Rezension über:

Konrad Krčal: Das französische Thesenblatt im 17. Jahrhundert. Drei Studien zur allegorischen Gattungsgenese (= Ars et Scientia. Schriften zur Kunstwissenschaft; Bd. 27), Berlin: De Gruyter 2024, 287 S., 54 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-110062-3, EUR 79,00
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Rezension von:
Rebecca Partikel
Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Philipps-Universität Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Rebecca Partikel: Rezension von: Konrad Krčal: Das französische Thesenblatt im 17. Jahrhundert. Drei Studien zur allegorischen Gattungsgenese, Berlin: De Gruyter 2024, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 10 [15.10.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/10/39355.html


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Konrad Krčal: Das französische Thesenblatt im 17. Jahrhundert

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"Thesenblätter" sind Einblattdrucke, die im 16.-18. Jahrhundert über eine geplante öffentliche akademische Disputation informierten. Auf ihnen finden sich die betreffenden Thesen, Ort und Zeit sowie die wichtigsten Teilnehmenden. Die Darstellung des oft großformatigen Thesenblatts und die Texte können dabei unterschiedlich eng aufeinander Bezug nehmen. [1] Aufgrund der damit potenziell einhergehenden Komplexität wurde sich diesem Medium bisher eher in Einzelanalysen gewinnbringend gewidmet. [2]

Der Herausforderung, sich dem Thema monographisch anzunähern, stellt sich die im Dezember 2020 eingereichte Dissertationsschrift von Konrad Krčal, die 2024 - in gekürzter und aktualisierter Form - veröffentlicht wurde. Die neuesten Studien ohne Frankreich-Schwerpunkt sind jene von Gwendoline de Mûelenaere von 2021 [3] sowie der von Meelis Friedenthal, Hanspeter Marti und Robert Seidel im selben Jahr herausgegebene Aufsatzband. [4] Krčals Dissertationsschrift, die diese Gruppe nun mit dem Fokus auf französische Thesenblätter ergänzt, wurde mit dem renommierten Wolfgang-Ratjen-Preis ausgezeichnet.

Das Buch aus dem Hause De Gruyter hat ein handliches Format von 24,5 x 18,0 x 2,3 cm und wird von einem dunkelblauen Hardcovereinband umgeben. Dieser trägt ein Detail des Thesenblatts für Antoine Talon von Claude Mellan: eine gefesselte Bellona, die ihren Blick unter ihrem Helm scheinbar auf die gedruckten Thesen richtet.

Krčal wählt für seine Dissertation einen theoriegeleiteten Blickwinkel und arbeitet auf der ikonographischen Ebene sowie jener der Produktions- und Rezeptionskontexte. Die Berücksichtigung des Kontextes ist für Krčal zentral. Er versteht seine Ausführungen als Basis für kommende Forschung und moniert an älteren Publikationen, dass sie allegorische Darstellungen zu entschlüsseln suchten, ohne sich der Allegorie als kulturellem Konstrukt zu vergewissern (262).

Das Buch ist in vier Hauptabschnitte untergliedert. Dabei ist das erste Kapitel die theoretische Grundlage für Krčals Untersuchung. In den drei folgenden Kapiteln bespricht er drei unterschiedliche Phänomene anhand von Fallbeispielen. So wird der Blick geschärft für Fragen, die an Thesenblätter im Allgemeinen gestellt werden können.

Das erste große Kapitel Krčals zur Gattungstheorie (29-60) führt Analysekriterien und Begriffe ein, die der Beschäftigung mit Thesenblättern zuträglich sein sollen, wie das "Gattungszitat". (29-38) Hernach diskutiert Krčal das Herrscherportrait und seine kontextbezogene mögliche Ambiguität (39-45). Er thematisiert zudem Embleme und Allegorien vor dem Hintergrund einer Beschäftigung mit Walter Benjamin und Roland Barthes (45-50). Imprese und Wappen beantworten im folgenden Abschnitt Fragen der Selbstrepräsentation sowie deren vielgestaltiger Ebenen (50-57). Das Kapitel schließt mit der Thematisierung der "Entfaltung des allegorischen Porträts". (57-60)

Das zweite Hauptkapitel (61-130) stellt dar, wie ein als Zustandsdruck erhaltenes Objekt spätere Umgestaltungen und Neudeutungen erfuhr. Dabei schlägt Krčal vor, ihn als jenen eines als Thesenblatt konzipierten Werks zu verstehen (61). Der Autor beschreibt unterschiedliche Überarbeitungen, setzt sie ins Verhältnis zu anderen Werken, bespricht eine Vorzeichnung für das Objekt sowie mögliche Vorbilder. Dabei berücksichtigt und erklärt er die Präsentationsformen Ludwigs XIV. und wie diese sich veränderten. Schlussendlich wurde ein Abzug der überarbeiteten Druckplatte für ein Almanach-Blatt verwendet. Krčal verdeutlicht dabei die verschiedenen Bedeutungs- und Interpretationsebenen von Personal und Darstellung und verweist darauf, dass das Motiv sowohl für ein Thesenblatt als auch für einen Almanach funktionierte. Dies verdeutlicht erneut die Relevanz der Entstehungsumstände und führt zu Krčals Vorhaben, die Gattung des Thesenblatts eingehend zu kontextualisieren (130).

Das dritte große Kapitel (131-196) legt den Fokus auf das Zusammenwirken von Wort und Bild am Beispiel des Thesenblatts für Nicolas de Brûlart von Gilles Rousselet nach Claude Vignon. Diesem Thesenblatt ist ein beigegebenes carmen exegeticum eigen, was laut Krčal bei Thesenblättern nicht gängig sei (183). Er erschließt sich die Bildebene zuerst vielfältig durch Referenzen und mögliche Vorbilder, analysiert die Blickführung und verknüpft seine Beobachtungen mit einer Analyse des carmen exegeticum und grundlegenden Informationen zu Richelieu, dem das Thesenblatt zugeeignet war. Schlussendlich diskutiert der Autor, welche Rolle das Thesenblatt während der soutenance solennelle einnahm (190-196).

Das vierte große Kapitel (197-259) fokussiert indes verschiedene Thesenblätter eines einzelnen Künstlers: Claude Mellan. Dabei geht es Krčal aber erneut nicht um einen bloßen Vergleich oder eine einfache Annäherung. Ziel ist es, die Bildlichkeit von Buchstabe, Wort und Text zu überprüfen (197). Dafür arbeitet er heraus, welche Eigenschaften und Entwicklungen sich an Mellans Werken ablesen lassen und sucht, die Thesenblätter in dessen Œuvre zu verorten. Dass Krčal Mellan für die Befragung von Schrift auf ihre Bildlichkeit hin auswählt, bietet sich ob dessen Behandlung derselben, beispielsweise bei dessen Sudarium, an. Teilweise kann hier aber die Frage aufkommen, ob manche Deutungen nicht etwas weitreichend sein könnten, wenn etwa eine womöglich auch pragmatisch gewählte Position der Signatur mit Bedeutung aufgeladen wird (218-222). Weiterhin analysiert Krčal ausführlich und gründlich die Bildgenese verschiedener Thesenblätter Mellans und zeigt auf, welche Rolle das Renommée der Kunstschaffenden für die Preisgestaltung und das damit zusammenhängende Gelingen einer Individualrepräsentation im Rahmen der soutenance solennelle einnehmen konnten.

Krčal gelingt es, die Lesenden in seiner Argumentation mitzunehmen: französische und lateinische Zitate werden übersetzt, die wichtigen Personen aus dem Umfeld des französischen Hofs werden für Publikum außerhalb des frankreichspezifischen Fachkreises in ihrer Bedeutung erläutert und Forschungsdiskussionen, die für das weiterführende Verständnis relevant sind, aber nicht für das Kapitel selbst, finden ihren Platz in den Anmerkungen (224, Anm. 82). Der Autor setzt sich kritisch mit der teilweise heroisierenden Geschichtsschreibung bezüglich des französischen Königshauses auseinander und sieht die von ihm behandelten Objekte als in ihrer schillernden Schönheit und Komplexität über die problematischen Umstände ihrer Entstehung hinwegtäuschende Artefakte, bei denen eine hinterfragende (Kunst)Geschichtsschreibung geboten ist. Den Schlüssel zur Befähigung hierzu sieht der Autor in einem eingehenden Text- und Bildverständnis (261-262).

An mancher Stelle nutzt der Autor eine etwas komplizierte Sprache, die einer Dissertation angemessen ist, den Leseprozess aber verlangsamt. Die Vorliebe des Autors für moderne und zeitgenössische Literatur und Theorie ist darüber hinaus wahrnehmbar.

Eine möglicherweise wünschenswerte Ergänzung zum besseren Verständnis der thematischen Abgrenzung, hätte die Thematisierung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Thesenblättern aus den jeweiligen Sprachräumen bieten können. [5]

Konrad Krčals Dissertationsschrift ist eine lohnende Lektüre für alle, die sich mit dem Medium des Thesenblatts, besonders in Frankreich, auseinandersetzen oder generell den Blick auf Repräsentationsmedien, die den französischen Hof betreffen, erweitern möchten. Die von Krčal gewählte Herangehensweise der detaillierten Einzelbetrachtung unter Hinzuziehung der Produktionskontexte hat sich dabei bewährt.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Sibylle Appuhn-Radtke: Thesenblatt, in: RDK Labor, 2020, URL: https://www.rdklabor.de/w/?oldid=105043 [05.09.2024].

[2] Für das französische Thesenblatt sind Véronique Meyer und Maxime Préaud unter den Forschenden mit einem einschlägigen Forschungsinteresse zu nennen.

[3] Gwendoline de Mûelenaere: Early Modern Thesis Prints in the Southern Netherlands. An Iconological Analysis of the Relationships between Art, Science and Power (= Brill's Studies on Art, Art History, and Intellectual History; Bd. 60), Leiden / Boston 2021.

[4] Meelis Friedenthal / Hanspeter Marti / Robert Seidel (Hgg.): Early Modern Disputations and Dissertations in an Interdisciplinary and European Context (= Intersections; Bd. 71), Leiden / Boston 2021.

[5] Vgl. Sibylle Appuhn-Radtke: Thesenblatt, in: RDK Labor, 2020, URL: https://www.rdklabor.de/w/?oldid=105043 [05.09.2024].

Rebecca Partikel