Rezension über:

Jane Freeland: Feminist Transformations and Domestic Violence Activism in Divided Berlin, 1968-2002, Oxford: Oxford University Press 2022, 239 S., 4 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-726711-0, GBP 75,00
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Rezension von:
Sophia Dafinger
Universität Augsburg
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Sophia Dafinger: Rezension von: Jane Freeland: Feminist Transformations and Domestic Violence Activism in Divided Berlin, 1968-2002, Oxford: Oxford University Press 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 3 [15.03.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/03/37590.html


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Jane Freeland: Feminist Transformations and Domestic Violence Activism in Divided Berlin, 1968-2002

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"This is a book about feminism in Germany after 1968": Mit diesem ersten Satz lässt Jane Freeland keinen Zweifel daran, wie sie ihren Forschungsgegenstand - die häusliche Gewalt im doppelten wie wiedervereinigten Deutschland - analytisch einordnet. Häusliche Gewalt interessiert sie als zentrales Thema feministischer Bewegungen in Ost und West. Dabei berühren die Initiativen von feministischen Aktivistinnen, Gewalt gegen Frauen einzuhegen, die Rechtsgeschichte, die Protestgeschichte und die Geschichte der Neuen Sozialen Bewegungen; Freeland erzählt eine moderne Politikgeschichte. In sechs Kapiteln entfaltet die Autorin die an Gleichzeitigkeiten, Uneindeutigkeiten und Widersprüchlichkeiten nicht arme Geschichte des Feminismus in den beiden deutschen Staaten und in der wiedervereinigten Bundesrepublik seit den späten 1960er Jahren.

Damit hebt sie sich von der bisherigen Forschung in mehrfacher Hinsicht ab. Dass am Beispiel Berlins über die Zäsur von 1989/90 hinweg drei deutsche Staaten und sowohl Demokratie als auch Diktatur in den Blick genommen werden, ist ein wichtiges Verdienst ihrer Perspektive. Dazu kommt, dass Freeland "race" nicht nur in einem Nebensatz abhandelt, sondern zu einer leitenden Analysekategorie macht. Indem sie die Intersektionalität diskriminierender Kategorien nicht einebnet, sondern im Gegenteil analytisch klar benennt, fügt ihre Darstellung früheren Veröffentlichungen zur Geschichte des Feminismus in Deutschland eine Reihe an neuen Erkenntnissen hinzu.

Die Darstellung referiert auf den ersten fünfzig Seiten ausführlich die vorliegende Forschung zur Rolle der Studentenbewegung in der Neubelebung eines feministischen Aktivismus in der alten Bundesrepublik. Auch der Protest gegen den § 218, den sogenannten Abtreibungsparagraphen, wird aus der Literatur zusammengefasst. Beginnend mit dem zweiten Kapitel, das sich mit der Eröffnung des ersten Frauenhauses auf deutschem Boden im November 1976 beschäftigt, wird die Darstellung quellengesättigter. Das Engagement der rund zehn Sozialwissenschaftlerinnen und professionellen Sozialarbeiterinnen deutet Freeland als den Versuch, nach dem Vorbild vergleichbarer Initiativen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten häusliche Gewalt als feministisches Thema zu konturieren, indem sie staatliche Hilfs- und Sicherungssysteme als unzureichend brandmarkten und die Not misshandelter Frauen als Ausdruck eines sozialen Missstands deuteten. Anders als in Großbritannien sollten Frauenhäuser in Westdeutschland nicht privat durch Spenden finanziert, sondern es sollte der (Sozial-)Staat in die Pflicht genommen werden. Die Kommunikation in eine breite Öffentlichkeit prägte deshalb von Anfang an die Agenda der Frauen, und die westdeutsche Presse reagierte bereitwillig, wenn sie auch nicht in jedem Fall die feministische Zielrichtung unterstützte.

Gleichsam in einem Dreieck waren Feminismus/Aktivismus, Medien und Politik aufeinander bezogen. Freeland zeigt, wie zentral das in der Öffentlichkeit gezeichnete Bild für die Gewährung oder Verweigerung finanzieller Hilfen und für die Bereitschaft von Politikerinnen und Politikern war, das Anliegen der Frauenhausbewegung parlamentarisch zu unterstützen. Aus diesem Grund stand die ursprünglich feministisch geprägte westdeutsche Frauenhausbewegung, so wird in Freelands Darstellung deutlich, in den späten 1970er Jahren vor der Wahl, entweder weiterhin auf die umfassende Gleichstellung der Geschlechter hinzuwirken oder aber ihre Arbeit auf die Linderung existenzieller Not zu begrenzen, Frauen weitgehend als (hilflose) Opfer zu zeichnen und dafür auf Unterstützung aus allen politischen Lagern zu hoffen. Denn schnell zeigte sich in West-Berlin, dass für einen Großteil der Gesellschaft bereits die Überzeugung radikal genug war, dass misshandelte Frauen überhaupt Zugang zu einem geschützten Ort und Unterstützung haben sollten, um ihren Ehemann verlassen zu können. Freeland schreibt so der frühen Frauenhausbewegung in der Bundesrepublik einerseits das Verdienst zu, häusliche Gewalt als Problem benannt und den Betroffenen eine Sprache gegeben zu haben, andererseits macht sie deutlich, wie stark deren ursprüngliche Ziele zu diesem Zweck abgeschliffen wurden. Freeland nennt das den "cost of success".

Besonders eindringlich kann die Autorin zeigen, dass die Aktivistinnen eine rassistisch geprägte Vorstellung perpetuierten, die davon ausging, dass in den (muslimischen) Herkunftsländern der westdeutschen Migrantencommunities, insbesondere in der Türkei, in jeder Familie strikt patriarchale Strukturen vorherrschten. So wurde in Publikationen und öffentlichen Reden der "fremde" Mann als ständige Bedrohung für Frauen innerhalb und außerhalb seiner Wohnung gezeichnet. Zugleich formulierten die Frauenhausaktivistinnen deutliche Kritik an der Einwanderungsgesetzgebung, die Frauen dazu zwang, vier Jahre lang verheiratet zu bleiben, wenn sie ihre Aufenthaltsgenehmigung über den rechtlichen Status ihres Ehemanns erhalten hatten. [1] Migrantische Aktivistinnen kritisierten seit den 1980er Jahren zunehmend deutlich, dass zugewanderte Frauen im westdeutschen Feminismus überwiegend als Opfer gezeichnet, instrumentalisiert und kontrolliert wurden, während sich die Frauenhausbewegung um die spezifischen Probleme, die etwa mit einem ungeklärten Aufenthaltsstatus oder mangelnden Sprachkenntnissen verbunden waren, kaum interessierte. Weil "Frau-Sein" nicht die einzige Kategorie in einem System struktureller Machtverhältnisse war, wie die migrantischen Aktivistinnen betonten, engagierten sie sich für eigene Räume für zugewanderte und misshandelte Frauen. Gerade diese Kapitel des Buches fügen der Forschung zur zweiten Frauenbewegung bereichernde Erkenntnisse hinzu.

Für Ost-Berlin und damit die DDR zeigt Freeland, dass es die Ideologie vollkommener Gleichwertigkeit im Sozialismus schwierig machte, häusliche Gewalt zu bekämpfen. Zwar war sie de facto kein Tabu, doch sie wurde, nicht zuletzt vor den Scheidungsgerichten, stets mit dem Wert der heteronormativen Familie für den Sozialismus verknüpft und das individuelle Leiden der Frau so in die zweite Reihe verwiesen. "Wer seine Frau schlägt, schlägt die Genossenschaft" lautete etwa ein 1962 erschienener Artikel in der SED-Zeitung "Neues Deutschland". Erst ab Mitte der 1980er Jahre entstand in der DDR eine kritische Debatte über Gewalt in der "sozialistischen Familie", nun als Vehikel der Kritik am Regime. Freeland kann zeigen, dass der durchaus relevante Aktivismus (fast 200 Frauengruppen existierten zwischen 1982 und 1989) mit einer grundsätzlichen Delegitimierung des Staates verknüpft war, indem er offen zu erkennen gab, dass der Staatssozialismus Frauen und Männer mitnichten gleichstellte. Die Autorin argumentiert auf empirischer Basis überzeugend, dass es in der DDR sehr wohl eine, nicht zuletzt von der praktischen Arbeit der Caritas getragene, Frauenhausbewegung gegeben habe, die anders als ihr westdeutscher Counterpart gerade nicht mit dem Staat, sondern gegen ihn arbeitete, und die - auch das ein großer Unterschied zur Bonner Republik - gemeinsam mit Männern daran ging, das Ausmaß von geschlechtsspezifischer Gewalt zu erfassen und Strategien zu ihrer Bekämpfung zu entwickeln.

Die Wiedervereinigung führte schließlich zu einer Verbindung west- und ostdeutscher feministischer Initiativen, die nun gemeinsam erfolgreich auf die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe hinwirkten und das sogenannte Gewaltschutzgesetz auf den Weg brachten, das 2001 vom Bundestag verabschiedet wurde. Weniger erfolgreich waren sie bekanntlich mit ihrer Agenda einer Reform des Abtreibungsrechts. Diesen feministischen Misserfolg erklärt Freeland mit der Persistenz des bipolaren Geschlechterrollenmodells: Das Bild der geschlagenen Ehefrau sei sehr viel stärker an klassischen Geschlechterrollen orientiert gewesen als das der vermeintlich promiskuitiven, ungewollt Schwangeren.

Jane Freeland hat ein anspruchsvolles Buch über ein zu Unrecht nach wie vor als Addendum betrachtetes Feld der Gesellschaftsgeschichte des doppelten Deutschlands und der wiedervereinigten Bundesrepublik geschrieben. Sie zeigt, dass die Analyse der Interaktionen zwischen, erstens, feministischen Aktivistinnen, zweitens, Medienvertreterinnen und Medienvertretern, drittens, staatlichen Akteurinnen und Akteueren und, viertens, den Adressat:innen der Gewaltschutzinitiativen zentrale Fragen der deutschen Geschichte seit den 1960er Jahren schärfen und manchen blinden Fleck ausleuchten kann. Wie kann eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte geschrieben werden, die die Bedeutung von Geschlecht konsequent in die Analyse einbezieht? Sich mit dieser Frage ernsthaft zu beschäftigen, dazu lädt Freelands Buch unbedingt ein.


Anmerkung:

[1] Vgl. hierzu ausführlich die aktuelle Studie von Lauren Stokes: Fear of the Family. Guest Workers and Family Migration in the Federal Republic of Germany, Oxford 2022.

Sophia Dafinger