaphysischen Sinnsuche einzelner Personen abhängig gemacht hätten, verkennt die Dynamik des bereits damals kommerzialisierten Spitzenfußballs.
Solche Einwände stellen nicht infrage, dass Hofmanns Arbeit eine große Bereicherung für die Erforschung des deutschen Fußballs im "Dritten Reich" darstellt. Die breite Quellengrundlage, die vielen neuen Einsichten in bislang unbekannte Zusammenhänge und die gute Lesbarkeit machen das Buch zu einer empfehlenswerten Lektüre: Der FC Bayern ist nun auch hinsichtlich der wissenschaftlichen Aufarbeitung seiner nationalsozialistischen Vergangenheit erstklassig.
Anmerkungen:
[1] Markwart Herzog: Die drei "Arierparagrafen" des FC Bayern München. Opportunismus und Antisemitismus in den Satzungen des bayerischen Traditionsvereins, in: Die "Gleichschaltung" des Fußballsports im nationalsozialistischen Deutschland, hg. von Markwart Herzog, Stuttgart 2016, 75-113.
[2] Vgl. Uwe Danker: Horizonterweiterung der NS-Vermittlung? Das geschichtsdidaktische Potenzial des zeitgenössischen Begriffs und historischen Analysekonzepts Volksgemeinschaft, in: Die NS-Volksgemeinschaft. Zeitgenössische Verheißung, analytisches Konzept und ein Schlüssel zum historischen Lernen? hrsg. von Uwe Danker / Astrid Schwabe, Göttingen 2017, 69-88, hier: 86.
[3] Christiane Eisenberg: "English sports" und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800-1939, Paderborn u.a. 1999.
[4] Vgl. dazu unter anderem die von Hofmann nicht berücksichtigten, mit zahlreichen Literaturverweisen und neuen Quellen unterlegten Erkenntnisse von André Bialk / Erik Eggers: Die "Affäre Eidinger". Zur Premiere des Profifußballs auf dem europäischen Kontinent 1920, in: Stadion. Internationale Zeitschrift für Geschichte des Sports 44 (2020), 255-299.
Nils Havemann