Kathleen Rosenthal: POLIT-KUNST !? Die bildende Kunst in der DDR und ihre Rezeption in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Mauerbau (= Studien zur Kunst; Bd. 48), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2022, 621 S., 56 Farb-, 14 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-52597-2, EUR 90,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Anja Tack: Riss im Bild. Kunst und Künstler aus der DDR und die deutsche Vereinigung, Göttingen: Wallstein 2021
Anja Tack: Riss im Bild. Kunst und Künstler aus der DDR und die deutsche Vereinigung, Göttingen: Wallstein 2021
Matthias Deinert / Uwe Hartmann / Gilbert Lupfer (Hgg.): Enteignet, entzogen, verkauft. Zur Aufarbeitung der Kutlurgutverluste in SBZ und DDR, Berlin: De Gruyter 2022
Barbara Lubich: Das Kreativsubjekt in der DDR. Performative Kunst im Kontext, Göttingen: V&R unipress 2014
Anke Matelowski: Die Berliner Secession 1899-1937 Chronik, Kontext, Schicksal, Wädenswil: Nimbus Verlag 2018
Kathleen Rosenthal konzentriert sich in ihrer Dissertation über die Rezeptionsgeschichte von ostdeutscher Kunst in der Bundesrepublik Deutschland auf die wenigen, aber entscheidenden Jahre zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Mauerbau. Sie geht der Frage nach, wie und in welchem gesellschaftlichen Umfeld in dieser Zeit in der Bundesrepublik über bildende Kunst aus der SBZ/DDR geschrieben und geurteilt wurde.
Die Publikation gliedert sich in zwei große Kapitel: "Der Gegenstand: Kunst und Kulturpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1961" sowie "Die Rezeption in der Bundesrepublik Deutschland 1945 bis 1961". Das erste Kapitel umfasst 120 Seiten und bietet vor allem im Abschnitt zur "Kulturpolitik der DDR gen Westen" interessante Einblicke, wie die DDR mithilfe von Kunst und Kultur versucht hat, Einfluss auf das kulturelle Leben in der BRD zu nehmen, es sogar teilweise zu unterwandern. Zusammenfassend kommt sie jedoch zu dem Ergebnis, dass "der in der DDR in den 1950er Jahren ausgerufene 'Kulturkampf' gegen Westdeutschland erfolglos blieb. Die vielen Arbeitspläne mitsamt ihren Forderungen und Vorschlägen liefen ins Leere." (160)
Das zweite Kapitel stellt mit 350 Seiten den Kern der Untersuchung dar und setzt sich aus Abschnitten zum gesellschaftspolitischen Kontext sowie zum vermittelten Bild der Kunst aus der SBZ/DDR in Publikationen der Bundesregierung, in der westdeutschen Presse und im westdeutschen Kunstbetrieb zusammen. Als grundlegende Veröffentlichung kann die Autorin hier die Abwehrbroschüre "Polit-Kunst in der Sowjetischen Besatzungszone" ausmachen, die 1953 in Bonn vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen herausgegeben wurde und auch im Titel ihres Buches zitiert wird. Die rund 50-seitige Broschüre enthält insgesamt 18 Schwarz-Weiß-Abbildungen von Kunstwerken, die alle auf der Dritten Deutschen Kunstausstellung gezeigt wurden. "Die Auswahl fiel insbesondere auf die von offizieller Seite in der DDR immer wieder gelobten und hervorgehobenen Arbeiten, die sich allesamt zur Untermauerung der These eigneten, die Kunst in der DDR diene nur zur Veranschaulichung politischer Inhalte." (218) Obwohl diese Auswahl keinesfalls repräsentativ für das künstlerische Schaffen in der DDR und noch nicht einmal für die Dritte Deutsche Kunstausstellung war, begründeten die abgebildeten Werke jedoch "wesentliche Denk- und Bewertungsmuster in Bezug auf die Kunst in der DDR, die über Jahrzehnte Bestand haben sollten." (227) Zudem wurde die Broschüre 1955 und 1957 erneut aufgelegt. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang die Feststellung der Autorin: "Die ideologische Färbung dieser 'Abwehrbroschüren' stand den Äußerungen ostdeutscher Kulturfunktionäre über das westdeutsche Kunstschaffen damit nur wenig nach." (228)
Doch für die Rezeption von Kunst aus der DDR hatte die pauschalisierende und in der Regel abwertende Berichterstattung in den politischen und fachspezifischen Publikationen sowie in der Presse weitreichende Folgen. Zum einen wurden in Ausstellungen ostdeutsche Künstlerinnen und Künstler weitgehend ignoriert - bis auf Josef Hegenbarth und Hans Theo Richter, was die Autorin ausführlich nachweisen kann. Zum anderen unterließ man es in der Bundesrepublik, das anfänglich vermittelte Bild in den folgenden Jahren zu korrigieren. "Entweder wurden die Schriften aus der ersten Hälfte des Jahrzehnts unverändert neu aufgelegt oder es wurde überhaupt nicht mehr berichtet." (517) In der Bundesrepublik war Kunst aus der DDR also lange Zeit nur in einer politisch motivierten Auswahl und nur von Schwarz-Weiß-Fotos rezipierbar.
Hinzu kam die in der Nachkriegszeit stark rezipierte Totalitarismustheorie. Sie "beförderte eine undifferenzierte Gleichsetzung nationalsozialistischer und kommunistischer Herrschaft, die ihren Ausdruck in der eingängigen Formel 'rot=braun' fand. In deren Folge wurde auch die Kunst im nationalsozialistischen Deutschland mit der in der DDR analog gesetzt." (514) Eine Theorie, die sich erschreckend lange halten sollte, denn noch Anfang der 1990er Jahre empfahl eine Expertenrunde der Treuhandanstalt die Einrichtung einer Forschungsstelle zur "Kunst der Diktaturen des 20. Jahrhunderts", um in vergleichender Perspektive die Kunst des Nationalsozialismus und des Stalinismus/der DDR zu analysieren. [1]
Auch die Autorin weist in ihrer Schlussbetrachtung darauf hin, dass sich im deutsch-deutschen Bilderstreit nach 1990 "die in den frühen 1950er Jahren im Klima des Kalten Krieges geprägten Denk- und Bewertungsmuster" wiederfanden. (544) "Die zum Teil sehr polemische Diskussion, in der die Kunst aus der DDR häufig abermals eine pauschale Abwertung erfuhr, fiel weit hinter die differenzierte Wahrnehmung von Kunst aus der DDR in den 1980er Jahren zurück." (541) Von hier aus lässt sich der Bogen direkt zur Dissertation von Anja Tack spannen, in der sie "Kunst und Künstler aus der DDR und die deutsche Vereinigung" betrachtet hat und dabei immer wieder auf Konflikte verweist, die lange vor 1989 bestanden. [2]
Kathleen Rosenthal leistet mit ihrer Dissertation einen wertvollen und grundlegenden Beitrag für die Rezeptionsgeschichte von Kunst aus der DDR. Durch die Konzentration auf die Jahre 1945 bis 1961 kann sie überzeugend und äußerst detailliert darstellen, wie prägend das erste Jahrzehnt der deutschen Teilung dafür war. Sie hat zahlreiche neue Quellen erschlossen und interessante Zusammenhänge aufgezeigt. Dank ihrer Arbeit sind die gegenwärtigen Diskussionen um den Umgang mit Kunst aus der DDR noch besser einzuordnen. Zudem zeigt sie mit ihrer Forschung, wie wichtig und sinnvoll eine gesamtdeutsche, grenzüberschreitende Kunst- und Kulturgeschichte ist.
Anmerkungen:
[1] Anke Jenckel / Monika Flacke: Die Geschichte der Kunstgegenstände unter treuhänderischer Verwaltung, in: Kunst in der DDR, URL: https://bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/1098
[2] Anja Tack: Riss im Bild. Kunst und Künstler aus der DDR und die deutsche Vereinigung, Göttingen 2021.
Angelika Weißbach