Colonna Vittoria: Selected Letters, 1523-1546: A Bilingual Edition. Edited and annotated by Veronica Copello. Translated by Abigail Brundin (= The Other Voice in Early Modern Europe: The Toronto Series), Chicago: University of Chicago Press 2022, XIV + 1 S., 4 Farbabb., ISBN 978-1-64959-028-2, USD 48,95
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Diese Publikation ist schon der 88. Band der verdienstvollen Reihe "The Other Voice in Early Modern Europe", die seit vielen Jahren überwiegend vergessene literarische Texte von Autorinnen der Frühen Neuzeit herausgibt. Diese Neueditionen werden in der Originalsprache und häufig auch in englischer Übersetzung veröffentlicht und somit einem breiteren Publikum zugänglich gemacht.
Vittoria Colonna, 1492 in Marino bei Rom geboren, war eine sehr bekannte Dichterin, geschätzte Gesprächspartnerin und außerdem an den politischen und religiösen Auseinandersetzungen ihrer Epoche beteiligt. Sie gehörte der römischen Adelsfamilie der Colonna an, die so einflussreich und mächtig war, dass sich die Päpste um ihre Gunst bemühten. Vittorias Heirat mit Ferrante Francesco D'Avalos, Marchese di Pescara, einem der bekanntesten und angesehensten Condottieri aus kastilischem Adel, fand 1507 auf dem Schloss der Familie des Bräutigams auf Ischia statt und war - wie üblich - lange vorher geplant gewesen. Die Colonnas wie auch der Ehemann Vittoria Colonnas hatten sich ganz der kaiserlichen Sache verschrieben. In der legendären Schlacht von Pavia 1525 war D'Avalos maßgeblich am Sieg Kaiser Karls V. beteiligt. Im gleichen Jahr starb er allerdings an den Folgen einer Verwundung, und dieser Verlust des geliebten Ehemanns war für Vittoria Colonna ein großer Einschnitt und eine radikale Wende in ihrem Leben. Sie übernahm das Erbe und die Verwaltung der Besitztümer ihres Ehemannes und war von nun an mit administrativen und politischen Aufgaben betraut.
Die vorliegende Auswahl von vierzig Briefen Vittoria Colonnas an unterschiedliche Empfänger setzt im Jahr 1523 ein, also zwei Jahre vor dem Tod ihres Mannes. Sechs Briefe fallen auf diesen kurzen Zeitraum. Die Mehrheit der Briefe umfasst die Jahre 1525 bis 1546, die Briefe reichen somit bis kurz vor ihren Tod am 25. Februar 1547. Ein Schwerpunkt lässt sich in den 1540er Jahren feststellen, denn die Hälfte der edierten Briefe datiert aus den letzten sechs Lebensjahren Vittoria Colonnas. Man kann davon ausgehen, dass der Zeitraum dieser Briefe aus ihrer letzten Lebensphase auch ihre literarische Hauptschaffenszeit gewesen ist. Aus der Zeit vor 1525, also vor ihrer Witwenschaft, sind keine literarischen Werke bekannt, auch wenn zeitgenössische Quellen sie bereits als bekannte Poetin erwähnen. Erst um 1535 erscheinen ihre Werke im Druck, vermittelt und unterstützt durch Pietro Bembo. Der männliche Befürworter war unerlässlich und bot die notwendige Legitimation für die Veröffentlichung des Werks einer Autorin. Der Schritt einer Autorin in die Öffentlichkeit durch die Publikation ihrer Werke war nur vor oder nach der Ehe möglich. Wir beobachten ähnliche Muster bei Moderata Fonte oder Lucrezia Marinella, die wenige Jahrzehnte nach Colonna mit eigenen Schriften in die Öffentlichkeit traten. Die Briefauswahl deckt somit vor allem die Zeit ab, in der Vittoria Colonna im literarischen Rampenlicht stand.
Unter den Empfängern finden sich die bekanntesten und einflussreichsten politischen, religiösen und literarischen Persönlichkeiten ihrer Epoche. Dazu gehört Kaiser Karl V. (6. Brief vom 1. Mai 1524), der Vittoria Colonna 1536 in Rom besuchte. Oder die gleichaltrige Marguerite d'Angoulême, Königin von Navarra (20. Brief vom 15. Februar 1540), mit der sie eine lange Freundschaft verband. Erwähnt seien noch Papst Paul III. (17. Brief vom 16. September 1538), die Literaten Baldassare Castiglione und Pietro Aretino sowie mehrere Briefe an Pietro Bembo. Unter den Adressaten finden sich auch einige Empfängerinnen, wie Giulia Gonzaga oder Costanza D'Avalos senior, eine äußerst gebildete Frau aus der Familie ihres Mannes. Sie war Vittorias wichtigste Beraterin während ihrer Zeit auf Ischia. Natürlich wurden auch vier Briefe an Michelangelo Buonarotti aufgenommen, den Vittoria Colonna offenbar 1536 kennenlernte und mit dem sie eine tiefe Freundschaft verband.
Die Briefe sind überwiegend, das wird schnell deutlich, keine literarischen Werke. Einige der Briefe gehören zum Typ schnell erledigte Nachrichten mit einem praktischen Ziel der Informationsübermittlung. Die Briefe hingegen, die Colonna an adlige Adressaten wie Kaiser Karl V. oder an literarische Größen wie Pietro Bembo geschrieben hat, sind im Hinblick auf Form und Inhalt qualitativ anspruchsvolle literarische Prosawerke. In der Mehrzahl haben die Briefe Colonnas aber eher einen Wert als historische Dokumente denn als literarische Werke.
Die Herausgeberin Veronica Copello geht in ihrer Edition in drei Schritten vor: In jeden der chronologisch angeordneten Briefe wird kurz eingeführt. Der Brief wird im Leben und Werk Colonnas verortet, kurz inhaltlich zusammengefasst und ästhetisch eingeordnet. Ebenso wird der Adressat des Briefes in wenigen Worten vorgestellt. An zweiter Stelle folgt die englische Übersetzung des Briefes, an dritter Stelle die italienische Originalfassung. Dort, wo nötig, insbesondere bei Personen und Orten, werden zusätzliche Kommentare leserfreundlich als Fußnoten beigefügt. Somit entsteht eine gut lesbare Edition, die sich nicht nur an den Wissenschaftler wendet, sondern auch an den interessierten Laien. Auch dank der gewissenhaften Übersetzung von Abigail Brundin kann man von einer gelungenen Edition sprechen, die somit das Werk Colonnas einem breiteren Publikum eröffnet.
Im Brief 19 an Pietro Bembo vom 10. April 1539 drückt Vittoria Colonna ihre Freude über dessen Ernennung zum Kardinal aus und lässt zugleich durchblicken, dass ihr Einfluss auf den Papst einen nicht geringen Anteil an diesem Ergebnis hatte. Im Brief 33 an Michelangelo Buonarotti aus dem Herbst 1543 beschreibt sie ihre erste Reaktion, als sie die "Kreuzigung" ("Il Crucifixo") sah, die ihr Freund für sie geschaffen hatte: "Certainly I will never be able to express how subtly and wonderfully it is done [...]" (145). Hier wird besonders deutlich, dass Vittoria Colonna Einfluss auf politische Entscheidungen genommen hat und diese auch gewinnbringend für sich einzusetzen wusste. Bembo war einer ihrer einflussreichsten Förderer, weil er ebenfalls von ihrem Einfluss profitierte. In dieser Hinsicht zeigt der Briefwechsel auf eindrückliche Weise die gegenseitigen Abhängigkeiten wichtiger Vertreter der Renaissance.
Die Briefauswahl vermittelt - viel mehr als ihre literarischen Werke - eine klare Vorstellung von Colonnas Persönlichkeit, ihren Ansichten und Haltungen, ihrer inneren Strenge und der Effektivität ihrer Entscheidungen und Handlungen. Sie war eben nicht nur die heute vorrangig bekannte Lyrikerin und Petrarkistin, sondern sie war Geschäftsfrau bei der Verwaltung ihrer Güter, politische Akteurin durch ihre gute Vernetztheit in der oberen Gesellschaftsschicht und eine zutiefst gläubige Frau, die ihr Leben viel lieber in einem Kloster als auf der gesellschaftlichen Bühne verbracht hätte.
Annett Volmer