Rezension über:

Gabriella Erdélyi / András Péter Szabó (eds.): Remarriage and Stepfamilies in East Central Europe, 1600-1900 (= Routledge Research in Early Modern History), London / New York: Routledge 2023, XV + 348 S., ISBN 978-1-032-29085-0, GBP 39,99
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Rezension von:
Severin Plate
Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Severin Plate: Rezension von: Gabriella Erdélyi / András Péter Szabó (eds.): Remarriage and Stepfamilies in East Central Europe, 1600-1900, London / New York: Routledge 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 12 [15.12.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/12/39823.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Gabriella Erdélyi / András Péter Szabó (eds.): Remarriage and Stepfamilies in East Central Europe, 1600-1900

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Der vorliegende Sammelband macht es sich zur Aufgabe, an jüngere Untersuchungen zu Stieffamilien und Beziehungen innerhalb dieser Familienstrukturen anzuknüpfen. Dabei ist den Herausgebern Gabriella Erdélyi und András Péter Szabó die Integration einer ostmitteleuropäischen Perspektive in diesen neuen Zweig der Familiengeschichte ein besonderes Anliegen; davon versprechen sie sich die Möglichkeit des Vergleichs von "patterns, trends and attitudes" (1) in West- und Osteuropa.

Um diesem Ansatz gerecht zu werden, wurde eine große Bandbreite zu betrachtender Regionen ausgewählt, die in den einzelnen Beiträgen behandelt werden. Die Studien beschäftigen sich mit den Königreichen Ungarn, Böhmen, Polen-Litauen sowie den rumänischen Fürstentümern Moldau und Walachei. Sie gehen aber, thematisch bedingt, darüber hinaus auch auf Gebiete des heutigen Österreich, der Slowakei, Kroatien, Serbien, der Ukraine und Belarus ein. Der im Titel erwähnte Betrachtungszeitraum umfasst ungefähr 300 Jahre von der Frühen Neuzeit bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Dies ermöglicht es, Kontinuität und Wandel im Zusammenhang mit Stieffamilien und Wiederheirat darzustellen. So wird beispielsweise die Mortalitätsrate von den Autoren immer wieder in ihrer Bedeutung für die Anzahl an Wiederheiraten in den Gesellschaften betont; diese änderte sich im betrachteten Zeitraum nachhaltig. Die Kombination aus einer langen Zeitspanne und einem weit ausgedehnten Untersuchungsgebiet ermöglicht ein breites Spektrum an Fallstudien sowie auch eine kohärente und nachvollziehbare Form der Darstellung. Darüber hinaus ist die soziale Herkunft der behandelten Akteure bewusst vielfältig gehalten und bezieht landlose Migranten, orthodoxe Bauern, Handwerker, Bojaren und katholische Siedler aus Deutschland, aber auch Stadtbürger, transsilvanische Fürsten, Adel und den Klerus in die Analyse mit ein.

Der Diversität der Regionen, Zeiträume und Akteure wird das Buch durch die Gliederung der Artikel gerecht. Diese erfolgt nicht thematisch oder chronologisch, sondern nach Methode und Perspektive. Nach einer übersichtlichen Einführung von Erdélyi, die einen umfassenden Einstieg in die Gesamtthematik und den Forschungskontext bietet, ist der Band in zwei Abschnitte von jeweils fünf Beiträgen unterteilt. Der erste Teil "The Demography of Stepfamilies" bietet eine makrohistorische Perspektive auf Familiengeschichte und verwendet demografische und statistische Methoden, die sich primär auf serielle Quellen stützen. Die Beiträge des zweiten Abschnitts "Egodocuments and Stepfamily Relationships" verfolgen eine qualitative Methodik und arbeiten vor allem mit Egodokumenten und Rechtstexten. Hier werden Memoiren, Tagebücher, Briefe, letzte Willen oder Gerichtsprotokolle ausgewertet.

Die Beiträge des ersten Teils verfolgen weitgehend einen einheitlichen, vorwiegend quantitativ-demografischen Ansatz und gelangen daher zu ähnlichen Ergebnissen. Als deren Konsens kann herausgestellt werden, dass Wiederheirat und Stieffamilien im Ostmitteleuropa der Frühen Neuzeit weder die Regel waren noch als Seltenheit oder Ausnahme betrachtet werden können. Dies illustriert beispielsweise der Beitrag von Marzena Liedke und Piotr Guzowski zu Magnaten- und Adelsfamilien in Polen-Litauen, wo circa 25-30 Prozent der verwitweten Männer erneut heirateten (71). Die weiteren Aufsätze kommen auf Basis von Registern oder Ortsfamilienbüchern zu ähnlichen Zahlen.

Eine weitere Gemeinsamkeit der Beiträge besteht darin, dass sie ihre Ergebnisse stets in den Forschungsstand zum Vergleich zwischen Ost und West einordnen. Drei der fünf Beiträge nehmen Bezug auf die demografische Forschung von John Hajnal - neben Liedke und Guzowski (73) auch Péter Őri (144) und Sándor Lakatos (173) - und hinterfragen mit den eigenen Zahlen dessen dualistisches West-Ost-Modell bezüglich des Alters bei Erstheirat, das demzufolge für das östliche Europa niedriger ausfällt als in westlichen Regionen. [1]

Die konsistenten Ergebnisse des ersten Abschnitts zeichnen ein solides Gesamtbild von der demografischen Realität von Wiederheirat und Stieffamilien in Ostmitteleuropa, ohne dabei redundant zu wirken. Die Schlussfolgerungen bilden eine robuste quantitative Grundlage für die detaillierten Untersuchungen im zweiten Abschnitt, die sich näher an den Akteuren und den Quelleninhalten orientieren.

Die Überleitung zu diesen mikrohistorischen Betrachtungen übernimmt wiederum Erdélyi mit ihrer Analyse von rhetorischen Beziehungen zweier Halbschwestern zu ihrer (Stief-)Mutter sowie auch untereinander. Eindrücklich werden die unterschiedlichen semantischen Nuancen und Rollenwahrnehmungen in der familiären Korrespondenz herausgearbeitet. Des Weiteren hervorzuheben ist die Studie von Szabó, der die vielfältigen rechtlichen, kulturellen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen für die Bildung von recomposed families im frühneuzeitlichen Adel Transsilvaniens darlegt.

Andrea Fehér gewährt mit ihrer Untersuchung von "Stepfamily Relations" in autobiografischen Schriften im Transsilvanien des 18. Jahrhunderts einen detaillierten Einblick in die wechselseitige Wahrnehmung von Mitgliedern von Stieffamilien. Dabei kristallisiert sich als wiederkehrendes Stereotyp die "wicked stepmother" (hier 283) heraus, das auch in den anderen Beiträgen des Sammelbandes immer wieder auftaucht und auf seinen Inhalt und seine Herkunft in den betrachteten Stieffamilien untersucht wird.

Den gelungenen Abschluss des Buches bildet der Beitrag von Constanţa Vintilă zu Stieffamilien in rumänischen Gebieten des 18. und 19. Jahrhunderts. Neben zahlreichen bisher unveröffentlichten Quellen stützt sie sich bemerkenswerterweise auf bildliche Darstellungen zusammengesetzter Familien in orthodoxen Kirchengebäuden. Hierbei nimmt wiederum die vorherrschend negative Darstellung der angeheirateten Ehepartner durch deren Stiefkinder - insbesondere aufgrund zu erwartender Erbstreitigkeiten - einen bedeutenden Platz ein.

In der Gesamtbetrachtung lässt sich festhalten, dass der vorliegende Sammelband einen äußerst übersichtlichen Einstieg in die Forschung zum Thema "Wiederheirat und Stieffamilien" in Ostmitteleuropa bietet. Der Zweiklang von demografischen Analysen und quellennahen Untersuchungen erreicht dabei die von der Herausgeberin und dem Herausgeber verfolgte Zielsetzung. Die auffällige Ähnlichkeit in der methodischen Herangehensweise der Beiträge des ersten Teils führt nicht zu Redundanzen, sondern bestätigt vielmehr die jeweiligen Ergebnisse und ermöglicht ein umfassendes Bild der gesamten betrachteten geografischen Region. Dies ermöglicht auch zukünftige Vergleiche mit anderen Teilen Europas und der Welt. Der weitaus vielfältigere zweite Teil des Buches gewährt vertiefte Einblicke in individuelle Schicksale und Verhältnisse innerhalb der erforschten Familienstrukturen, an die wiederum zukünftige Studien ohne Weiteres anknüpfen können.


Anmerkung:

[1] John Hajnal: European Marriage Pattern in Historical Perspective, in: D.V. Glass (ed.): Population in History. Essays in Historical Demography, London 1965, 101-143.

Severin Plate