Charlotte Husemann / Sven Alexander Neeb / Björn Onken / Sabrina Schmitz-Zerres (Hgg.): Historisches Lernen für das 21. Jahrhundert. Festschrift für Markus Bernhardt zum 65. Geburtstag (= Wochenschau Wissenschaft), Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2024, 496 S., ISBN 978-3-7566-1626-8, EUR 56,90
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"Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man kriegt", so fasst im gleichnamigen Kinofilm der Protagonist Forrest Gump eine Lebensweisheit seiner Mutter zusammen. Diese Einschätzung gilt im akademischen Bereich insbesondere für Festschriften. Die darin gesammelten Texte unterscheiden sich häufig sehr stark. Dies gilt für den vorliegenden Band zwar auch, doch ist die Festgabe zum 65. Geburtstag des Essener Geschichtsdidaktikers Markus Bernhardt eine durchaus interessante "Pralinenschachtel". Sie gewährt nicht nur einen persönlichen Blick auf den Jubilar, sondern eröffnet auch Denkimpulse für das Fach insgesamt.
Unter dem Titel "Historisches Lernen für das 21. Jahrhundert" haben sich die vier Herausgeberinnen und Herausgeber Charlotte Husemann, Sven Alexander Neeb, Björn Onken und Sabrina Schmitz-Zerres viel vorgenommen. Angelehnt an die Forschungsschwerpunkte von Markus Bernhardt sammeln sie in der Festschrift Beiträge zum Themenbereich Geschichtskultur, Geschichtsunterricht, Sprache und Geschichte sowie Digitalität und historisches Lernen. Bereits einleitend stellen sie fest, dass zwischen den Großkapiteln keine eindeutigen Trennlinien zu markieren sind, sondern ein Lernen im 21. Jahrhundert über diese starren Zuschreibungen hinweg stattfinden muss. Bevor jedoch einzelne, sicherlich durch den Rezensenten subjektiv ausgewählte Texte des Bandes vorgestellt werden können, soll zunächst die besonders herausstechende Prägung des Bandes thematisiert werden. In einem Geleitwort ordnet einer der Grandseigneurs der deutschen Geschichtsdidaktik, Ulrich Mayer, seine persönliche Beziehung zu Markus Bernhardt ein. Er hatte den Jubilar schon als Lehrer in der Schule unterrichtet und war später sein wissenschaftlicher Mentor an der Universität Kassel. Die biographische Schilderung beschreibt den Jubilar als Historiker, Geschichtslehrer und Geschichtsdidaktiker. Anders als die Herausgeberinnen und Herausgeber (15) lässt Mayer seine Würdigung der berufsbiographischen Stationen Markus Bernhardts nicht erst im Jahr 2011 mit dessen Dienstantritt in Duisburg-Essen beginnen. Vielmehr erinnert er dezidiert an die unhaltbaren Anfeindungen, die Markus Bernhardts Jahre an der Pädagogischen Hochschule Freiburg prägten.
Der Themenkomplex Geschichtskultur beginnt mit einem sehr anregenden Beitrag von Thomas Hellmuth. Er hinterfragt dezidiert, ob der im Fach als allgemein anerkannt und gesetzt geltende Terminus des Geschichtsbewusstseins tatsächlich weiterhin als unumstößlich gelten kann. Vor allem im Bereich des lebensweltlichen Lernens sieht er Defizite im bislang vorliegenden theoretischen Konstrukt, die noch ergänzt und erweitert werden müssten. Während Holger Thünemann seinem Beitrag den Stellenwert von Kunst für das Geschichtsbewusstsein einordnet und die ästhetische Dimension der Geschichtskultur noch weit stärker herausgearbeitet sehen will, plädiert Dietmar von Reeken für eine Stärkung der lokalen Geschichtskulturen. Mit konkreten Hinweisen unterstreicht er, wie es möglich sein dürfte, diese über örtliche Zusammenhänge verstärkt in den Geschichtsunterricht zu integrieren und dabei neue Potenziale zu erschließen. Im Bereich der lokalen Geschichte bleiben auch die Beiträge von Franziska Conrad und Heinrich Theodor Grütter. Conrad beschäftigt sich mit Straßennamen und ihrem Beitrag zu Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, während Grütter die "Heimat Ruhrgebiet?" auslotet. Björn Onken übernimmt es, die in der deutschen Geschichtskultur oftmals kaum beachtete Antike hervorzuheben. Mittels eines Vergleichs zur Geschichtskultur in der Ukraine versucht er, die Bedeutung der Griechischen und Römischen Antike für die deutsche Geschichtskultur hervorzuheben.
Im Abschnitt Geschichtsunterricht reflektiert Monika Fenn die Einführung des Schulfachs Gesellschaftswissenschaften im Bundesland Brandenburg und Steffen Barth erörtert die Bedeutung von Planspielen als Methode im Geschichtsunterricht. Nikola Brauch diskutiert, ob durch eine stärkere Thematisierung von religiöser Pluralität im Geschichtsunterricht ein Potenzial für das historische Lernen genutzt werden könnte. Dabei nimmt sie vor allem die Darstellung der Antike in aktuellen Schulgeschichtsbüchern in den Blick und zeigt interessante Diskussionsimpulse auf.
Neben vier Beiträgen zum Thema Sprache und Geschichte runden sieben Texte zur Digitalität des historischen Lernens den Band ab. Dabei erörtert Josef Memminger die Bedeutung von unterschiedlichen Zeitebenen für das historische Erinnern am Beispiel so unterschiedlicher Produkte wie "@ichbinsophiescholl", der Begegnungen mit virtuellen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, interaktiven virtual reality-Anwendungen und 360° Filmen sowie Videogames. Rebecca Quick nimmt sich eines ganz anderen Themas an: nämlich der schulischen Nutzung des Landesportals zeit.punkt NRW. Sie erörtert, wie aus Digitalisaten vormaliger Tagespresse historisches Lernen gewinnbringend angeregt werden kann. Die nun leicht verfügbaren journalistischen Produkte werden zum Einsatz im Unterricht nachdrücklich empfohlen.
Für alle Lehr- und Forschungseinrichtungen im Bereich der Geschichtsdidaktik interessant kann die Analyse der fachlichen Websites sein, die Melina Schuster und Michael Sauer vorlegen. Sie zeigen auf, welche Kategorien besonders herausgestellt werden, wenn sich Geschichtsdidaktikerinnen und Geschichtsdidaktiker bzw. ihre Lehr- und Forschungseinheiten im Netz präsentieren. Abgerundet wird das weite digitale Feld mit einem Beitrag von Sven Alexander Neeb, der ChatGPT danach befragt, was denn Geschichtsdidaktik sei. Dabei kommt vor allem die künstliche Intelligenz zu Wort, die kommentierende Einordnung durch den geschichtsdidaktischen Zugriff wäre hier noch ausbaufähig gewesen. Vor dem Hintergrund der rasend schnellen Weiterentwicklung von KI kann der Beitrag aber zugleich als eine Momentaufnahme der KI-generierten Möglichkeiten im Jahr 2024 selbst schnell zur Quelle werden.
Die vorliegende Festschrift ist in der Tat eine "Pralinenschachtel". Allerdings handelt es sich dabei vor allem um genüssliche und anregende "Süßigkeiten". Interessierten werden zahlreiche neue Gedanken vorgestellt, die zu einer Reflexion über historisches Lernen im 21. Jahrhundert beitragen können.
Christian Kuchler