Torsten Konopka: Deutsche Blauhelme in Afrika. Die Bundesrepublik Deutschland und die Missionen der Vereinten Nationen Anfang der 1990er Jahre (= Bundeswehr im Einsatz; Bd. 5), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023, 780 S., 8 Farb-Abb., ISBN 978-3-525-30239-2, EUR 65,00
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Jörn Leonhard: Über Kriege und wie man sie beendet. Zehn Thesen, München: C.H.Beck 2023
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Heinz Duchhardt: Friedens-Miniaturen. Zur Kulturgeschichte und Ikonographie des Friedens in der Vormoderne, Münster: Aschendorff 2019
Nicolas Badalassi / Sarah Snyder (eds.): The CSCE and the End of the Cold War. Diplomacy, Societies and Human Rights, 1972-1990, New York / Oxford: Berghahn Books 2019
Markus Götz: "Hier ist Krieg". Afghanistan-Tagebuch 2010. Im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr herausgegeben von Christian Hartmann, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021
Michael Cotey Morgan: The Final Act. The Helsinki Accords and the Transformation of the Cold War, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2018
Im Strategischen Konzept der North Atlantic Treaty Organization (NATO) vom November 1991 galten nicht mehr der (kurz zuvor aufgelöste) Warschauer Pakt und seine Zentralmacht UdSSR/Russland als Hauptbedrohung, vielmehr die gewaltdurchtränkte Instabilität in Ländern in verschiedenen Weltregionen. Damit verschoben sich die militärischen Prioritäten von der Landes- und Bündnisverteidigung zu Stabilisierungseinsätzen außerhalb des NATO-Gebiets. Ein damals verbreiteter und folgenschwerer Irrtum besagte, dass die anstehenden Umstrukturierungen der westlichen Streitkräfte nach dem Ende des Kalten Kriegs sich ohne weiteres mit Kürzungen der Militärhaushalte vereinbaren ließen. Auch die verschiedenen Bundesregierungen beschnitten in den Folgejahren ihre Militärausgaben merklich. Anders aber als in den übrigen NATO-Staaten waren hierzulande - aus nachvollziehbaren historischen Gründen - weder die Öffentlichkeit noch das politische System auf die neuen militärischen Aufgaben vorbereitet. Die Bundeswehr stand nach der Übernahme der Nationalen Volksarmee (NVA) und den Vorgaben des Zwei-plus-Vier-Vertrags zudem vor enormen Anpassungsproblemen. Die Bundesregierung betrachtete nach 1990 die Vereinten Nationen als besonders wichtige Arena der internationalen Politik. In dieser Arena mit größerem Gewicht aufzutreten, war ihr proklamiertes Ziel, weshalb es auch seit 1992 den höflich, aber hartnäckig vorgetragenen Wunsch nach einem Ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) gab.
Die ausgezeichnete Potsdamer Dissertation (2021) von Torsten Konopka untersucht die ersten wenig trittfesten Schritte der deutschen Sicherheitspolitik nach 1990 und die damit verbundenen Versuche, Deutschland als eine verlässliche und verantwortungsbereite Stabilisierungs- und Ordnungsmacht im multinationalen Rahmen neu zu positionieren. Zugleich nimmt der Autor die Anstrengungen der Bundeswehr in den Blick, den ungewohnten militärischen Anforderungen von Auslandseinsätzen personell und materiell gerecht zu werden. Als Ziel seiner ambitionierten Studie bezeichnet Konopka die akteurbasierte Rekonstruktion, Analyse und Interpretation der Entscheidungs- und Anpassungsprozesse hinsichtlich der Beteiligung an peace keeping-Missionen der Vereinten Nationen und der Bereitstellung von Truppen auf politischer, bürokratischer und militärischer Ebene. Dabei greift er auf den bureaucratic politics approach zurück, wonach staatliches Handeln zuvorderst als das Ergebnis permanenter Aushandlungen zwischen relevanten innerstaatlichen Akteuren mit ihren jeweils eigenen Prioritäten und Interessen interpretiert wird. Zu den hier besonders in den Blick genommenen Akteuren zählen die zuständigen Ministerien für Äußeres, Verteidigung, Justiz und Inneres sowie das Bundeskanzleramt, jeweils differenziert nach Führungs- und Arbeitsebene. Auch die deutsche Vertretung bei den Vereinten Nationen wird als Akteur mit eigenen, sich von der Zentrale des Auswärtigen Amts in einigen Punkten unterscheidenden Vorstellungen identifiziert.
Materialgrundlage der Studie sind hauptsächlich die Akten der zuständigen Ministerien, die der Autor mit bewundernswerter Akribie ausgewertet hat. Auch in der gedruckten Literatur zum Thema kennt er sich bestens aus. Außerdem hat er über 50 Zeitzeugengespräche mit Politikern, Diplomaten, ehemaligen Bundeswehrangehörigen und Polizisten geführt. Deren Gewicht relativiert er selbst allerdings mit dem bemerkenswerten Satz, dass die Zeitzeugen sich oft nicht mehr exakt und detailliert an die damaligen Entscheidungsprozesse der untersuchten Fallbeispiele erinnerten.
Untergliedert ist die Arbeit in sechs unterschiedlich umfangreiche Kapitel. Auf die knappe und den Untersuchungsrahmen sowie die Quellenlage vorstellende Einleitung folgt eine ebenfalls kurz gehaltene Skizze des politischen Kontexts und wichtiger Begriffsbestimmungen. Vorgestellt werden die VN-Politik der Bundesregierungen zwischen 1973 und 1990, ihre Afrikapolitik bis zu den 1990er Jahren, die Beschreibung von VN-Missionen im Allgemeinen und schließlich die Begriffe Einsatz und out of area in der regierungsamtlichen Sprache jener Jahre. Im nächsten Kapitel beschreibt Konopka die Grundeinstellung der Bundesregierungen zu VN-Missionen bis 1989 und die nach der Vereinigung Deutschlands vorgenommene Kurskorrektur in der Absicht, eine gewichtigere weltpolitische Rolle zu übernehmen, damals und bis heute ausgedrückt mit der leicht euphemistischen Formel "mehr Verantwortung übernehmen". Das vierte und mit Abstand längste Kapitel bildet den Schwerpunkt der Untersuchung. Hier geht es um die Beteiligung deutscher Soldaten und Polizisten an VN-Missionen in Afrika (Namibia, Westsahara, Somalia und Ruanda). Im anschließenden Kapitel kommt der Autor dann auf jene afrikanischen VN-Missionen im Untersuchungszeitraum zu sprechen, an denen sich Deutschland trotz entsprechender Anfragen aus New York nicht beteiligt hat (in Angola, Mosambik und Liberia). Gefragt wird jeweils nach den Gründen und Hintergründen für die Entscheidung zur Beteiligung oder Nichtbeteiligung. Im kurzen Schlusskapitel werden die Ergebnisse der Untersuchung noch einmal zugespitzt zusammengefasst.
Konopkas große Stärke liegt darin, das Neben- und oft auch Gegeneinanders der Handlungsmotive und Prioritäten der verschiedenen am Entscheidungsprozess beteiligten Ministerien behutsam und kompetent aufzudröseln. Bis zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 herrschte zudem allgemeine Unklarheit darüber, ob militärische VN-Missionen vom Grundgesetz gedeckt waren. Außerdem galt: Wenn schon Soldaten eingesetzt würden, dann so wenig martialisch wie möglich und am besten nur in sogenannten sicheren Umgebungen. Dem Autor ist ein problemadäquates Bild von den Schwierigkeiten gelungen, die deutsche Sicherheitspolitik und die Bundeswehr-Struktur auf die neue regional- und weltpolitische Unübersichtlichkeit der post-bipolaren Weltpolitik einzustellen. Kritische Anmerkungen zum Handeln der Akteure damals werden in gelassenem Ton nicht ausgespart. Ein weiterer Ertrag der Studie ist der Nachweis, dass bei Entscheidungen über die Beteiligung an humanitären VN-Missionen letztlich immer innenpolitische Argumente und nationale Interessen ausschlaggebend waren. Der Zuschnitt des Themas ist im Kern überzeugend. Als platzsparende Alternative hätte sich die Konzentration auf die Beteiligung des deutschen Unterstützungsverbandes an der VN-Mission UNOSOM II in Somalia angeboten. Bei den anderen der beschriebenen deutschen Beteiligungen handelte es sich um Polizei und Bundesgrenzschutz.
In den letzten drei Jahrzehnten haben sich die seinerzeit großen Hoffnungen auf die Durchsetzung von Stabilität und Frieden mithilfe multilateraler VN-Missionen weitgehend verflüchtigt. Spätestens seit dem militärischen Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 und den folgenden Kriegsereignissen sind Deutschland und die NATO wiederum zu einem sicherheitspolitischen und militärstrategischen Umdenken gezwungen. Nun steht jedenfalls in Europa die lange vernachlässigte Landes- und Bündnisverteidigung wieder an der Spitze der sicherheits- und militärpolitischen Zielvorgaben.
Wilfried von Bredow