Rezension über:

Fabian Bennewitz: Dynamiken des Scheiterns. Akteure, Netzwerke und Transferprozesse der bundesdeutschen Polizeihilfe für Guatemala (1986-1991) (= Lateinamerikanische Forschungen. Beihefte zum Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas; Bd. 50), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2023, 385 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-52896-6, EUR 70,00
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Rezension von:
Patrick Wagner
Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
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Empfohlene Zitierweise:
Patrick Wagner: Rezension von: Fabian Bennewitz: Dynamiken des Scheiterns. Akteure, Netzwerke und Transferprozesse der bundesdeutschen Polizeihilfe für Guatemala (1986-1991), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 9 [15.09.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/09/38926.html


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Fabian Bennewitz: Dynamiken des Scheiterns

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Zwischen 1986 und 1991 investierte die Bundesrepublik 10,6 Millionen DM in eine Reform der Polizei Guatemalas. 55 Geländewagen und 60 Motorräder erhöhten deren Mobilität, rund 650 guatemaltekische Polizeibedienstete wurden von deutschen Kollegen aus- oder weitergebildet. Unmittelbar zuvor war in dem mittelamerikanischen Land der Christdemokrat Vinicio Cerezo Arévalo durch die ersten freien Wahlen seit Jahrzehnten ins Präsidentenamt gelangt. Gegen Widerstände aus den alten Eliten wollte dessen Regierung den seit 1960 andauernden Bürgerkrieg beenden. Zu Beginn der 1980er Jahre hatte dieser Konflikt unter der Diktatur des Generals Ríos Mont genozidale Züge angenommen; insgesamt kostete er 200.000 Menschen das Leben. Nach ersten Erfolgen in den Verhandlungen zwischen Regierung und linker Guerilla scheiterte Cerezo an der Obstruktion des Militärs. Daher (und aufgrund des die mittelamerikanische Konstellation entspannenden Kriegsendes im benachbarten Nicaragua) stellten die USA 1991 ihre Militärhilfe für Guatemala ein; auch die Bundesrepublik beendete ihre Polizeihilfe. Erst 1996 kam es zu einem Friedensabkommen in Guatemala, zwei Jahre später startete die Europäische Union ein neues Projekt zur Reform der guatemaltekischen Polizei; bis 2003 flossen 32 Millionen US-Dollar in dieses, vor Ort von der spanischen Guardia Civil umgesetzte Vorhaben.

Wenn also der Historiker Fabian Bennewitz in seiner Dissertation die bundesdeutsche Polizeihilfe für Guatemala zwischen 1986 und 1991 rekonstruiert, so nicht deshalb, weil dieses Projekt erfolgreich oder in irgendeiner Weise weichenstellend gewesen wäre. Schon für das viel umfangreichere EU-Projekt wenige Jahre später scheint sein Vorläufer belanglos gewesen zu sein. Und auch für folgende deutsche Versuche, mittels Polizei- oder Militärhilfen zur Befriedung und Demokratisierung anderer Gesellschaften beizutragen, spielten die Erfahrungen des Guatemala-Projektes keine Rolle.

Warum also verdient die bundesdeutsche Polizeihilfe für Guatemala, warum verdient Bennewitz' Buch Aufmerksamkeit? Hierfür gibt es zwei Gründe: Erstens kann man argumentieren, dass gerade die fehlende Nachbereitung der Erfahrungen aus solchen Demokratisierungs-Projekten zum Scheitern folgender Missionen - an dieser Stelle verweist Bennewitz auf das Afghanistan-Debakel - beigetragen hat. Und zweitens lohnt sich die Lektüre dieser Studie, weil ihr Verfasser mit dem Ansatz, Regierungen, Stiftungen und Parteien als komplexe Netzwerke zu begreifen und diese zum Zwecke der Analyse in ihre interagierenden Bestandteile zu zerlegen, eine überzeugende, ja nachahmenswerte Untersuchungsstrategie verfolgt hat.

Der Hauptteil des Buches ist in sechs Kapitel gegliedert. Nachdem er im ersten die Ausgangskonstellation in Guatemala und die Vernetzung von dessen Christdemokraten mit der Konrad-Adenauer-Stiftung beschrieben hat, rekonstruiert Bennewitz im zweiten Kapitel, wie Netzwerke aus dieser Stiftung und den Ministerien für Entwicklung sowie Inneres 1986 trotz Widerstandes aus dem Auswärtigen Amt und unter Abweichen von bisherigen Ressortzuständigkeiten die deutsche Polizeihilfe für Guatemala in Gang brachten. Hatten die Initiatoren anfänglich fast ausschließlich Ausstattungshilfen im Sinn, so verschoben die Verhandlungen zwischen den Akteuren die Gewichte in Richtung der gleichgewichtigen Finanzierung einer Ausbildungskomponente: "Die finale Konzeption ergab sich aus der Netzwerkdynamik der am Projekt beteiligten Akteure", wodurch sich "das Polizeihilfeprojekt [...] durch ständige Programmanpassungen einer zentralen Steuerung teilweise entzog" (146 f.).

In den folgenden Kapiteln analysiert der Verfasser die Implementierung der kaum aufeinander abgestimmten Elemente des Projektes durch die Akteure vor Ort: die Ausstattung der guatemaltekischen Polizei mit geländegängigen Fahrzeugen (Kapitel 3), die von deutschen Beamten in Guatemala angebotene, von den dortigen Akteuren aber nur partiell angenommene Beratung und Ausbildung (Kapitel 4) sowie die zunächst in Unkenntnis der guatemaltekischen Realitäten konzipierte, dann pragmatisch improvisierte Ausbildung von Nachwuchsführungskräften für die Polizei Guatemalas in Deutschland (Kapitel 5). Vor Ort scheiterten die von ihren Vorgesetzten schlecht vorbereiteten deutschen Berater und Ausbilder immer wieder an den Prägungen ihrer Gegenüber durch historisch gewachsene Strukturen und Kulturen. Als die Gewalt staatlicher Akteure gegenüber der Zivilbevölkerung erneut zu Massakern eskalierte, nutzte das deutsche Außenministerium 1991 die Gelegenheit, ein Auslaufen des Projektes durchzusetzen (Kapitel 6).

Auf der Basis von Quellen aus deutschen, US-amerikanischen und guatemaltekischen Archiven sowie von Interviews mit Beteiligten rekonstruiert Bennewitz die Anbahnung und Durchführung der bundesdeutschen Polizeihilfe als Abfolge von (immer wieder auch transnationalen) Interaktionen konkreter Akteure. Minutiös zeichnet er z.B. nach, wie sich innerhalb der deutschen Ministerien Positionen entwickelten, wie in diese Entscheidungsprozesse jene Netzwerke einwirkten, in die einzelne Akteure jenseits der eigenen Ressorts eingebunden waren, wie sich diese Interaktionen in den interministeriellen Verhandlungen und schließlich unter Einbeziehung von Parlament und Öffentlichkeit ausweiteten und auf jeder Stufe durch spezifische Regeln, Interessen und Antizipationen der Reaktionen anderer geprägt wurden. Für die Umsetzung der Polizeihilfe vor Ort analysiert Bennewitz sowohl die Rahmenbedingungen und die Erwartungen der guatemaltekischen Akteure als auch deren von wechselseitigen Fehlwahrnehmungen und Interessenunterschieden geprägte Interaktionen mit den nach Guatemala entsandten deutschen Polizeibeamten einerseits und die Interaktionen beider Gruppen mit den Bonner Regierungsstellen andererseits. Im Ergebnis liefert der Verfasser eine plausible Erklärung dafür, warum das Polizeihilfeprojekt durch strukturell bedingtes, wechselseitiges Missverstehen bereits gescheitert war, bevor es abgebrochen wurde.

Der Gegenstand, dem Bennewitz seine Studie gewidmet hat, mag nur Polizeihistoriker oder Experten für die Beziehungsgeschichte zwischen der Bundesrepublik und Lateinamerika im Kalten Krieg unmittelbar interessieren. Seine Untersuchungsstrategie verdient dagegen auch die Aufmerksamkeit von an ganz anderen Themenfeldern interessierten Historikerinnen und Historikern, denn er führt zum einen vor, welche Erkenntnischancen es bietet, die Beziehungen zwischen Staaten als prozesshafte Resultanten des Wirkens nationaler wie transnationaler Netzwerke in den Blick zu nehmen. Zum anderen erfüllt Bennewitz die aktuelle Forderung, Globalgeschichte nicht aus einer Vogel- (oder besser: Satelliten-)Perspektive zu schreiben, sondern quellennah und mit Aufmerksamkeit für die Übersetzungen, Aneignungen und damit auch Gestaltungen globaler Interaktionen durch die von ihnen adressierten Menschen an konkreten Orten (wofür der Soziologe Roland Robertson den ästhetisch unbefriedigenden, gleichwohl treffenden Begriff "Glokalisierung" geprägt hat). Auf dieser methodischen Ebene macht Bennewitz auf andere Gegenstände übertragbare Angebote, die nicht zuletzt dadurch an Plausibilität gewinnen, dass er die einzelnen Analyseschritte detailliert beschreibt und begründet. Der positive Gesamteindruck wird auch nicht dadurch verwischt, dass das stete Bemühen um methodische Transparenz zu einigen Redundanzen führt oder dadurch, dass Bennewitz im Anschluss an Bruno Latour unbelebten Gegenständen (z.B. Geländewagen) Agency zumessen möchte. Man kann dies, wie der Autor dieser Rezension, für ziemlich abwegig halten oder konstatieren, dass diese Perspektive zu den Befunden der Studie nichts Relevantes beiträgt - und sich dennoch in anderer Hinsicht von Bennewitz' methodischem Experimentierkasten anregen lassen.

Patrick Wagner