Patrick Outhwaite: Christ the Physician in Late-Medieval Religious Controversy. England and Central Europe, 1350-1434 (= Health and Healing in the Middle Ages; Vol. 7), Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2024, XIII + 283 S., 3 s/w-Abb., ISBN 978-1-914049-26-2, GBP 75,00
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Nicole R. Rice: The Medieval Hospital. Literary Culture and Community in England, 1350-1550, Notre Dame, IN: University of Notre Dame Press 2023
Caterina Mordeglia / Agostino Paravicini Bagliani (eds.): Poison. Knowledge, Uses, Practices, Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2022
Julia Seeberger: Olfaktorik und Entgrenzung. Die Visionen der Wienerin Agnes Blannbekin, Göttingen: V&R unipress 2022
Im Fokus der Monographie steht die Frage nach der Christus medicus-Tradition im Spätmittelalter als holistisches Konzept mit eschatologischen Implikationen der Heilung von Körper und Geist, das seine Wurzeln sowohl im Asklepios-Kult als auch in der jüdischen Tradition hat. Als früher christliche Vertreter einer medizinischen Theologie gilt dabei Augustinus von Hippo (354-430), der als Patienten nicht allein das Individuum an sich, sondern die Welt als Ganzes begriff - durch Sünden korrumpiert und Heilung herbeisehnend. Körperliche Gesundheit konnte einzig durch die Gesundheit der Seele erlangt werden, wodurch das Christus medicus-Motiv sich auch auf das ärztliche Selbstverständnis auswirkte, da sich Schnittmengen zwischen der Medizin und der Theologie ergaben.
Eine Intensivierung des zeitgenössischen Diskurses fand durch die Wycliffiten und Hussiten statt, die die Kirche durch eigene seelische Vorstellungen des Heils und des Heilens herausforderten. Bereits in der Mitte des 14. Jahrhunderts fungierte jedoch die Pest als Katalysator des Diskurses, wie die Beziehung zu Christus in der Pandemie zu gestalten sei. Der Verkauf von Amuletten hatte Konjunktur, die oftmals in Verbindung mit festgelegten Gebetsabfolgen ihre Wirksamkeit entfalten sollten - Gebeten, die vom Arzt zu sprechen waren. Die Sakramente wurden als "geistlicher Theriak" betrachtet, weshalb nun auch in Hospitälern Sakramente gespendet wurden.
Davon auch räumlich ausgenommen waren jedoch oft Arme und schwangere "gefallene" Frauen, damit sie die anderen nicht mit ihren Sünden infizieren konnten. Wiederum andere Hospitäler, wie das Pariser Hôtel Dieu, spezialisierten sich auf ebendiese Zielgruppe als Ausdruck christlicher Nächstenliebe und integrierten vermehrt religiöse Elemente in die Behandlung. Schismatische Entwicklungen intensivierten den Diskurs um die Heilkraft Christi auch deshalb, weil die Kirche in einer organischen Sichtweise der Heilung bedurfte, war ihr Körper mit drei Köpfen als Papst doch nicht lebensfähig. Im 15. Jahrhundert gelangte das Motiv des Christus medicus dann auch in die volkssprachlichen Medizinschriften (regimina sanitatis) für diejenigen, die sie sich leisten konnten.
Zu einer Umdeutung kam es vor allem im institutionellen Kontext der Hospitäler, wo die Pflegerinnen dann als Stellvertreterinnen Mariens das Werk Christi vollbrachten und nur so auch eine imitatio Christi vollführen konnten. Dabei wurde ihr Werk auch als Prävention betrachtet, da bei der Versorgung nicht allein Kranke, sondern auch Waisen, Arme und Alte berücksichtigt wurden, die von Sünden reingehalten werden mussten. Der zunehmende Bedarf an Hospitälern hatte auch ökonomische Konsequenzen, denn die Institutionen wurden prächtiger, die Pflegerinnen ärmer, um in der Nachfolge Christi bestehen zu können. Für Hospitäler wurden eigene Sermones angefertigt, die die Laien ermuntern und zur geistigen Heilung beitragen sollten. Die Ausweitung des Christus medicus-Motivs, das auch künstlerischen Ausdruck fand, und das Tun der Pflegerinnen wiesen dabei den Pflegenden eine eigene Rolle als Maria medica zu. Der Körper Mariens fungierte als geistliche und allegorische Pharmazie, zur Beruhigung und Linderung von Schmerzen, während die Medizin Christi als schmerzvoll erachtet wurde, und vor allem bei der Wundbehandlung und der Nutzung von Wundpulver den Patienten an die Passion Christi gemahnte. Erinnert wurde daran, dass der Schmerz schmerzt, aber weniger als die ewige Verdammnis zu fürchten sei. Kauterisierungen wurden mit dem Schweiß der Christus gebärenden Maria verglichen. Die Tränen, die Maria bei der Kreuzigung vergossen hatte, fungierten als Metapher für Heilung und Reinigung, also als imitatio Christi des Patienten.
Outhwaite verweist auch auf die Topographie der Hospitäler, die sich zumeist an Flüssen befanden, wobei Texte über das Hôtel Dieu durch charmante Wortspiele bestachen, die die Seine als "saine" (Gesundheit) apostrophieren. Diese Wortspiele verwiesen auf Mariens Tränen, nahmen gleichzeitig aber auch Bezug auf Reinigung und Miasmen, wobei sich geistliche und hygienische Maßnahmen medizintheologisch verflochten. Die Seine konnte hierbei auch für den Jordan als Ort der Taufe und Reinigung stehen, die in einer theologisch kardiozentrierten Sichtweise durch das Überqueren der Flüsse durch die Patienten diese dann auch emotional reinigten, da das Herz als Sitz der Seele galt.
Auch die Pharmazie als Ganzes konnte theologisch gedeutet werden, so wenn etwa zur Herstellung von Medikamenten genutzte Rosenblüten in der Sonne getrocknet wurden, was auf die Zeit, die Christus am Kreuz hing, bezogen wurde, während Rosenwasser ebenfalls mit den Tränen Mariens konnotiert wurde, da bei schmerzhaften Wundbehandlungen dolor in odor verwandelt und gleichsam zu Freude des Himmels werde - gesetzt den Fall, der Patient genas.
Statt Christus trat nun Maria mit einzigartigen heilenden Fähigkeiten auf, die in der Fähigkeit des Vergebens bestanden. Diese Fähigkeiten galten als vorbildhaft für Pflegerinnen in Hinblick auf die Patienten-Pflege-Beziehung, während die Demut für Patienten der einzige Weg zur Heilung war. Maria wurde nun die Vermittlerrolle zuteil, die sonst Christus innehatte, und die von Pflegerinnen am Sterbebett imitiert werden sollte. Vor allem Bildwerke sollten dabei die pflegenden Nonnen daran erinnern, welche spirituelle Rolle sie an der Seite der Patienten einzunehmen hatten, denn die Sterbenden sollten bei den Pflegenden dieselben Gefühle evozieren, die einst Maria beim Tod ihres Sohnes hatte. Outhwaite betont, dass es sich hierbei um Idealvorstellungen der Patientenversorgung gehandelt habe, die nicht erreicht wurden.
Von Prag bis Krakau untersucht der Autor ebenso die sakramentale Medizin, die in der häufigen Verabreichung der Hostie während der Kommunion bestand. Die Eucharistie sollte dabei zur Heilung führen, vor allem, wenn ein Zusammenhang zwischen weltlichem Verhalten (Ausschweifung) und körperlicher Erkrankung vermutet wurde. Krankheit wurde hier als spirituelles Gebrechen verstanden, das sich körperlich manifestierte. Die Hostie fungierte hierbei als geistliche Medizin, die täglich eingenommen werden musste. Dies führte jedoch zu Kontroversen, da Laien höchstens dreimal jährlich die Kommunion empfingen. Prag stand dabei im Zentrum, da in den dortigen Rotlichtvierteln Prostituierten die häufige Kommunion zuteil wurde, um sie von ihren Sünden zu reinigen und präventiv zu wirken. Von dort aus fand ein Transfer in die Hospitäler Prags statt, die sich als quasi-monastische Einrichtungen verstanden, in denen Kranke ihren Körper und ihre Seele heilten und zugleich reformierten.
Während die Prager Synode im Jahr 1391 beschloss, die Kommunion dürfe so oft gespendet werden, wie der Empfänger es wünschte, lehnte man in Polen diese Praktik ab, da man Häresien fürchtete. Auch die Hussiten lehnten die häufige Kommunion ab, verstanden sie sie doch als Vorbereitung auf den Tod, während die Hostie als viaticum der Heilung Ablehnung erfuhr.
Mit der Debatte um die sakramentale Heilung vermengten sich auch nationale Diskurse, vor allem zwischen Frankreich (Montpellier) und Böhmen, da nationale Unterschiede es unmöglich machten, die Wirkung der Medizin bei Fremden vorauszusehen. Die Ablehnung sakramentaler Heilung in Montpellier trug den Ärzten dabei den Ruf ein, "Doktoren des Fleisches" zu sein, die von der geistigen Erkrankung wenig wussten, was angesichts des Rufs der berühmten medizinischen Ausbildungsstätte verwundert.
Als Skeptiker der häufigen Kommunion galten auch die Wycliffiten, die in Christus eher den Chirurgen sahen, der durch die Hostie jedoch am offenen geistlichen Herzen die Sünden der Betroffenen heilte. Diese Doppelfunktion Christi, die ihren Ausdruck auch in Passionsbildern fand, wo er als Chirurg und Patient seiner eigenen Passion erscheint, wirkte sich sowohl auf Predigten als auch auf medizinische Literatur in England aus. Predigern wurde somit ebenfalls eine ärztlich-geistliche Doppelfunktion zuteil, ähnlich derjenigen der Ärzte, die sich sittsam kleiden und vorbildhaft zu verhalten hatten, um geistlichen Einfluss auf die Patienten zu nehmen.
Ein weiteres Kapitel nimmt das Konzil von Basel in den Blick mitsamt den medizinischen Metaphern für Häresien und die gespaltene Kirche, die Ausdruck fanden in Amputationen, einem kranken (kirchlichen) Körper und der Häresie als sich verbreitender Infektion.
Summa summarum: ein sehr gut recherchiertes und gekonnt geschriebenes Buch mit ganz neuen Aspekten zu einem bekannten Motiv, das nicht nur die Hospitalforschung, sondern auch die Theologie des Spätmittelalters transnational beleuchtet.
Monja Schünemann