Rezension über:

Anna Grzymała-Busse: Sacred Foundations. The Religious and Medieval Roots of the European State, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2023, XII + 235 S., ISBN 978-0-691-24508-9, USD 29,95
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Rezension von:
Mordechay Lewy
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Mordechay Lewy: Rezension von: Anna Grzymała-Busse: Sacred Foundations. The Religious and Medieval Roots of the European State, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 2 [15.02.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/02/37957.html


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Anna Grzymała-Busse: Sacred Foundations

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Das vorliegende Buch stammt nicht aus der Werkstatt eines Mediävisten, sondern ist ein Werk einer amerikanischen Politikwissenschaftlerin, die in Stanford einen Lehrstuhl für Internationale Beziehungen innehat. Dies mag mit ein Grund dafür sein, weshalb ihr Buch bis jetzt kaum von der Mittelalterzunft zur Kenntnis genommen wurde, jedoch in der englischsprachigen Öffentlichkeit auf erhebliche Resonanz gestoßen ist und von der Financial Times als wichtige Neuerscheinung des Jahres gelobt wurde. Unter den Rezensenten befinden sich vor allem Politikwissenschaftler und Wirtschaftshistoriker und vereinzelt auch Kirchenhistoriker/innen wie die Engländerin Gillian R. Evans aus Cambridge oder der Amerikaner Brett E. Whale aus Chapel Hill.

Die Monographie behandelt die Frage, woher die Wurzeln stammen, die zur Entstehung des "Europäischen Staates" beigetragen haben. Diese kontroverse Frage entzweit Mediävisten und Frühneuzeithistoriker seit Jahrzehnten fortwährend, die sich schwer damit tun, Einigkeit in dieser Frage zu erzielen. Die Autorin vertritt folgende These: Die Anfänge des Staates liegen nicht in der Renaissance und der Frühneuzeit, sondern im 12. Jahrhundert. Weder die fiskalischen Bedürfnisse der in Europa tobenden Kriege zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert trugen entscheidend zur staatlichen Organisation bei (Charles Tilly), noch die vermeintliche Vorbildfunktion der französischen und englischen Monarchien als früh territorial konsolidierte Königreiche mit ausdifferenzierten Administrationen (Joseph R. Strayer), sondern der ideologische Konflikt zwischen Sacerdotium (Papsttum) und der säkulären Herrschaft vom 11. bis zum 13. Jahrhundert (für Carl Schmitt und Ernst Kantorowicz verbuchten die Säkularisierung unter der Rubrik politischer Theologie bzw. ihrer Mystifizierung) war prägend für die Entwicklung des Europäischen Staatswesens.

Die Schriftlichkeit der päpstlichen Administration, die systematische Erfassung von Kirchenbesitz und Zehnten, die parlamentsähnliche kirchliche Konzilsbewegung, auf die schon Brian Tierney hinwies, und nicht zuletzt das Eindringen des Kanonischen Rechts auch in zivile Angelegenheiten hatten einen Nachahmungswert für die säkuläre Herrschaft. Aus dieser Rivalität, die zunächst von einer souveränen Überlegenheit des Papsttums gekennzeichnet war, die aber auch zur Fragmentierung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation führte, sei so Grzymala-Busse, im Spätmittelalter eine säkuläre Dominanz auf Kosten des Papsttums erwachsen, die seither den Verlauf der europäischen Geschichte prägt.

Ihre These verfolgt die Autorin in fünf Kapiteln: 1. The Medieval Setting (21-41); 2. Rivalry and Fragmentation (42-74); 3. Governing Institutions (75-112); 4. Law and Learning (113-143); 5. Parliaments and Representation (144-176). Einer sozialwissenschaftlichen Methodik folgen die 26 Tabellen im laufenden Text, die in einem Appendix noch einmal eingehend in Zahlen aufgeschlüsselt und bestätigt werden. Ob das Mittelalterbild der Autorin in Primärquellen gründet oder allein aus sekundären Quellen schöpft, vermag der Rezensent nicht zu entscheiden. Auffällig aber ist, dass die 19-seitige umfassende Bibliographie auf eine englischsprachige Lektürepräferenz hindeutet, was weniger überrascht. Kritikwürdig scheint die Überzeugung der Autorin, mittelalterliche Quellen würden eine quantifizierbare Serie von Belegen in der longue durée präsentieren, um historisch relevante Fragestellungen zu bearbeiten. Die endemisch lückenhafte Überlieferung erlaubt nur in seltenen Fällen eine serielle Aufstellung historisch belegbarer Daten. Nicht zufällig griff man in der Mediävistik der Nachkriegszeit auf Methoden der content analysis zurück, um serielle Belege aus Textquellen zu schöpfen. Die noch immer verbreitete und von der Autorin offensichtlich geteilte Auffassung, es sei die vermeintliche Dichotomie zwischen Sacerdotium und säkularer Herrschaft gewesen, die den staatsfördernden Konflikt verursachte, sollte auf jeden Fall hinterfragt werden. Zweifellos waren kirchliche und weltliche Herrschaft im lateinischen Hochmittelalter von derselben Religiosität und denselben ureigenen politischen Instinkten durchsetzt.

Trotz der beschriebenen Unzulänglichkeiten lohnt der Griff zum Buch, wird so doch die Möglichkeit eröffnet, eine spezifische Form der Mittelalterrezeption im politikwissenschaftlichen Betrieb kennenzulernen. Ein Blick über den Gartenzaun schadet nie.

Mordechay Lewy